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Die guten Sachen sind nicht so leicht
Doch, doch, die Welt ist voller Wunder: Das war das Festival Leipzig DOK
Aus der Pandemie in die Pandemie: Auf Leipzig DOK lief »E14«, ein Film über Menschen in einem modernen Londoner Viertel, die im April wegen des Lockdowns zu Hause bleiben mussten. Regisseur Peiman Zekavat hat aus seinem Hochhausfenster andere Hochhausfenster und Balkons gefilmt und festgehalten, was die Menschen den ganzen Tag lang machen: Yoga, Selfies oder mit Fernrohren die Umgebung betrachten. Viel telefonieren. Manchmal gibt es Sex. Voyeurismus als dramaturgischer Antrieb, wie in Hitchcocks Klassiker »Fenster zum Hof« mit James Stewart und Grace Kelly. Zekavat hat zwei Routinen in der Pandemie festgestellt: 1. Rauchen, 2. Einkaufen gehen. Und er hat gemerkt, dass in seinem Viertel nachts nur die Hälfte der Fenster erleuchtet sind, woraus er schließt, dass diese Wohnungen leer stehen und nur der Spekulation dienen, das Wohnen also noch teurer machen.
Es ist ein merkwürdiges Gefühl, sich diesen Fensterfilm über das Zuhausebleiben daheim anzuschauen. Das Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm fand dieses Jahr für Journalisten im Internet statt, in den Kinos liefen die Filme nur für eine beschränkte Zuschauerzahl. Und so sitzt man auf dem Sofa und guckt »Zwischen mir und der Welt / Aufräumen« von Michaela Schwentner, in dem eine Frauenstimme vom Leben mit dem Asperger-Syndrom erzählt, während auf einer Arbeitsfläche eine Hand zu sehen ist, die mit Kreisen, Quadraten und Rechtecken Formen bildet. »Soziale Interaktion strengt mich an«, erzählt die Stimme, »Umgebungslärm macht das Sprechen fast unmöglich. Das Klirren von Besteck und Geschirr in einem Restaurant macht mich wahnsinnig (…) Bevor es das Internet gab, war es sehr schwer für mich, mit Menschen zu kommunizieren.« Es geht hauptsächlich um die Organisation von Routinen. Ein Film wie geschaffen für pandemische Gefühle. Die Stimme gibt auch zu bedenken, dass man Asperger als »autistische Spektrumsstörung« nicht so leicht erkennen könne, weil »die Symptome dem Neoliberalismus ähnlich sind: Brutaler Egoismus, Ichbezogenheit und Empathielosigkeit«.
Moritz Mueller-Preisser serviert in »Haeberli« ein anderes Motto: »Schau dich um, die Welt ist voller Wunder!« So spricht Adolf Haeberli, Jahrgang 1934, lange Haare und ein Bart wie der Weihnachtsmann. Er wohnt in seinem vollgestopften Haus in St. Moritz, einer der teuersten Gemeinden der Welt. Er berichtet, dass er zweimal im Leben das große Glück gehabt habe, die »Lebendgeburt einer Blattlaus« zu beobachten - »wer sieht das schon?« Früher arbeitete er im Friseursalon, Pediküre und Maniküre, nun sitzt er inmitten von Unmengen von Papier an einer mechanischen Schreibmaschine und tippt Protestschreiben an die Gemeinde, weil er glaubt, dass sein Haus aufgrund einer Baustelle ins Rutschen gekommen sei. Das wird anscheinend nicht ernst genommen. Er sagt, er würde für dement gehalten, dabei sieht man ihn im Eiskanal rodeln oder mit Schneebrille die Berge hochstapfen. Wie würde er sich selbst bezeichnen? »Unter der Verwendung von britischem Humor würde ich sagen: ein unmöglicher Typ«. Er hat gut reden, denn sein Haus sei zirka 30 Millionen Schweizer Franken wert, sagt sein Bruder, der ihn nicht mehr leiden kann.
