Im Spielzeugland

Die Fernsehserie »Der Krieg und ich« erzählt von Kindern und Jugendlichen im Zweiten Weltkrieg

  • Jasper Nicolaisen
  • Lesedauer: 6 Min.

Der Zweite Weltkrieg wird langsam aber sicher Geschichte. Wiewohl Rechte nicht müde werden, die alte Leier anzustimmen, das Thema nehme in der Schule zu viel Raum ein, ja, Kindern und Jugendlichen würde ein regelrechter Schuldkomplex eingetrichtert und die deutsche Geschichte auf einen Zeitraum reduziert, der Krawattennazis aller Parteien als bloßer »Fliegenschiss« gilt, zeigen Befragungen unter jungen Menschen, dass das Wissen über die Shoah, aber auch den Zweiten Weltkrieg allgemein, ziemlich lückenhaft ist. Mit dem Aussterben der letzten Zeitzeugen in den Familien fällt zusehends auch die Wissensvermittlung durch persönliche Erinnerungen weg, wie verzerrt und tendenziös diese auch immer gewesen sein mögen.

Der SWR unternimmt nun den Versuch einer Serie, die sich an ältere Kinder richtet und das Kriegsgeschehen auch aus kindlicher Perspektive erzählt. »Der Krieg und ich« rückt in acht Episoden von circa dreißig Minuten Länge jeweils einen geografischen und thematischen Aspekt des Krieges in der Vordergrund, etwa die Machtübernahme der Nazis in Deutschland, die Besatzung Norwegens, das Leben im Warschauer Ghetto oder unter der Bedrohung des Luftkrieges gegen England.

Der Produktion ist hoch anzurechnen, dass sie dabei nicht an der deutschen Perspektive kleben bleibt, sondern überwiegend die Opfer der deutschen Aggression ins Bild rückt und die Auswirkungen des Krieges in ganz Europa, wenn auch nicht im Rest der Welt, begreiflich zu machen versucht.

Gleich die erste Episode macht einige Herausforderungen sichtbar, denen sich die Produktion gegenübersieht. Es ist die Geschichte eines skeptischen Familienvaters, der den Sohn vom Eintritt ins Jungvolk abzuhalten versucht und im Handlungsverlauf eine jüdische Familie versteckt: Das Voiceover verschweigt nicht, dass demgegenüber die meisten Deutschen die mörderische Ausgrenzung der Juden befürwortete und von solcher Hilfeleistung weit entfernt waren. Stark hier der Mut, ein Kind als anfällig für die Nazipropaganda zu zeigen, eben als eigene Persönlichkeit, die auch Fehler machen darf. Trotzdem bleibt nach Sichtung der ersten Folge der schale Eindruck zurück, die »Machtergreifung« der Nationalsozialisten werde als Geschichte einer Verführung erzählt, für die es zudem rationale Gründe - Armut, »nationale Demütigung« - gegeben haben soll. Im Zusammenklang mit den übrigen Folgen, die Kinder quer durch Europa »auf der anderen Seite« zeigen, scheint es kurz so, als solle Deutschland in eine gesamteuropäische Opfergeschichte hineinerzählt werden: Seht her, am Ende waren doch alle Kinder Europas irgendwie Opfer der Nazis! Zumal da eine weitere Episode der Serie sich mit deutschen Kindersoldaten in den letzten Kriegstagen befasst.

Eine Kernfrage des Vorhabens, inwieweit man es heutigen Kindern zumuten will, Gleichaltrige von damals auch als Täter anzusehen, ohne zu unterschlagen, dass deren Taten von Erwachsenen motiviert und angeleitet wurden, dass sie als derart missbrauchte Kinder tatsächlich auch Opfer waren, bleibt zumindest in den der Presse vorab zugänglich gemachten Episoden seltsam in der Schwebe. Vielleicht ist diese Frage für das Format ohnehin zu groß und sollte in die Diskussion mit den mitschauenden Erwachsenen verlagert werden. Aber geht das wirklich: eine solche Produktion versuchen und sich dazu anscheinend nicht positionieren?

Überhaupt ist der Serie anzumerken, dass sie gelegentlich zwischen verschiedenen Ansprüchen und Adressatengruppen hin- und hergerissen ist: Zwar will man aufrichtig und ungeschönt die Geschichte der Machtübergabe an die Nazis zeigen und auch den Willen der weitaus meisten Deutschen zum mörderischen nationalen Aufbruch nicht verschweigen, zugleich müssen aber im Sinne des Erzählkonzeptes noch genügend sympathische Identifikationsfiguren übrig bleiben, so dass die deutsche Familie der ersten Episode dann eben doch zu den Guten gehört, während das dreckige Handwerk der Judenverfolgung einem Jungvolkführer und finsteren Nazischergen überlassen bleibt. Hier mag auch die Befürchtung eine Rolle gespielt haben, in der nach rechts gerückten Berliner Republik ohne das geliebte Opfernarrativ allzu sehr anzuecken. Andererseits ist tatsächlich eine Dokumentation, die Kinder und Jugendliche ansprechen soll, ohne Dramatisierung und positive Identifikation kaum vorstellbar.

