Politik, Drogen, Gewalt und viel Leidenschaft

Ein Journalist packt die in Italien entstandene Ultrabewegung zwischen zwei Buchdeckel - informativ und mit Herzblut. Von Frank Willmann

  • Frank Willmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Herbst 2019 erschien das Buch »I ribelli degli stadi« von Pierluigi Spagnolo ufogleich am italienischen Bücherhimmel. Es eroberte im Flug die Herzen und Hirne der dortigen Fußballfreund*innen. Nun ist es, übersetzt vom Fußballkenner und Wahlitaliener Kai Tippmann, im Erlebnis-Fussball-Verlag erschienen. Die Leipziger hatten sich pfeilschnell die Rechte an dem Werk gesichert.

Italien gilt als Vater- und Mutterland der Ultrabewegung, insofern ist das Interesse auch in deutschen Ultrakreisen groß. Gespannt sind aber auch Fußballfans ohne Ultrahintergrund. Der Leipziger Verlag hat sich für ein Taschenbuch entschieden. Das ist durchaus in Ordnung, weil die Fotos eher nur nettes Beiwerk sind und das Hauptaugenmerk auf den Texten Spagnolos liegt, der lebendig, aber mit einer äußerst angenehmen Distanz über die Ultras in Italien berichtet.

Spagnolo stammt aus Bari. Zu seiner Fußballsozialisation sagte er jüngst der Plattform altravita.com: »Ich bin 42 Jahre alt, in Bari geboren, und ich lebe und arbeite seit 2012 in Mailand.« Er sei Journalist, fährt er fort und arbeite für die »Gazzetta dello Sport«, die wichtigste italienische Sporttageszeitung und eine der ältesten Europas. »Die Gazzetta wurde vor 123 Jahren gegründet«, betont Spagnolo offenbar nicht ganz ohne Stolz. Schon als Kind sei er ins Stadion gegangen, mit sieben oder acht Jahren, mit 14 ging er dann schon ganz allein in die Kurve. »Ich habe nie aufgehört, die Kurve meines Vereins zu besuchen, die Curva Nord von Bari. Wenn es meine beruflichen Verpflichtungen zulassen, folge ich der Mannschaft auch heute noch zu den Auswärtspartien oder gehe zu den Spielen im Stadio San Nicola von Bari«, so Spagnolo.

Seit der Insolvenz im Sommer 2018 spielt AS Bari aktuell nur noch in der Serie C. Schöner kann es allerdings kaum sein. So fällt der Verdacht, hier sei irgendein großkopferter Sportjournalist am Werk, komplett aus. Spagnolo steht in der Kurve und ist tatsächlich über alle Ultrabelange gut informiert. Er erzählt von den schönen, aber auch von den schmutzigen Momenten. Politik, Drogen, formidable Beleidigungen, Gewalt, Tiere im Stadion, erste weibliche Ultragruppen. Er spart nicht an Kritik, erklärt den politischen Rechtsruck in den italienischen Kurven, informiert über die größtenteils linke Bewegung der Anfangszeit, als der Funke der 68er im Stadion auch auf die Fußballfans übersprang und so manch ein 14-jähriger Rabauke seine ersten Sträuße mit Polizei, generischen Fans und den eigenen Eltern ausfechten wollte.

Den Erfolg des Buches in Italien lassen wir Spagnolo selbst erklären: »Vielleicht hatte die Welt der italienischen Ultras, der sich zwei Generationen von Fans und Zehntausende Personen zugehörig fühlen, wirklich ein Buch nötig, dass die Geschichte einmal ohne die üblichen Stereotypen erzählt. Das Buch wird als ein ehrlicher Text aufgenommen, ausgeglichen, objektiv, aber mit der Leidenschaft eines Menschen geschrieben, der wirklich die Kurven frequentiert hat. Jemand, der die Welt der Ultras kennt und auch liebt. Vielleicht steckt das Geheimnis des Erfolgs in diesem Aspekt.«

Das Buch ist gelungen, es gehört in jedes wohlsortierte Fußballbuchregal. Spagnolo idealisiert nicht, er bügelt weder glatt, noch wirbelt er im Boulevardstil Dreck auf. Er hat nach dem Sound der Ultras gehascht - und hat ihn eingefangen. Uneitel, informativ, mit Herzblut.

Pierluigi Spagnolo: Stadionrebellen - eine Geschichte der italienischen Ultrabewegung. Erlebnis-Fussball-Verlag, 287 S., br., 19,95 €.

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