Über so einen »unmöglichen Typen« erzählt sich ein Dokumentarfilm fast von ganz allein. Guckt man sich trotzdem gerne an, auch »Erwin« von Jan Soldat (Silberne Taube für kurzen deutschen Dokfilm) über einen Mann Ende 50, der in seinem Wohnwagen, den er vor seinem Haus stehen hat, lebt und liebt - über das Internet. Denn er sei so »eine geile Sau« und brauche »viele Schwänze«, erzählt er mit entblößter Brust bei Kippe und Kaffee. Zum Schluss geht er vor das Hoftor und zeigt seinen nackten Popo, ein Auto fährt vorbei. »Vielen lieben Dank an Erwin« heißt es im Abspann. Oder den Fußballfilm »Robin’s Hood« von Jasmin Baumgartner. Da gibt es meistens Bier und manchmal Joints für die Mannschaft, den Trainer und den Präsidenten Robin Slama, der sich 2006 in Wien seinen eigenen Fußballklub gegründet hat: Robins Spieler Vereinigung (RSV 06). Für sich und die Leute, die in Wien rassistisch gelesen werden: Schwarze, Serben, Türken plus die »ungebildeten Schwabos«. Für den sehr eloquenten Slama ist das ein »wild bunch« (wilder Haufen), der auf den Plätzen übel beleidigt wird und bitte nicht zurückschlagen soll, »egal, ob’s schwer ist, denn die guten Sachen sind nicht so leicht«, wie Slama in der Kabine philosophiert. Ein Film zwischen Hipstertum und Sozialpädagogik. Über die Figuren erfährt man leider nichts, alles ist Atmosphäre.
Diese Tendenz zur fröhlichen Inhaltsvernachlässigung und Zurückdrängung der Suche nach einer eigenen Formsprache zugunsten von flüssiger Unterhaltung ist überaus wohnzimmerfreundlich, was man erst in der Pandemie richtig merkt. Diese Tendenz gab es schon unter der glück- und ratlos, aber autoritär agierenden Festival-Intendantin Leena Pasanen. Diese Tendenz wurde von ihrem Nachfolger Christoph Terhechte bei seinem ersten Festival nicht gestoppt. Insbesondere der Internationale Wettbewerb war ziemlich lahm. Der Gewinner der Goldenen Taube, »Downstream to Kinshasa« von Dieudo Hamadi, war noch einer der politischeren Filme. Er zeigt die Reise von Kriegsversehrten von Kisangani in die Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, wo sie die seit 20 Jahren versprochene Entschädigung einfordern. Bei den Kämpfen um den Putschpräsidenten Laurent-Désiré Kabila war es 2000 auch zum »Sechstagekrieg von Kisangani« gekommen, mit Tausenden Toten. Die Überlebenden spielen sich in einem Laien-Theaterstück und fahren auf einen Boot den Kongo runter, um in Kisnhasa zu demonstrieren.
Was in Leipzig immer weniger geht, ist das Thema Ostdeutschland/Osteuropa, das trotz der Tradition irgendwie zu den Akten gelegt wurde. Taucht mal ein bisschen auf, wie in »Grenzland« von Andreas Voigt über die Oder als Grenzfluss (siehe »nd« vom 27. Oktober). Oder in »Hotel Astoria« von Falk Schuster und Alina Cyranek über das einstige Spitzenhotel von Leipzig, das seit 1996 leersteht. »Die Kellner waren die Kings«, erinnert sich eine Angestellte, Gebieter über Schildkrötensuppe und Känguruschwanzsuppe, »ja, das gab es damals«, gegen Devisen. Nur die Gurken waren meistens knapp im Frühjahr, erzählt ein Koch. Und dann taucht der Osten wieder ab, wie das stillgelegte Atomkraftwerk Greifswald in »Atomkraft forever« von Carsten Rau. Das wird seit 1995 abgebaut, ein Prozess, der ewig dauert. »Sonne in Menschenhand«, so wurde es einst in der DDR gepriesen.
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