Nach dem Rechten schauen

Der Reservistenverband der Bundeswehr ermöglicht militärische Ausbildung ohne Sicherheitsüberprüfung

Der Reservistenverband ist ein staatlich bezuschusster Verein. Und die Bundeswehr könnte kaum auf ihn verzichten. Manche Mitglieder machen Urlaubsvertretung auf Dienstposten der Bundeswehr. Andere erscheinen nur zu Übungen des Vereins. Unter den Hobbysoldaten finden sich auch Rassisten, Hetzer und Möchtegernkrieger, mit denen die Bundeswehr eigentlich nichts zu tun haben will, die sie aber nur schwer auf Abstand halten kann.

»Si vis pacem para bellum - Wenn du Frieden willst, bereite Krieg vor«, meint Gerhard S.* auf seinem privaten Facebook-Profil. Der Bundeswehrreservist fängt selbst schon einmal damit an. Ein Sammelsurium von Hetzpostings ist auf seinem Account zu finden. Meldungen aus rechten Medien über Messerstecher, vermeintlich zu unrecht suspendierte patriotische Polizisten, Hetze gegen Geflüchtete und neuerdings auch Corona-Leugnung. Seine öffentlich zur Schau gestellte Indiziensammlung wächst täglich. Ob Gerhard einen Bürgerkrieg kommen sieht oder herbeiargumentieren will, ist dabei nicht ganz klar.

Reservistenverband

Neben der bekannten Zahl von 185 000 Soldat*innen in der Bundeswehr, zählt der »Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V.«, kurz VdRBw, noch einmal gut 115 000 Mitglieder. Nicht alle Angehörigen der rund 3000 Reservistenkameradschaften deutschlandweit sind ehemalige Soldaten. Manche nutzen die Reservistenverbände für die Weiterbildung und Auffrischung ihrer militärischen Fähigkeiten. Der Reservistenverband gilt als privater Verein, erhält aber 18,1 Millionen Euro jährlich an Mitteln aus dem Bundeshaushalt.

»Das Profil entspricht der typischen Selbstdarstellung eines konservativ-patriotischen Socialmedia-Nutzers, wobei der Übergang zwischen Konservatismus und Rechtsradikalismus und -extremismus fließend ist«, erläutert Daniel Bach, Organisationsleiter des Projekts Hassmelden.de. Über die Webseite und eine Smartphone-App von Hassmelden.de können Menschen Hasspostings anonym melden. Die Postings werden dann juristisch geprüft. Wann immer das möglich ist, werden sie bei der zuständigen Schwerpunktstaatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht.

Die Bilanz von Hassmelden.de im Zeitraum März 2019 bis Juli 2020
Die Bilanz von Hassmelden.de im Zeitraum März 2019 bis Juli 2020

Profile wie das von Gerhard S. gibt es viele. »Typisch ist der hohe Anteil unkommentiert geteilter Inhalte anderer Nutzer derselben politischen Couleur, ein Verhalten, das wir immer wieder beobachten können«, sagt Bach. Auf seinen Bildern steht Gerhard S. vor einer Deutschlandflagge stramm und grüßt militärisch. Auf anderen trägt er Uniform. Mal ist das deutsche Flecktarnmuster zu sehen, mal sind es ausländische Tarnuniformen. Dennoch sind - zumindest auf den ersten Blick - keine strafrechtlich relevanten Aussagen zu erkennen. Bach rät in solchen Fällen dazu, dem Bauchgefühl zu folgen und eine Meldung abzusetzen.

Unbeliebter Melder

Das Bild, das an einen SS-Totenkopf erinnert und auf dem Kragenspiegel einer Uniform zu sehen war, ist mittlerweile nicht mehr auf dem Facebook-Profil von Gerhard S. zu finden. Gesehen, gesichert und gemeldet hat dieses Bild Patrick J., der sich seit einigen Jahren mit rechten Umtrieben in der Truppe und unter den Reservisten beschäftigt. Als Jurastudent mit Truppenerfahrung hatte Patrick J. schon nach seiner ersten Runde bei der Bundeswehr begonnen, fragwürdige Soldaten und Reservisten an den Militärischen Abschirmdienst zu melden. Seine Eignung zum Offizier hatte ihm die Bundeswehr mehrfach bescheinigt. Nach seinen zahlreichen Meldungen Anfang 2017 scheiterte Patrick J. jedoch überraschend im Feldwebellehrgang und wurde entlassen. Die Bundeswehr bleibt dabei, die Entlassung habe nichts mit dem hohen Meldeaufkommen von Patrick J. zu tun.

