»Der Osten gilt im rechten politischen Milieu als das deutschere Deutschland«

Der Künstler Leon Kahane über die Pandemie, antimoderne Sehnsüchte, den Rassismus und rechten Terror im Kunstbetrieb

  • Radek Krolczyk
  • Lesedauer: 7 Min.

Herr Kahane, das Bremer Museum Weserburg zeigt auf seiner Webseite vier Folgen zu Kulturpessimismus und Antimoderne. Es sind künstlerische Beiträge, Lecture-Performances, die Sie gemeinsam mit Fabian Bechtle erarbeitet haben. Auf welche Weise füttert die Covid-19-Krise antimoderne Sehnsüchte?

Solche Sehnsüchte sind keinesfalls neu. Allerdings erfahren sie in diesen Tagen einen besonderen Auftrieb. Antimoderne Milieus sehen in der Covid-19-Pandemie eine Beschleunigung des erhofften Untergangs der modernen Welt.

Im Interview

Leon Kahane leitet zusammen mit Fabian Bechtle das Forum demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst der Amadeu-Antonio-Stiftung. Für das Museum Weserburg haben sie die vierteilige Video-Lecture-Reihe »Antimoderne Kontinuitäten« produziert, die immer freitags auf der Website des Museums zu finden sein wird. Mit Kahane sprach Radek Krolczyk. 

Entsprechend wird die Ausbreitung des Virus in den einschlägigen Foren gefeiert: Die falsche Behauptung namens Zivilisation kracht in sich zusammen. Die Pandemie wird als Strafe angesehen. Man hofft auf die Rückkehr zu einer archaischen und natürlichen Weltordnung.

Können Sie das konkreter machen? Wer hegt diese Wünsche und wie genau sehen sie aus?

Rechtsradikale Milieus hoffen, dass die Pandemie den Untergang der Demokratie einleitet. Wie das genau aussehen soll, kann man nur mutmaßen. Die Krise beweist die Schwäche der Demokratie. Weil sie langsam ist, weil sie abwägt, und weil sie nicht autoritär und damit unmittelbar agieren kann. Ein autoritäres Regime scheint überlegen.

In anderen Bereichen sieht man sich in seiner antimodernen Einstellung bestätigt, die Krise sei keine wirkliche Krise, sondern nur ein Mittel, um Gesetze zu verschärfen und Freiheiten einzuschränken.

In der ersten Folge Ihrer Serie formulieren Sie eine scharfe Kritik an kulturalistischen Positionen, an der Verklärung »nationaler Identitäten«. Die Weserburg positioniert sich mit Ihrem Filmbeitrag auf eine besondere Weise. Denn hat nicht diese Art von Hypostasierung des Ursprünglichen gerade im Kunstbetrieb Konjunktur?

Betrachtet man die explizit politischen Ausstellungen, gewinnt man schnell diesen Eindruck. Ursprünglichkeit und »Identität« sind oftmals positiv besetzt, weil sie symbolisch als Kritik an den Schuldzusammenhängen der Moderne eingesetzt werden. Der Wunsch nach historischer Entlastung wird hier allzu oft mit Kritik und Selbstkritik verwechselt. Das führt dann zu einem kurzschlussartigen Rückgriff auf vormoderne Ästhetiken und Weltanschauungen, samt dem gesamten identitären Gepäck, das wir aus Milieus kennen, von denen wir uns eigentlich deutlich abgrenzen.

In Ihrem Video behaupten Sie eine besondere deutsche Affinität zu Kulturalismen, die selbst Rechte und Linke miteinander vereint. Wie sieht das aus, und woran liegt das?

Antisemitismus ist etwas, worauf sich Identitäre und Kulturalisten sicher einigen können. Auf mich wirkt die Affinität der Deutschen zu anderen Kulturen wie ein Phantomschmerz, der aus einer Sehnsucht nach einer vermeintlich verlorenen ungebrochenen »Identität« herrührt. Einerseits werden fremde Kulturen überhöht, andererseits stärkt das die Abwehr gegen Moderne und Aufklärung.

Ich glaube, dass es zum deutschen Kulturalismus gehört, den Antisemitismus in sogenannten migrantischen Milieus zu pflegen. Antisemitismus ist nicht angeboren, sondern er wird erlernt und kann auch wieder verlernt werden. Das muss man aber wollen. Wenn man die Geschichtsaufarbeitung jedoch zu einer rein deutschen Domäne macht, dann klappt das nicht.

Sie sprechen in diesem Zusammenhang von einem kulturalistischen Blick auf den Osten Deutschlands. Was macht diesen Kulturalismus aus?

Der Osten gilt im rechten politischen Milieu als das deutschere Deutschland, der von westlichen Besatzungsmächten verschont geblieben ist. Teile der Linken betrachten den Osten als das bessere und solidarischere Deutschland. In der Kunst und Kultur wird Ostdeutschland plötzlich in das Diskursfeld der Postcolonial Studies integriert. Das resultiert aus einer ostdeutschen Opfererzählung: Man wurde vom Westen usurpiert. Das ist ungenau und verschafft den Ostdeutschen die Aura von Ureinwohnern. Das freut natürlich die identitären Deutschen, die natürlich auch die AfD wählen.

Sehen sich viele Ostdeutsche als doppelte Opfer? Erst als Opfer der Kommunisten, die von der Sowjetunion unterstützt wurden, und dann als Opfer der Kapitalisten aus dem Westen?

