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Plötzlich kontrovers
Nach einem Konzert von Herbert Grönemeyer bricht ein rechter Shitstorm aus. Das ist weder Zufall, noch ist es ungefährlich, findet Natascha Strobl.
Vor wenigen Tagen hielt Herbert Grönemeyer eine einminütige Ansprache zwischen zwei Liedern bei seinem Konzert in Wien. In dieser verlautbarte er weder etwas Neues noch etwas Kontroverses. Der Sänger sprach sich gegen Nazis aus. Er sagte auch, dass man um eine humanistische Zukunft kämpfen müsse und es keinen Millimeter nach rechts gehe. Das Publikum jubelte ihm zu. Eine Aufnahme davon wurde auf Twitter geteilt. Binnen weniger Stunden wurde daraus eine Staatsaffäre. Das jedoch ist weder Zufall, noch ist es ungefährlich.
Rechtsextreme Twitter-Accounts fühlen sich von dem Gesagten angegriffen und erzeugen durch Online-Radau-Schlagen Aufmerksamkeit. Medien, die stets auf der Suche nach einer guten und vor allem wenig aufwendigen Geschichte sind, lesen dies und übernehmen ohne Quellenkritik den Spin einer »kontroversen Äußerung«. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem eine seriöse Zeitung das Prädikat »kontrovers« vergibt, war es dies aber nicht. Eine Kontroverse ist hingegen gut für Klicks und Auflage. Zusammen mit einem bekannten Sänger und irgendwas mit Nazis ist das eine sehr anziehende Geschichte, die noch dazu ohne große Anstrengung schnell geschrieben ist. Journalist_innen stehen bekanntlich unter einem zunehmenden ökonomischen Druck. Genau das haben Rechtsextreme wie die Identitären erkannt und liefern bewusst häppchenweise »eine gute Geschichte« frei Haus.
Wo Journalist_innen eine vermeintlich gute Geschichte sehen, da ist es Faschist_innen jedoch ernst. Mit kleinen, aber feinen Nadelstichen rütteln sie an Selbstverständlichkeiten. Mit jedem Spin, der von einem seriösen Medium übernommen wird, wird die Demokratie nach und nach verdrängt. Vor sechs Monaten hat es noch niemanden aufgeregt, als Grönemeyer etwas Ähnliches bei seinen Konzerten gesagt hat. Jetzt ist es plötzlich kontrovers. Die Schlinge um den antifaschistischen Konsens der Gesellschaft wird immer enger.
Durch die Zweifel an den Selbstverständlichkeiten wird ein diskursiver Raum frei, der mit neuen Logiken gefüllt werden kann. Denn wo etwas bis jetzt sicher Geglaubtes wegfällt, entsteht Verunsicherung, die mit einer neuen Selbstverständlichkeit gefüllt werden muss. »Nazis raus« wird mit »Das ist eine Meinung unter vielen. Jede_r hat ein Recht auf seine Meinung« in Zweifel gezogen. Aber Faschismus ist keine Meinung unter vielen in einer pluralistischen Demokratie. Nazis sind das Ende jeder Demokratie, jeder Pluralität, jedes Diskurses, jeder Meinung. Sie sind die Negation von allem, was wir im Ideal der bürgerlichen Demokratie hochhalten.
Grönemeyer wird infamerweise mit Joseph Goebbels und dessen Rede im Sportpalast verglichen. Dabei findet vor allem eine Stilanalogie statt. In diesem Fall: Jemand hat in einem dunklen Saal vor vielen Leuten etwas ins Mikro gebrüllt und Leute haben geklatscht. Das sei genauso, wie es der NS-Propagandaminister im Februar 1943 gemacht habe. Weil wir visuelle Wesen sind, funktioniert das Bild viel besser als das gesprochene Wort. Deswegen wirkt diese Analogie. Die Idee dahinter ist die Provokation: Sie ist so abstrus und tut weh, dass man sich dagegen wehren muss. Aber sobald man die Analogie diskutierbar macht, ist vielleicht ja doch etwas an ihr dran. Sie immunisiert die Rechte: Wenn die Linken die echten Nazis sind, dann sind die Rechten die Guten.
Das herbeigeredete Gleichnis lenkt vom Inhalt ab. Natürlich haben Grönemeyer und Goebbels nichts gemein. Denn Goebbels’ Masche war immer die zelebrierte Niedertracht. Das genüssliche Treten nach unten. Die Bösartigkeit.
Das wirklich Alarmierende an dem Vorgang ist, dass in der zweiten Runde, als Reaktion auf die mit Kalkül erzeugten Nazi-Frames, Konservative kommen dazu und fröhlich mitmachen, weil sie es den Linken einmal so richtig zeigen wollen. Und genau dann haben wir den Salat: Medien, die mit Angstlust jeden Nazi-Spin mitnehmen und Konservative, die ihre Wut auf Linke mit einer (unbewussten) Fraternisierung mit Nazis ausleben. Das Resultat ist ein immer weiter bröckelnder antifaschistischer Konsens in der Gesellschaft.
Genau das waren im Übrigen auch die Zutaten der diskursiven Zerschreibung der Weimarer Republik. Man könnte es heute besser machen als damals. Man könnte.
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