Patrick J. sucht nach Reservisten und Soldaten, die wegen rechtsradikaler Äußerungen oder ihrer Nähe zur Szene nach seiner Auffassung nicht in die Bundeswehr gehören. Er richtet sich dabei nach Vorgaben, die selbst der Chef des Militärischen Abschirmdienstes, Christof Gramm, öffentlich äußert. Extremisten jedweder Art, so bekräftigen Bundeswehroffizielle und Politiker stets, dulde man nicht in der Truppe.

So sind Wehrmachtsbezüge wie der Spruch »Treue um Treue«, die Palme des Deutschen Afrikakorps oder der Facebookeintrag »Arbeitet bei Fallschirmjäger (Wehrmacht)« für Bundeswehrpersonal verboten. Patrick J. zeigte auch auf, wo Soldaten und Reservisten Beiträge von Ikonen der neuen Rechten weiterverbreiten und damit ein Indiz für mangelnde Verfassungstreue liefern. Solange sie aber nicht im Dienst auffällig werden, gibt es für den Militärischen Abschirmdienst keinen Druck zu handeln. Doch Patrick J. machte Druck.

Ortsgruppenleiter, privat auf Abwegen

Oberstleutnant Gerhard S. postet ein Foto von Helm, Karte und Kompass. Am oberen Bildrand ist eine Pistole zu erkennen. »Ja zur Wahrheit«, meint Gerhard überschwänglich, als der Pole Wojtek P.* unter dem Bild eine Zusammenarbeit vorschlägt. Wojtek prahlt, er habe viele Freunde in der Ukraine. »Die Macht in Polen ist günstig für Deutschland! Aber nicht als Vasall! Ist das klar? Bestimmt nicht für Tusk und Merkel … ›Waffenbrüder‹ seit Ewigkeiten! Möge Gott mir beistehen!«**, schreibt Wojtek P., der sich in anderen Postings als »einzig wahrer Verteidiger des Lichts« inszeniert und wohl zu den polnischen Fallschirmjägern gehörte. »Wir haben eine Chance ... von Gott gegeben !!!«, bekräftigt Gerhard S. die grenzübergreifende Facebookfreundschaft.

Im Reservistenverband verhält sich Gerhard S. unauffällig, leitet sogar eine Ortsgruppe in Süddeutschland. Eine Überprüfung durch den Militärgeheimdienst fände nur dann statt, wenn er aktiven Dienst in der Truppe ableisten wollte. Und auch in der Ortsgruppe des Reservistenverbands wird nur dann geprüft, wenn es einen konkreten Anlass gibt. Solange Gerhard S. dort also unauffällig bleibt, kann er die Vorteile des Vereins nutzen. Er hält Vorträge zu Militärthemen. Mitglieder, die als Zuschauer anreisen wollen, können bis zu 130 Euro Fahrtkostenzuschuss nach dem Bundesreisekostengesetz geltend machen.

Der Reservistenverband bildet seine Mitglieder militärisch aus und weiter. Zurechtfinden im Gelände, Tarnen, Melden, Verschleiern und das Leben im Feld, auch Wachdienst-, Schieß- und Patrouillenausbildungen gehören zum Angebot. In der Truppe können Reservisten dann beispielsweise Urlaubsvertretungen machen. Wie viele der rund 115 000 Mitglieder des Verbandes an den Ausbildungen teilnehmen, weiß man beim Verband allerdings nicht, wie ein Sprecher einräumt, der ungenannt bleiben möchte. Selbstverständlich werde man bei Auffälligkeiten sofort aktiv, heißt es von der Ortsebene bis zur Bundesebene des Verbandes. Doch was solle man schon tun, wenn sich jemand wie Gerhard S. bei Veranstaltungen korrekt verhalte? Die Überprüfung privater Facebookaktivitäten - das gehe ja schon recht weit und über die Grenzen dessen, was der Verein dürfe.

