Wohnen und herrschen

Leo Fischer darüber, was für die wenigen und was für die vielen ein Problem ist

Was für die einen ein Problem ist: ein besetztes Haus in Berlin. Für dessen Räumung wird einer der größten Polizeieinsätze der Stadtgeschichte angeordnet, es werden keine Kosten gescheut.

Was für die anderen ein Problem ist: verödete Innenstädte, das Fußgängerzonenelend, das trostlose Einerlei aus Nordsee, Douglas und H&M, das in dieser Monotonie europaweit einzigartig sein dürfte. Nirgendwo sonst lassen die Stadtverwaltungen sich so widerstandslos von den Giganten des sogenannten Einzelhandels einnehmen wie in Deutschland. Die penible Ordnung, die in diesen Konsummeilen zu herrschen hat, in der jede Parkbank darauf hin konstruiert wird, dass sich nur keiner zu lange darauf niederlässt; eine Architektur des Durchschleusens, Drängelns und Weiterschubsens, auf dass nur ja kein Zweifel daran bleibe, dass Konsum keineswegs als Spaß und Freiheit, sondern als Fortsetzung der Arbeit gemeint ist. Die Sinnlosigkeit dieser Architektur in der Pandemie, die in der Nacht nun besonders augenfällig wird – komplette Innenstädte stehen leer, weil gerade kein Geld verdient werden kann.

Währenddessen pendeln Millionen täglich aus den trostlosen und irremachenden Vororten in ebendiese Konsumarchitektur, verbrennen Hektoliter fossiler Brennstoffe und Jahre ihrer Lebenszeit, um dort ein Leben vorzugaukeln, das längst schon nicht mehr lebt. Die leerstehenden Bürokomplexe mit den blankgefegten Klingelschildern. Die verwüsteten Flächen dort, wo einst gewohnt wurde; Flächen, die jahrzehntelang brachliegen, weil irgendein Investor einmal irgendjemandem irgendetwas versprochen hat, um dann doch pleite zu gehen.

Tausende Wohnungen, ehemaliges kommunales Eigentum, die nun verrotten, weil vom Vermieter nur eine Hotline existiert und alle Ansprüche an einen Briefkasten in Luxemburg gehen, der für eine Holding auf den Caymans bürgt. Drei Meter hohe schwarze Zäune, gated communities inmitten vermeintlicher Urbanität, alle Grässlichkeiten des schwäbischen Dorfes, dem man doch entfliehen wollte, bis ins Kleinste repliziert, nur verstärkt von Geld und Spezialanwälten. Wo jeder des nächsten Spitzel ist, wo jedes Geräusch zu einer Eigentümerversammlung und jedes falsch abgestellte Fahrrad zu einer Anzeige führt; wo alle gemeinschaftlich das Viertel aufwerten, bis sie es sich selbst nicht mehr leisten können.

Die Hunderttausenden Haushalte, denen jedes Jahr der Strom abgestellt wird, weil es leider wieder nur für entweder Miete oder Strom reichte. Die wie aus dem 3D-Drucker gepressten Stadtviertel in diesem weißglänzenden, belanglosen Stil, die nur deswegen aus dem Boden gestampft werden, weil das Geld in Mauerwerk sicherer schlummert als auf Bankkonten; private Geldspeicher, für die ganze Dörfer weichen müssen. Die unfassbare Trostlosigkeit und diese traurigen Reste all dessen, was einmal Leben, Wohnen bedeutet haben mochte.

Verteidigt von bis an die Zähne bewaffneten Cyberkriegern, von denen man nicht einmal sagen kann, dass die Wohnkonzerne ihre Gehälter zahlen, denn die agieren ja beinahe völlig steuerfrei – im Zweifel stammt das Polizeigehalt eher noch von denen, die da rausgeholt werden. Ein trauriger Witz, über den eigentlich auch Liberale lachen müssten: Für das Recht, die Kommunen ausplündern zu können, bewaffnet sich ein Staat, der dadurch nicht einmal Geld einnimmt, der davon buchstäblich nichts hat, es prügeln, liberal gesprochen, Bürger auf Bürger ein.

Die Stimme der Vernunft fordert: Beide Seiten mögen Argumente vorbringen, die einleuchten!

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