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  • Rassismus im Sport

Wankende Vorurteile

20 Jahre nach Cathy Freemans Olympiasieg bei den Heimspielen in Sydney ist Rassismus noch immer allgegenwärtig im australischen Sport.

  • Ronny Blaschke
  • Lesedauer: 6 Min.

Es ist nur wenige Jahre her, da galt Adam Goodes noch als Ikone im Australian Rules Football, einer der wichtigsten Sportarten des Kontinents. Der Spieler indigener Herkunft ist erfolgreich, doch er wird immer wieder diskriminiert. In sozialen Medien wird er als »Nigger« bezeichnet, als »King Kong« oder »Kokosnuss«. Einmal brüllen Fans: »Geh’ zurück in deinen Zoo!« Irgendwann hat Goodes genug. 2013, bei einem Spiel seiner Sydney Swans, deutet er auf eine 13-jährige Zuschauerin, die ihn gerade als »Affen« bezeichnet hat. Es folgt eine Debatte über Rassismus, Identitätsdenken und indigene Wurzeln.

Adam Goodes äußert sich differenziert, woraufhin er 2014 zum »Australier des Jahres« gewählt wird. »Als indigener Australier habe ich häufig Rassismus erlebt«, sagt er in der Festrede. »Während es die meiste Zeit schwierig war, so hat es mich auch viel gelehrt. Es hat meine Werte geprägt und das, woran ich heute glaube.« Goodes erhält viel Zuspruch, doch viele Australier empfinden sein Selbstbewusstsein plötzlich auch als Provokation.

Die Herkunft soll im Hintergrund bleiben

Bald wird Goodes bei Spielen regelmäßig ausgebuht. 2015 feiert er ein Tor mit einem traditionellen Kriegstanz. Es ist nicht der erste indigene Protest im Sport: 1993 hatte der Footballspieler Nicky Winmar sein Trikot hochgezogen und auf seine schwarze Haut gedeutet. Ein Jahr später trug die Läuferin Cathy Freeman bei den Commonwealth Games die Flagge der Aborigines. Bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney entzündete Freeman dann die Flamme und gewann wenige Tage später Gold über 400 Meter. Weltweit wurde dieser Sieg als Aufbruch für indigene Minderheiten gedeutet. Doch ist der Rassismus gegenüber indigenen Sportlern in den vergangenen 20 Jahren seitdem tatsächlich zurückgegangen?

»Im Sport werden erfolgreiche indigene Athleten von der weißen Mehrheitsgesellschaft geachtet - solange ihre indigene Herkunft im Hintergrund bleibt«, sagt die australische Anthropologin Amanda Kearney, die sich mit indigenen Kulturen beschäftigt. »Sobald diese Herkunft als wichtige Identifikation betont wird, fühlen sich viele Australier herausgefordert.« Auf dem Höhepunkt seiner Karriere war Adam Goodes einflussreich, redegewandt und gesund. Amanda Kearney sagt: »Damit brachte er Vorurteile ins Wanken, die viele Australier gegenüber indigenen Menschen haben.«

Viele Medien in Australien verweisen immer wieder auf Statistiken: auf die niedrigere Lebenserwartung indigener Menschen oder auf ihre Überrepräsentation in Gefängnissen. Adam Goodes, der seine Laufbahn 2015 beendete, betont stets die Ursachen: Die Ureinwohner lebten mehr als 50 000 Jahre lang ungestört auf dem Kontinent. Doch ab dem späten 18. Jahrhundert wurden Hunderttausende von ihnen von britischen Kolonisten getötet und unterdrückt. Nach zwei Jahrhunderten brutaler Ausgrenzung wurden indigene Menschen in Australien erst 1967 als gleichwertige Bürger anerkannt. Doch selbst zu jener Zeit entzog der Staat indigenen Familien noch häufig die Kinder, heute bekannt als die »gestohlene Generation«.

Der Zugang indigener Australier zu Medizin, Bildung und Arbeit besserte sich ab dem neuen Jahrtausend. Doch noch heute beschreiben etliche Medien den Erfolg indigener Politiker oder Wissenschaftler als Sensation. So ist es auch im Sport, erzählt Lawrence Bamblett vom Australischen Zentrum für Indigene Geschichte: »Über Jahrzehnte hatte die Regierung indigene Australier weggesperrt. Wir waren nicht sichtbar. Mit einer Ausnahme: Sport.«

Der Kricketspieler Eddie Gilbert, der Boxer Lionel Rose, der Jockey Darby McCarthy: Lawrence Bamblett nennt etliche Beispiele von Athleten, über die stets die gleiche Geschichte erzählte wurde - über ihren Aufstieg aus der Armut in den Wohlstand, durch hartes Training und Disziplin. Dagegen werden Politik, Bildung und Kunst bis heute weniger mit Ureinwohnern assoziiert. »Ständig werden junge Menschen auf Defizite reduziert«, sagt Bamblett. »Meine Eltern waren zum Glück anders: Nach jeder negativen Geschichte haben sie mir ein Dutzend positive erzählt.«

Die Wurzeln der australischen Nationalsportarten liegen im 19. Jahrhundert. Britische Kolonialherren etablierten Cricket, Rugby und Fußball. Den wenigen indigenen Spielern blieben die Umkleidekabinen meist versperrt. Lange wollten viele Australier nicht wahrhaben, dass ihr Australian Football auch Elemente von Marngrook in sich trägt, einem uralten indigenen Ballspiel. Erst ab den 1990er Jahren, mit neuen Gesetzen und Projekten gegen Diskriminierung, öffneten sich die Profiligen für indigene Spieler.