Fehlende Sicherheitsüberprüfungen

Eine Sicherheitsüberprüfung führen Verfassungsschutz und militärischer Abschirmdienst nur dann durch, wenn ein Hobbysoldat zu einer Reserveübung in die aktive Truppe will. Das Engagement für und die Ausbildung durch die Wochenendmiliz hingegen wird nicht näher geprüft. »Es darf uns keiner durchhuschen«, sagte der Präsident des Reservistenverbandes und CDU-Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg kürzlich im Interview mit der Taz, die ihn zu rechtsradikalen Reservisten befragte, von denen seit mehreren Jahren immer wieder berichtet wird. Auch gegenüber dem »nd« bestätigt Sensburg, dass der Reservistenverband als ziviler Verein nur Meldungen entgegennehmen und weiterleiten könne. Man dulde aber keine Extremisten und gebe jede Meldung weiter.

Beim Bundesamt für den militärischen Abschirmdienst (BAMAD) will man zu Gerhard S. schon aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Stellung nehmen. Meldungen, die das BAMAD erhält, teilt es in drei Kategorien: relevante Fälle, irrelevante Fälle und bereits bekannte Fälle. Die Bundeswehr duldet keine Extremisten, heißt es auch hier. Eine Sprecherin macht aber deutlich, dass rechtliche Konsequenzen aus privaten Onlineaktivitäten bei aktiven Soldaten nur mit viel Aufwand zu erwirken seien. Erst recht eine Entlassung aus der Truppe.

Im vergangenen Jahr immerhin verwehrte das BAMAD rund 800 Reservisten den Zugang zur aktiven Truppe im Rahmen einer Wehrübung. Jedoch gab es auch eine Reihe von Versäumnissen bei der Erstüberprüfung neuer Bewerber für die Truppe, wie kürzlich bei einer Pressekonferenz zu den rechtsradikalen Vorfällen im Kommando Spezialkräfte KSK eingeräumt wurde, die bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hatten. Verdachtsfälle sollten aber jederzeit per E-Mail an den Militärischen Abschirmdienst gemeldet werden, so die Sprecherin.

Wie mit den von Patrick J. gemeldeten Fällen umgegangen wurde, wie viele als relevant oder irrelevant behandelt wurden, erst recht, wie viele schon bekannt waren - darüber macht das BAMAD keine Angaben. Auch bei Bundestagsabgeordneten, die Patrick J. anschrieb, ist über eine Erfolgs- oder Misserfolgsquote seiner Meldungen nichts bekannt. Den offiziellen Meldewegen vertraut Patrick J. ohnehin kaum noch. Mehrfach, so beschreibt er, erlebte er kurz nach der Meldung von Profilen, dass dort die kritischen Inhalte gelöscht wurden. Auch Patrick J. erhält keine Rückmeldung über seine Erfolgsquote. »Ich bin eher konservativ«, räumt J. ein. »Aber über die Jahre habe ich festgestellt, dass immer mehr Soldaten und Reservisten die Grenze zum Extremismus überschreiten oder aufweichen.«

Ein offenes Buch

Rund um das Profil von Gerhard S. fand das Recherchekollektiv »Anti-facist filmeditors union - Affeu« eine enge Vernetzung in AfD-Kreise und zu ausländischen Gruppen, in denen Krieg das Hauptinteresse zu sein scheint. Gerhard S. teilt momentan weiter fleißig die Inhalte fragwürdiger Gruppen. Ob er weiterhin abendfüllende Auftritte vor Reservisten veranstalten darf, teilen die zuständigen Stellen nicht mit. Aus datenschutzrechtlichen Gründen ...

* Name, Region der Aktivitäten und weitere Details sind der Redaktion des »nd« bekannt, wurden im Blick auf laufende Ermittlungen jedoch anonymisiert.
** Übersetzung durch Facebook-Übersetzer

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