Vollprogramm nicht machbar

Schulleiter kritisieren Senat: Entweder Prüfungen oder Unterricht - aber nicht beides

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Streit um die ab kommenden Montag geplanten Abschlussprüfungen reißt nicht ab. Ob Schülervertreter, Leiter von Gymnasien und Sekundarschulen, Gewerkschafter oder der Koalitionspartner Linkspartei: Sie alle fordern von Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD), die Prüfungen in diesem Schuljahr aufgrund der Coronakrise entweder gänzlich abzusagen oder den Schülern die Teilnahme freizustellen.

Die Senatorin selbst hält bisher unbeirrt an ihren Plänen fest, das Prüfungspensum durchziehen zu lassen. »Die Abiturprüfungen sollen wie geplant ab dem 20. April beginnen«, heißt es auf nd-Anfrage aus der Bildungsverwaltung. Rückendeckung bekommt Scheeres von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD). »Das muss man jetzt auch wirklich umsetzen«, sagte Müller am Dienstagabend in der Abendschau des RBB auf die Frage, ob Berlin an den Prüfungen festhalten will.

Zusätzliche Brisanz erhält der Streit nun durch die im Raum stehenden Überlegungen, den Unterricht demnächst wieder schrittweise aufzunehmen. Welche Klassenstufen dabei als erste ans Netz gehen könnten oder sollten, ist zwar aktuell völlig offen. Gleichwohl ließ Scheeres am Dienstag durchblicken, dass sie hier am ehesten an die Oberstufe denkt. So nannte sie die Empfehlung der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, mit den unteren Klassen zu beginnen, »eine wichtige, aber nicht die einzige Stellungnahme zum Thema«.

Genau bei den Oberstufen ist das Wiedereinstiegsszenario aber »unrealistisch«, sagt Sven Zimmerschied, Leiter der Friedensburg-Oberschule in Charlottenburg. Schließlich besteht die Bildungsverwaltung zugleich auf der Durchführung der Abschlussprüfungen. »Beides gleichzeitig ist im Augenblick aber nicht zu machen. Dafür bräuchten wir einfach viel mehr Personal«, sagt Zimmerschied. Das Problem an der von ihm geleiteten Integrierten Sekundarschule: Fast die Hälfte des Personals gehört einer der Risikogruppen an, die nicht für eine Tätigkeit in der Schule eingesetzt werden sollen. Da aber nach derzeitiger Planung bis zu 20 der insgesamt 26 Schultage bis Ende Mai Prüfungstage sein werden, wäre die einsetzbare andere Hälfte nahezu komplett durch die Prüfungen gebunden.

Auch Zimmerschied plädiert dafür, die Prüfungen in diesem Jahr auszusetzen. Die nicht immer leichte »Daheimbeschulung« der letzten Wochen habe die Bedeutung der Schule als wichtigem Ort des Aufenthalts und der Begegnung noch einmal deutlich gezeigt. »Daher halten wir es für wichtiger, den Unterricht in Teilen wieder hochzufahren, als Prüfungen durchzuführen«, so Zimmerschied.

Was in der Diskussion um die Abschlussprüfungen und die schrittweise Wiederaufnahme des Lehrbetriebs zudem bisweilen zu kurz kommt, ist die Frage nach den hygienischen Bedingungen an den Schulen. »In den meisten Berliner Schulen war die Reinigungsleistung bereits vor der Coronakrise unzureichend«, heißt es hierzu in einem Positionspapier der Vereinigung der Berliner ISS-Schulleiterinnen und -Schulleiter, der auch Zimmerschied angehört. Gestützt wird diese Aussage durch eine vor Kurzem durchgeführte Umfrage des Landesschülerausschusses (LSA). Demnach sagten fast zwei Drittel der über 3000 befragten Berliner Schüler, dass die Toiletten an ihren Schulen »dreckig oder sehr dreckig und unhygienisch« sind; über die Hälfte gab an, dass Seife »selten oder nie vorhanden« ist. Das Fazit des LSA: »Die Hygienestandards an den Berliner Schulen reichen bei Weitem nicht aus.«

Auch Philipp Dehne von der Landesarbeitsgemeinschaft Bildung und Schule der Berliner Linkspartei betont, dass sich in der jetzigen Situation Probleme, die es bereits vor den Schulschließungen gab, noch einmal in aller Deutlichkeit zeigen. »Dass ein ausreichender gesundheitlicher Schutz für die Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte gewährleistet werden kann, ist fragwürdig.« Dehne, der sich wie andere Politiker der Linken klar gegen die Durchführung von Abschlussprüfungen ausspricht, sieht in den Senatsvorgaben zu den einzuhaltenden Abstandsregeln ohnehin eine eklatante »Widersprüchlichkeit«: »Das ist doch merkwürdig: Demonstrationen wie die der Seebrücke dürfen trotz Mindestabstand nicht stattfinden, aber bis zu 15 Schüler in einem Raum sind okay?«

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