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Tauziehen in sachlicher Atmosphäre

Aus den Verhandlungen um das Konjunkturpaket der Regierung wollten alle als Sieger hervorgehen

Die Koalition aus CDU, CSU und SPD hatte sich in eine Art Zwickmühle manövriert: Auf der einen Seite drängt angesichts steigender Arbeitslosigkeit die Zeit, ein Konjunkturpaket auf den Weg zu bringen. Auf der anderen Seite wollen sich alle Beteiligten profilieren, was gegen den bei früheren Streitigkeiten üblichen dürren Minimalkonsens spricht: Die SPD mit ihrer neuen linken Doppelspitze möchte angesichts weiter schlechter Umfragewerte endlich sichtbar werden in der Koalition, CSU-Chef Markus Söder seinen Anspruch auf die Kanzlerkandidatur bei der Union mittels Durchschlagskraft verdeutlichen. Gleichzeitig werkeln Wirtschaftslobbyisten vor allem der CDU - nicht nur für die Autoindustrie - mit, und die Interessen der Kommunen sollen ebenfalls berücksichtigt werden.

Bei einigen wichtigen Details aus Sozial- und Umweltpolitik verliefen die Fronten auch quer zur Parteizugehörigkeit. Und so wurde das Treffen des Koalitionsausschusses zu einem zähen Ringen. Am Dienstag tagten die Spitzen der schwarz-roten Koalition neun Stunden lang - ohne nennenswerte Einigungen, wie mehrere Teilnehmer berichteten. Immerhin sei die Atmosphäre sachlich gewesen. Will wohl heißen: Richtig in die Wolle hat man sich nicht gekriegt.

Da das Durcheinander groß gewesen sein dürfte, weil es um sehr viele - die Rede ist von 60 bis 70 - und sehr unterschiedliche Vorschläge ging, berieten SPD und Union am Mittwochvormittag erst getrennt. Vermutlich wollte man intern eine Position abstimmen, bevor es ab Mittag im Koalitionsausschuss unter Leitung von Kanzlerin Angela Merkel weiterging. Ende: völlig unklar.

Im Prinzip war selbst die Basisfrage offen: Wie viel Geld soll in das Konjunkturpaket gesteckt werden? CSU-Chef Söder, der sich auf einem bundesweiten Umfrage-Höhenflug befindet, hatte bereits vor einigen Wochen erklärt, der Bund dürfe maximal noch 100 Milliarden Euro zusätzliche Schulden aufnehmen, um den Staat nicht zu »ruinieren«. Was bei den meisten Deutschen immer gut ankommt, schmälert den Verhandlungsspielraum. Die SPD lehnt eine solche Grenze ab, da sie wirtschaftspolitisch argumentiert: Je größer der Konjunkturanreiz, desto größer die Wirkung. Ein unbegrenzter Finanzrahmen hätte zudem den konsensfördernden Vorteil, dass sehr viele Maßnahmen untergebracht werden könnten.

Wegen des Streits drehte die Koalition den Spieß um. Erst wollte man die Maßnahmen besprechen, dann nachrechnen - vielleicht bleibt man ja unter der 100-Milliarden-Grenze.

Um eine kleine Milliardensumme ging es bei den Hilfen für Familien, die bekanntlich wegen Schul- und Kita-Schließungen besonders unter der Coronakrise leiden. Die SPD machte sich für einen »Familienbonus« von einmalig 300 Euro pro Kind stark, auch um damit den Konsum anzukurbeln. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und Niedersachsens Stephan Weil (SPD) schlugen sogar 600 Euro vor. Die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen will nicht auf den Bund warten und plant bereits 100 Euro je Kind bis 18 Jahren im Freistaat.

Die CSU lehnte den Familienbonus ab. Sie möchte gleichzeitig knausern, den neokonservativen Weg der Steuersenkungen einschlagen und beim Wahlvolk punkten, indem sie sich zum Anwalt der am härtesten getroffenen gesellschaftlichen Gruppe macht: der Alleinerziehenden. Für sie soll der Steuerfreibetrag verdoppelt werden. Allerdings würden Mütter oder Väter mit besonders niedrigem Einkommen, die gar keine Steuern zahlen, leer ausgehen.

Ebenfalls umstritten war die Frage der Hilfen für Kommunen. Ihnen brechen die Einnahmen weg, ihre Sozialausgaben steigen, gleichzeitig haben sie das dünnste Finanzpolster unter den Gebietskörperschaften. Hier hatte SPD-Finanzminister Olaf Scholz, der sich in der Coronakrise auch mal profilieren wollte, einen älteren Vorschlag neu aufgelegt, dass Bund und Länder Altschulden übernehmen sowie die jetzt wegfallende Gewerbesteuer ausgleichen. Hierbei geht es um rund 28 Milliarden Euro. Vor allem das finanzstarke Bayern bremste, da man nicht andere Länder unterstützen will. Der Städte- und Gemeindebund machte sich indes für den Steuerausgleich stark, damit Kommunen weiter Investitionen tätigen könnten. Sonst drohten Haushaltssperren.

Umstritten war ferner, ob die geplante Autokaufprämie auch für Benziner und Diesel gelten soll, was CDU und CSU möchten. Sie schlugen eine Basisprämie von 2500 Euro vor, die aufgestockt wird, wenn man umweltfreundliche Fahrzeuge kauft. Hierbei geht es um fünf Milliarden Euro.

Wenig umstritten war, dass die hart getroffenen Gaststätten- und Vergnügungsbranchen Zuschüsse bekommen sollen, die Rede war von 25 Milliarden Euro. Weitere Vorschläge: Investitionen in Schiene, Straßen und Internet, eine Senkung der EEG-Umlage beim Ökostrom, bessere steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten für Firmen sowie die SPD-Forderung nach einer Abgabe für besonders hohe Vermögen. Letzteres lehnte die Union ab.

Und da war ja noch Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), die mehr Geld für den Klimaschutz wollte, wofür sich vor einiger Zeit auch die Kanzlerin schon einmal ausgesprochen hatte. Schulze forderte den schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien und staatliche Zuschüsse zur Umrüstung von Fahrzeugflotten. Unterstützung kam von Umweltverbänden, die am Mittwoch ihre Proteste fortsetzten. Greenpeace-Aktivisten forderten mit einer Projektion am Reichstag: »Kein Geld für gestern!«

Genau das, ein Konjunkturprogramm, das strukturpolitische Weichen für den sozial-ökologischen Umbau stellt, war aufgrund der Vielzahl der Interessen aber nicht zu erwarten. Trotz aller zeitlichen Verzögerung: Die Koalition musste sich einigen, mit dem absehbaren Ergebnis: Alle sollen etwas abbekommen.

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