Jeremy Corbyn ist nicht erreichbar

Reisen durch das Brexit-Land zur Brexit-Zeit mit Tuvia Tenenbom

  • Walter Kaufmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Was wollen die Briten mit dem Brexit? Der US-amerikanische Journalist und Schriftsteller Tuvia Tenenbom fragt sich in seinem neuen Buch »Allein unter Briten«, ob der Brexit eine Komödie oder eine Tragödie darstellt. Hierzu unternimmt er auf 496 Seiten eine Entdeckungsreise quer durch Irland, Schottland, England und Wales.

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Tuvia Tenenbom: Allein unter Briten. Eine Entdeckungsreise.
A. d. am. Engl. v. Karin Witthuhn. Suhrkamp nova, 496 S., br., 16,95 €.

Der Leser wird schmunzeln, oft sogar hellauf lachen, denn Tenenbom hat Humor. (Selbst in der Übersetzung kommt sein unverkennbar jiddisch-jüdischer Witz zum Tragen.) Er war schon »Allein unter Deutschen«, »Allein unter Juden«, »Allein unter Amerikanern«. Humor hin, Humor her - nirgends vermochte er seine Obsession mit dem Antisemitismus abzuschütten; den sucht und findet er auch in Großbritannien. Außer in Wales. Dort kommen ihm die Menschen sanft vor; dort wird er angefasst, wird er gestreichelt und geküsst; dort wusste man den Begriff Antisemitismus oft nicht einmal zu deuten.

Anders in Irland, behauptet Tenenbom, wo es viele mit Adolf Hitler hielten, den Holocaust leugneten und ein Hohnlachen hören ließen, wenn er sie auf die Juden ansprach. In Schottland ging es Tenenborm ähnlich, und erst in England! Kaum hat er mit seinen Gesprächspartnern über den Brexit zu diskutieren begonnen, sie über »leave« oder »remain« befragt, wird er aus der Bahn geworfen: Wenn er, wie stets, die Juden ins Spiel bringt, hilft es nichts, seine Herkunft zu verschleiern und sich als »Tobias«, »Adrian«, »Ahmad« oder »Florian« einzuführen, als Deutscher, Amerikaner oder Palästinenser (wie es gerade kommt), auch seine leutselige, gesellige Art versagt dann plötzlich.

Im Drang, Jeremy Corbyn, den Vorsitzenden der Labour Party, in einem Interview bloßzustellen - Corbyns antisemitische Grundhaltung (so Tenenbom) habe die Partei weitestgehend vergiftet -, macht er einen argen Fehler: Er schickt Corbyn eine Anfrage per E-Mail und vergisst, seine Heimadresse zu tilgen, das Jewish Theater of New York (dessen Gründer Tenenbom tatsächlich ist) - und statt der Zusage für ein Treffen erreicht ihn ein schroffes Nein. Und das nach all den vorangegangenen Bemühungen um einen Zugang zu Corbyn! So glücklos ist Tenenbom jedoch nur einmal - im Großen und Ganzen kommt er gut zurecht. Er spricht die Leute an, wo auch immer sie ihm über den Weg laufen, bringt sie zum Reden (manchmal sogar gegen deren Willen); und in welche Haut er auch schlüpft, er entlockt ihnen Geheimnisse - oh, er ist schon ein Pfiffikus!

Solange es die Situation erlaubt, bleibt Tenenbom drollig, ja geradezu liebenswert: Rundlich, wie er ist, kostümiert, wie er ist - sogar in einem schottischen Kilt tritt er auf -, stets vermag er über sich selbst zu lachen; und wo selbst Engel auf Zehenspitzen gehen würden, tapst er unbekümmert los. So kommt es, dass aus seinem »Allein unter Briten« ein vergnügliches Buch geworden ist.

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