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Guter Kumpel Vernunft

Kann man schaffen: Zum 250. Geburtstag gibt es »Hegel to go«

In der untergegangenen Ordinarien-Universität, also in der westdeutschen Hochschule vor 1968, waren die Professoren die Könige (Professorinnen gab es fast keine). Sie hatten einen Lehrstuhl und sie hatten nur ein Seminar, das sie einmal die Woche leiteten und dessen höchstens zwei Dutzend studentische Mitglieder sich allesamt persönlich bei ihnen vorzustellen hatten. Wenn der Lehrstuhlinhaber etwas hüstelte, sprang einer seiner ebenfalls anwesenden Assistenten, meistens waren es zwei, auf und öffnete das Fenster einen Spalt für die liebe, gute frische Luft. So erzählen es sich die Alten, die dann vielleicht auch Professoren wurden oder lieber etwas ganz anderes machten.

Und wie war es inhaltlich? Auf jeden Fall war es nicht ohne. Da saß man zum Beispiel irgendwann in den 50er Jahren in Göttingen im soziologischen Seminar von Helmuth Plessner und der sagte am Ende der Veranstaltung wie aus heiterem Himmel: »Nächstes mal diskutieren wir Hegel, ›Phänomenologie des Geistes‹.« Das sollte man innerhalb einer Woche gelesen haben. Nicht ein bestimmtes Kapitel, nein, das ganze Buch mit seinen über 500 Seiten. Ohne jede Fragestellung, geschweige denn eine Anleitung. Rumms, rein damit, Schoppe in den Kopp, wie Apfelweintrinker sagen würden.

Kann man das schaffen? Nein. Man liest ja auch nicht, um noch ein anderes ähnlich wichtiges Buch zu nennen, den »Ulysses« von James Joyce in einem Rutsch, aus Irrsinn oder Angeberei. Oder wenn man es tut, versteht man sehr wenig. Aber das ist egal, denn die »List der Vernunft«, wie Hegel den Fortschritt, den geschichtlichen Verlauf, genannt hat, geht über die Individuen und ihre Ignoranz hinweg. Sie ergibt sich aus den sich widerstreitenden Bewegungen. You can‘t beat the Dialektik. Und eben nicht das »Feeling«, wie die Werbung für Coca Cola einst behauptet hat.

»Hegels Vernunft war ein guter Kumpel der Wirklichkeit, beide schritten Hand in Hand voran, untrennbar voneinander. Man kann deshalb sagen, Hegel behält immer recht - egal, wer gerade siegt oder an der Macht ist«, schreiben Dietmar Dath und Marlon Grohn im Vorwort ihres kleinen Büchleins »Hegel to go«. Aber dabei geht es um die Begriffe und die sollte man schon verstehen, um an ihnen zu arbeiten, um mit ihnen die Welt, wie sie ist, auszudrücken. Bei Hegel ging es um das Geistige und bei Marx dann um das Gesellschaftliche - und deshalb haben für Dath und Grohn auch beide recht.

Ihre Einleitung ist kürzer als ein normales linkes Flugblatt und trotzdem eine splendide Verdeutlichung des philosophischen Ansatzes von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der heute vor 250 Jahren in Stuttgart zur Welt kam. Das gilt auch für die von Dath und Grohn auf knapp 100 Seiten im handlichen Taschenspiegel-Format versammelten »vernünftigen« Hegel-Zitate: sehr lässig und lehrreich.

Die wichtigen Begriffe sind fettgedruckt und Hegels System ist in neun Kapitel geordnet. Es geht um Freiheit und Furcht, Weltgeist und Weltgeschichte, Recht und Moral. Das ganze Programm in Finger-Food-Portionen. Braucht man gar keine Angst vor haben. Kann man gut mitnehmen ins nächste Hegel-Seminar und unter der Bank lesen.

Hegel to go. Vernünftige Zitate von Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Ausgewählt und zusammengestellt von Dietmar Dath und Marlon Grohn. Neues Leben,112 S., brosch., 7 €.

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