Dieser manchmal unglückliche Widerspruch zieht sich auch durch die Inszenierung, die mit einer Mischung aus Spielszenen, erklärendem Voiceover, historischem Filmmaterial und Modellszenen arbeitet, die an Spielzeugeisenbahnlandschaften erinnern. Letztere kommen vor allem dann zum Einsatz, wenn drastische Gewalttaten gezeigt werden, in der ersten Episode etwa die Zerstörung und Plünderung jüdischer Geschäfte. So verständlich das Bestreben ist, ein kindliches Publikum altersgerecht auch über die Gräuel des Kriegs zu informieren, ohne es dabei allzu sehr zu verstören, rückt andererseits der plötzliche Wechsel zu einer Spielzeuglandschaft, wenn es um Gewalt und Zerstörung geht, die Brutalität des Krieges ins Irreale.

Und wie so oft, wenn in Dokumentationen zum Voiceover gegriffen wird, wirkt die Erzählstimme an manchen Stellen unfreiwillig belehrend und nimmt so den Spielszenen die Ambivalenz und die Wucht. Darin agieren namhafte Schauspieler internationaler Serienproduktionen, auch die Ausstattung weiß zu überzeugen - allein, so eingequetscht zwischen Erläuterungen aus dem Off, Dokumentarschnipseln und Modellszenen können sie sich manchmal nicht recht entfalten. Die Geschichten, die einen Ort und ein Thema lebendig machen sollen, sind gelegentlich in Gefahr, bloße Illustration zu werden, und an einigen Stellen hätte man sich mehr Mut gewünscht, den Spielszenen Raum zu lassen und Ambivalenzen und Irritationen bewusst stehen zu lassen, was Kinder keineswegs überfordern muss.

Glücklicherweise gelingt die inszenatorische Mischung an einigen Stellen auch: Die Folge um die 14-jährige Eva etwa, die nach Auschwitz deportiert wird, verlässt sich überwiegend auf intensive Spielszenen, die die junge Zielgruppe nicht mit der Realität des Lagerlebens und der industriellen Vernichtung verschonen. Kommentare und Dokumentarmaterial werden sparsam eingesetzt, um Hintergrundinformationen zu liefern. Dass die Protagonistin dank der Arbeit als Musikerin und der Hilfe eines Mithäftlings relativ unbeschadet überleben kann, mag erwachsenen Zuschauern als allzu oft erzählter Topos erscheinen, geht aber für die Zielgruppe sicherlich in Ordnung. Auch die Details stimmen hier: Es gibt, statt stereotyper Nazikerle, auch weibliche Aufseherinnen, und ebenso gibt es Gefangene, denen auch unter Lagerbedingungen noch Solidarisierung und kleinste Akte des Widerstandes gelingen.

Letztendlich hat die sogenannte Drama-Serie »Der Krieg und ich« mit den erwartbaren Untiefen hinsichtlich der politischen Positionierung und der pädagogischen und medialen Aufbereitung zu kämpfen, die ein solches Vorhaben notwendig begleiten müssen. Wenn auch nicht alles geglückt erscheint, soll die Kritik nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich insgesamt um eine Produktion handelt, für deren erkennbare Engagiertheit und Überlegtheit man in Zeiten einer erstarkenden Rechten und zunehmender Relativierung der deutschen Kriegsverbrechen dankbar sein muss.

Allein schon wegen des Wagnisses, das Thema für Kinder aufzubereiten, die noch keine Jugendlichen sind, und auch kindliche Protagonisten vorzustellen, sowie wegen der Perspektive auf die europäischen Opfer ist die Serie einen Blick wert. Die hochwertige Produktion und viele gelungene Momente, in denen Wissensvermittlung und emotionale Ansprache gut zusammengehen, sind weitere Gründe. Die unsägliche Behauptung, die Zeit des Nationalsozialismus sei ein »Fliegenschiss« in der Geschichte gewesen, wird nach dem Anschauen immerhin niemand mehr glauben wollen. Mindestens ist die Serie ein guter Anlass für Kinder und Jugendliche und deren erwachsenen Bezugspersonen, ein Gespräch zu führen über die eigene Familiengeschichte und die des Landes, in dem sie leben.

»Der Krieg und ich«, Fernsehserie mit acht Folgen. Am 31.8. und 1.9. sowie am 7. und 8.9., jeweils ab 20 Uhr bei KiKA, Wiederholung im Herbst im Ersten.

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