Man kann sogar noch weiter gehen und sagen, dass sie sich auch als Opfer des Nationalsozialismus gesehen haben. Der ganze Mythos der DDR als antifaschistischer Staat hat ja nur funktioniert, weil man die NS-Nachfolge geleugnet hat. Nach der in der DDR verbreiteten Definition von Georgi Dimitroff ist der Faschismus eine »terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals«. Aus diesem Mythos entstand auch die gängige Behauptung, die deutsche Arbeiterklasse sei das erste Opfer des Faschismus gewesen. Diese Selbstentlastung ähnelt der Behauptung, dass die Deutschen von Hitler verführt wurden.

Eignet sich das Vokabular des Kolonialismus nicht für den Einigungsprozess? Wie könnte man die Geschichte der Treuhand, der Zerschlagung staatlicher Unternehmen und der Privatisierung anders erzählen? Es ist ja kein Mythos, dass ostdeutsche Kultur- und Kunstgeschichte in der Bundesrepublik einfach nicht mehr vorkommt.

Nein, ich finde nicht, dass sich der Begriff »Kolonialismus« hier eignet. Er ist Folge einer Projektion und relativiert den Kolonialismus, und gerade in Deutschland gibt es da noch einiges aufzuarbeiten. Das bedeutet nicht, dass man nicht über die Schäden reden soll, die die Wiedervereinigung verursacht hat. Das muss aber auf eine andere Weise geschehen.

Warum ist es Projektion, von »Kolonialismus« zu sprechen, wenn der Westen den Osten erst wirtschaftlich zerstört hat, um ihn dann unter der Aufsicht von westlichem Personal völlig neu zu strukturieren?

Es war nicht der Westen, der den Osten wirtschaftlich zerstört hat. Dafür war die DDR selbst verantwortlich. Es konnte den meisten Menschen in der DDR gar nicht schnell genug gehen, wie die enorm positiven Wahlergebnisse für die CDU bei den Volkskammerwahlen 1990 gezeigt haben. Man muss hier aber unterscheiden: Die Projektion auf den Osten meint eben nicht die tatsächliche DDR. Die wird eher abgelehnt, wie wir an AfD-Slogans à la »DDR 2.0« und »Vollende die Wende« sehen können. Gemeint ist ein Osten, der schon für die geistigen Väter des Nationalsozialismus attraktiv war. Es geht bei der Projektion also tatsächlich um etwas Reaktionäres, das durch den Begriff »Kolonialismus« bedient wird. Nämlich die Annahme, dass die DDR von einer quasi schutzlosen indigenen Bevölkerung bewohnt wurde, die nun vom Westen »kolonialisiert« wird.

Dieser Logik folgend sind der stark ausgeprägte Rassismus und Antisemitismus im Osten eine Form von widerständiger Reaktion gegen das Weltbild der Kolonialherren. Daher handelt es sich um eine Projektion, die vor allem identitär ist. Die starke Hinwendung der westdeutschen rechtsradikalen Szene zum Osten ist kein Zufall und auch nicht aus deren Geschichtsverständnis losgelöst zu verstehen.

Gibt es auch unter Künstlern einen kulturalistischen Ostbezug?

Bei Uwe Tellkamp, Neo Rauch und auch bei Georg Baselitz zeichnet sich so etwas ab. Die Projektionen sind unterschiedlich. Tellkamp bezieht sich sehr ungeniert auf den rechten Verleger Götz Kubitschek; Rauch hat sich eine Sprache angewöhnt, die an Ernst Jünger erinnert; Baselitz findet die AfD gut. Sie arbeiten an einer DDR 2.0. Sie kultivieren einen widerständigen Konservatismus, der Nähe zu rechtsradikalen Positionen in Kauf nimmt. Selbst halten sie sich natürlich für autonome Freidenker. Ästhetisch drückt sich das in folkloristischen und ursprünglichen Ikonen und Gesellschaftsbildern aus. Das ist dann als Antithese zur Moderne zu verstehen. Symbolischer Einklang mit der Natur ist recht wichtig. Es wird immer wieder auch eine mindestens gefühlte Nähe zu Naturvölkern sichtbar.

Wie steht es mit der Ästhetik eines links-kulturalistischen Gegenprogramms?

Es macht natürlich Sinn, darüber nachzudenken, warum die Installationen aus Ostmöbeln einer Künstlerin wie Henrike Naumann so beliebt sind. Dabei handelt es sich ja um kritische Arbeiten, die den Rechtsterrorismus in den Blick nehmen.

Der Osten ist ein Selling Point, weil genau diese Projektionen von links und rechts abgedeckt werden. Das zeigt sich sogar im internationalen Kontext. Naumanns Möbel werden als deutsche Kunst wahrgenommen und sind deswegen so populär. Das hat viel mit der Reproduktion von Totalitäts- und Nazi-Ästhetik zu tun. Man müsste viel mehr darüber sprechen, wie offensichtlich linke Künstler etwas reproduzieren, was sie eigentlich ablehnen. Es gibt eine Generation, die nach 1990 geboren wurde und die sich heute in erster Linie als ostdeutsch wahrnimmt.

Die Video-Lectures sind unter https://weserburg.de/antimoderne-kontinuitaeten/ zu sehen.

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