Sex und Gewalt, aber volles Rohr!

Arschbanale misogyne Fantasien: Die neuen »Gedichte« des Rammstein-Sängers Till Lindemann

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 5 Min.

Zuerst die Kurzfassung: »Huiuiui, schaut alle her, hier, ich, Sex und Gewalt, aber volles Rohr, und das lyrische Ich findet’s geil, Tabubruch!« Dann Debatte, Feuilleton, Twitter, ein paar Tage später ist das Thema durch, und Till Lindemanns »100 Gedichte« werden sich für einen Lyrikband sehr gut verkauft haben. Soll man dazu noch mehr schreiben? Kann man machen, muss man aber nicht. Egal, also los.

Der Leseeindruck nach den ersten zwanzig Gedichten ist folgender: Das offensichtlich Durchkalkulierte, das transgressiv auftrumpfen will, macht sehr müde. Um zu verstehen, warum das alles immer wieder so funktioniert wie geplant, braucht es einen kurzen Exkurs zur Männerrockgruppe Rammstein, in der Lindemann als Sänger tätig ist. Schon weil seine Gedichte, gäbe es seine Band nicht, wohl eher im Eigenverlag erschienen wären.

Die Rammstein-Alben wurden stets von durchgeplantem Skandaltheater flankiert. Zuletzt posierten die Bandmitglieder in KZ-Häftlingskleidung (»Deutschland«), davor gab’s S/M (»Ich tu dir weh«), Hardcore-Porno (»Pussy«) und Nazi-Ästhetik (»Stripped«). Der Verdacht, dass das Interesse an dieser Band ohne das immer wieder als »Tabubruch« geadelte Provokationsgetöse überschaubar geblieben wäre, er drängt sich stark auf. Vielleicht deswegen schwingt bei Rammstein schon vom ersten Album an etwas Piefiges, Angestrengtes mit, gerade dann, wenn Künstler oder Kritiker suggerieren, dass hier jemand jetzt aber mal wirklich besonders tief in menschliche Abgründe hinabtaucht.

Das bringt uns wieder zu »100 Gedichte«, dem dritten Gedichtband von Till Lindemann. Diejenigen Gedichte, die Übergriffe aus der Perspektive des aufgegeilten Täters beschreiben, fungieren quasi als Türöffner: Da konnten in der letzten Woche alle diskursiv drauf einsteigen, und das Buch, ungewöhnlich für einen Gedichtband, rauschte einmal geradewegs durch die Feuilletons. »Es handelt sich um abscheuliche Gedichte, richtig hartes, kaum zu ertragendes Zeug, das zu einer berechtigten Debatte über Tabugrenzen in der Lyrik geführt hat«, behauptete zum Beispiel Björn Hayer in der »Berliner Zeitung«. Das bläht diese ungelenken Texte schon einmal ziemlich auf.

Das Gedicht, das Anlass einer zwei, drei Tage währenden Twitter-Debatte war, heißt »Wenn du schläfst« und geht so: »Schlaf gerne mit dir wenn du träumst / Weil du alles hier versäumst / Und genau so soll das sein (so soll das sein so macht das Spaß) / Etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol ins Glas) / Kannst dich gar nicht mehr bewegen / Und du schläfst / Es ist ein Segen«.

Die genaueren Beiträge in der Debatte wiesen darauf hin, dass derlei keinen Tabubruch darstellt, sondern schlicht business as usual. Zur »Tradition, gewalttätiges Verhalten von Männern als irgendwie auch niedlichen Hilfeschrei einer gebrochenen Seele zu vermarkten«, hat etwa Margarete Stokowski in ihrer »Spiegel«-Kolumne zum Thema das Wesentliche gesagt. Und ebenfalls in der »Berliner Zeitung« war dann auch ein Text von Julia Maria Grass zu lesen, die darauf hinwies, dass »sexistischer Dreck« eben sexistischer Dreck bleibt, »auch wenn er sich reimt«. Das ist alles richtig; und auch dass solche Positionen nicht zum ersten Mal formuliert werden, heißt nicht, dass sie falsch wären.

Fürsprecher berufen sich seit jeher auf eine Kunstfreiheit, die kaum jemand infrage gestellt hat. Oder sie wollten Lindemanns Texte als einen irgendwie gearteten Zugang zu einer verborgenen, gewaltvollen Wirklichkeit verstanden wissen. Der bereits zitierte Beitrag von Björn Hayer argumentiert ambivalenter und attestiert den Gedichten Lindemanns »einen verdorbenen Kunstgriff«, »der schwer auszuhalten ist und möglicherweise mehr über unsere Gesellschaft aussagt, als uns lieb ist« - auch wenn sie »keinerlei Erneuerungspotenzial« besäßen und »unterkomplex« anmuteten.

Die auch für die Rammstein-Rezeption maßgebliche Ineinssetzung von Gewaltdarstellung und verborgener Wahrheit ist aufschlussreich, weil sie, wie die Texte Lindemanns selbst, ins Leere läuft. Kein irgendwie gearteter Bruch; keine Idee, wie man sich zur Gewalt verhalten könnte, was Gewalt überhaupt ist; keine Idee davon, was das, was man da versucht zu beschreiben, bedeuten könnte und wie es sprachlich adäquat zu fassen oder zu bearbeiten wäre. Damit ist nicht mal etwas über literarische Qualität gesagt. In dieser Hinsicht genügt es, einfach zu zitieren: »Will mich nicht mehr vergnügen / Es sei denn nur um dich zu lieben / Dich zu lieben, sei gewiss / mein einziges Vergnügen ist« - so geht es stolpernd und staksend über 160 Seiten.

Kurz und gut: Die Bilder von Sex, Gewalt und sexualisierter Gewalt, die Lindemann in seinen Texten auffährt, sind nicht mehr als die prinzipiell schon von Rammstein immer wieder durchgespielte abstrakte, erfahrungsarme Beschwörung von Grenzverletzung, meistens durchexerziert in Form einer affirmativen Beschreibung der Verletzung von Frauenkörpern.

Man kann immer schauen, was genau sich jeweils potenziell entfaltet in einer Ästhetik der Gewalt. Pier Paolo Pasolinis Film »Die 120 Tage von Sodom« funktioniert anders als ein drastischer Horrorfilm, Elfriede Jelineks Texte funktionieren anders als die von Bret Easton Ellis, Lars von Triers Filme anders als die von David Lynch (in dessen »Lost Highway« wiederum die Musik von Rammstein erstaunlich gut funktionierte). Der schlichte Versuch aber, arschbanale misogyne Fantasien zu romantisieren, der dann noch als irgendwie provokant, subversiv oder gar als wahrhaftig verstanden werden will, ist dagegen nur transgressives Gewurstel.

Till Lindemann: 100 Gedichte. Kiepenheuer & Witsch, 154 S., geb., 18 €.

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