Schon die Spielerauswahl ist rassistisch geprägt

Doch dieser Wandel hat Grenzen: In der Bevölkerung Australiens haben etwa 2,5 Prozent einen indigenen Hintergrund. Im Australian Football sind es mehr als zehn Prozent, und das schon seit 15 Jahren. »Auf den Spielfeldern sind indigene Menschen klar überrepräsentiert, aber in den Führungsetagen der Klubs ist das Gegenteil der Fall«, sagt Barry Judd von der Universität Melbourne, der wohl wichtigste Wissenschaftler auf diesem Gebiet. »Mir fällt kein einziger einflussreicher Trainer ein, der einen indigenen Hintergrund hat.«

Fast alle großen Vereine und Verbände beteiligen sich inzwischen am landesweiten Netzwerk für »Reconciliation«, Versöhnung, mit Kampagnen, Projekten, Spendenaufrufen. Wie viel davon ist nur Marketing? Die Australian Football League bezeichnet zum Beispiel Joe Johnson als den ersten Aborigine-Spieler, der sich gegen Rassismus stellte, und das bereits 1904. Doch damals, berichtet Barry Judd, habe Johnson seine Herkunft gar nicht zum Thema gemacht.

Auch in anderen Fällen werden indigene Spieler betont positiv hervorgehoben. Talentscouts suchen junge Spieler mit entsprechendem Hintergrund. »Wir bezeichnen das als aufgeklärten Rassismus«, sagt Barry Judd. »Die Scouts glauben, dass ein Volk, das mehr als 40 000 Jahre Jäger und Sammler hervorgebracht hat, heute gut geeignet für Australian Football sei. Sie denken, dass indigene Spieler schneller laufen können und eine bessere Raumorientierung haben, vielleicht sogar einen sechsten Sinn.« Auf dieser Grundlage, die rassistisch motiviert und trotz zahlreicher Versuche nie wissenschaftlich belegt werden konnte, wurden etliche Spieler verpflichtet.

In den lukrativen Profiligen sind indigene Spieler begehrt, im Breitensport gelten sie dagegen als Außenseiter. Die Fitzroy Stars zum Beispiel, ein Amateurklub im Australian Football aus Melbourne, geführt und trainiert von indigenen Sportlern. Mehr als zehn Jahre war er in keine Liga aufgenommen worden. So spielten seine Mitglieder zeitweilig in gemischten Klubs. Dort sollten sie sich in die Gesellschaft integrieren, lautete eine weit verbreitere Meinung von nicht-indigenen Spielern. »Unser Klub ist für uns ein sicherer Ort«, erzählt Paul Stewart, einer der Jugendtrainer der Fitzroy Stars. »Hier können wir so sein, wie wir sind, ohne Hindernisse, ohne Rassismus.«

Die Fitzroy Stars haben es schwer, Sponsoren zu finden. Für indigene Vereine und Sportfeste interessieren sich Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen mit den immer gleichen Absichten, sagt Stewart: »Es geht um Gesundheitsprävention, sauberes Wasser, häusliche Sicherheit. Als müsste man uns ständig von außen helfen. Internationale Sponsoren gibt es so gut wie nie.«

Stewart findet, man müsse mit einem differenzierten Konzept in die Offensive gehen, etwa mit einer vorübergehenden Bevorzugung von Indigenen. Nur durch Quoten oder Stipendien, glaubt er, könnten Indigene auch in Verbänden zu Entscheidern aufsteigen. Erst danach werde aus Sichtbarkeit Normalität.

20 Jahre nach dem Olympiasieg Cathy Freemans in Sydney geht die Debatte über Rassismus also weiter. Erst vor wenigen Wochen wurde der indigene Footballspieler Eddie Betts in sozialen Medien wiederholt als Affe abgebildet. Häufig wird Rassismus auch unterschwellig geäußert, zum Beispiel gegenüber der Tennisspielerin Ashleigh Barty, deren Vater von den Ngarigo abstammt. Ashleigh Barty gewann 2019 die French Open. Danach löschten Unbekannte aus ihrem Wikipedia-Eintrag das Wort »indigen«. Barty aber äußert sich selbstbewusst zu ihren Wurzeln. Wie so viele indigene Sportler vor ihr und - wahrscheinlich viele weitere nach ihr.

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