Berlin: Ohne Grün kein Hitzeschutz

Weil der Senat trödelt, legt der Umweltverband BUND eigene Maßnahmen vor

Wo die Bäume fehlen, müssen die Regenschirme herausgeholt werden, um sich vor der Sonne zu schützen.
Wo die Bäume fehlen, müssen die Regenschirme herausgeholt werden, um sich vor der Sonne zu schützen.

Amtliche Warnung vor Hitze: Der Deutsche Wetterdienst (DWD) prognostiziert an diesem Mittwoch eine starke Wärmebelastung in Berlin. »Mit einer zusätzlichen Belastung aufgrund verringerter nächtlicher Abkühlung ist insbesondere im dicht bebauten Stadtgebiet von Berlin zu rechnen«, heißt es. Laut den Wetterberichten kann es in den kommenden Tagen sogar noch heißer werden, die erwarteten Höchsttemperaturen liegen bei 36 Grad. »Vermeiden Sie nach Möglichkeit die Hitze, trinken Sie ausreichend Wasser und halten Sie die Innenräume kühl«, empfiehlt der DWD.

Und der Senat? Der hat immer noch keinen Hitzeaktionsplan, um die Berliner Bevölkerung vor den Auswirkungen der hohen Temperaturen zu schützen. Ein solcher werde derzeit erarbeitet und soll im Herbst dieses Jahres beschlossen werden, so die bisherigen Angaben aus der Landesregierung.

Dem Umweltverband BUND Berlin dauert das im Frühjahr 2024 beschlossene Vorhaben zu lange. »Die amtierende Koalition schreibt sich das Thema Sicherheit groß auf ihre Fahnen. Aber seit Jahren kommt sie beim Hitzeaktionsplan nicht voran, obwohl er Leben retten kann«, teilt Geschäftsführerin Gabi Jung mit. Es brauche mehr politischen Willen aus der Regierung, außerdem ausreichend Personal und eine stabile Finanzierung. »Sonst nützt der beste Plan nichts«, so Jung zu »nd«.

Weil der Senat nicht liefert, hat der BUND einen eigenen Sechs-Punkte-Plan aufgestellt. Erster Punkt und für Gabi Jung ganz besonders wichtig: der Schutz aller grünen Freiflächen vor Bebauung. »Es darf jetzt nichts mehr versiegelt werden. Das lässt sich nicht so einfach rückgängig machen.« Die Grünflächen sind wichtig, um die Stadt herunterzukühlen und um Regenwasser aufnehmen zu können, was dann wiederum den Pflanzen und dem Grundwasser zugutekommt. »Diese Flächen sind für den Notfallplan zu qualifizieren und Sofortmaßnahmen zum Schutz der Vegetation einzuleiten«, heißt es im Papier des BUND.

»Es darf jetzt nichts mehr versiegelt werden.«

Gabi Jung BUND Berlin

Wie zentral der Faktor Bebauung für die Hitzeentwicklung in der Stadt ist, geht nicht nur aus der Warnung des DWD hervor. Auch in einer kürzlich veröffentlichten Antwort der Senatsumweltverwaltung auf eine Anfrage des Abgeordneten Benedikt Lux (Grüne) wird das sehr deutlich. So wurden etwa im vergangenen Jahr am Alexanderplatz 22 Tropennächte gemessen: Das heißt, die Temperatur fiel nicht unter 20 Grad. Im grünen Ortsteil Dahlem hingegen wurden im selben Jahr nur zwei Tropennächte gezählt. »Insbesondere in Bereichen mit hohem Bebauungsgrad und starker Versiegelung bilden sich bei hohen Lufttemperaturen und Sonnenstrahlung Hitze-Hotspots«, so die Umweltverwaltung.

Der Senat setzt bereits einige Maßnahmen gegen die Stadthitze um. Beispielsweise sollen »Grüne Hauptwege« ausgebaut und dafür Flächen entsiegelt werden. Doch der Umbau Berlins, vor allem in der dicht bebauten Innenstadt, dauert lange. Laut Umweltverwaltung soll das Konzept »Schwammstadt Berlin« in den Stadtentwicklungsplan Klima integriert werden und »Maßnahmen wie Flächenentsiegelung, Dach- und Fassadenbegrünung sowie Regenwassermanagement beinhalten«.

Die sechs Punkte des BUND zielen derweil darauf ab, in einem Hitzeaktionsplan kurz- und mittelfristig der »akuten Krisenbewältigung« und dem »direkten Schutz vor Hitzeschäden« zu dienen. Doch in eine langfristige Klimaanpassungsstrategie müsse noch viel mehr Geld, »Hunderte Millionen Euro«, fließen, heißt es. Für den akuten Hitzeschutz fordert der BUND eine Erhöhung der bisher veranschlagten Mittel von 100 000 Euro pro Bezirk. Stattdessen brauche es berlinweit ein jährliches Budget von 18,5 bis 37 Millionen Euro. »Für einen effektiven Hitzeaktionsplan, der Menschenleben rettet und die öffentliche Gesundheit schützt«, seien fünf bis zehn Euro pro Berliner*in im Jahr »realistisch und notwendig«, sagt Gabi Jung.

Neben dem Schutz von Freiflächen fordert der BUND Frühwarn- und Kommunikationssysteme, um die Bevölkerung zielgruppengerecht anzusprechen. Zudem brauche es ein flächendeckendes Netz von »Kühlungszentren«, etwa Bibliotheken, Bürgerzentren, Theater und Messehallen sowie einen massiven Ausbau der »blauen Infrastruktur« wie Trinkbrunnen und Sprühnebelanlagen. Weiterhin müssen laut BUND »einfache, klare Anweisungen zum Hitzeschutz« verbreitet und vulnerable Gruppen besser unterstützt werden. Dafür brauche es »aufsuchende Sozialarbeit, die gefährdete Menschen in ihren Wohnungen und auf der Straße erreicht«. Im Jahr 2022 waren laut Senatsangaben 425 Todesfälle mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Hitze zurückzuführen, im Jahr 2023 waren es 110 und im vergangenen Jahr 52 Todesfälle.

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