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Bei Rot wird gelüftet

Politikerin Anke Domscheit-Berg fertigt mit Kindern CO2 -Ampeln für Schulen.

Ihr Mann Daniel und ihr Sohn hatten die Idee vor drei oder vier Wochen. Sie nahmen sich einen frei verwendbaren Bauplan für eine CO2-Ampel und verbesserten das Design. Ihren Entwurf darf nun wieder jeder kopieren und ihr Modell nachbauen. In der ersten Welle der Corona-Pandemie im Frühjahr bastelten die Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg (Linke) und ihr Mann Daniel Schutzvisiere, die auf dem Markt damals nicht in ausreichender Menge zu bekommen waren. Jetzt, in der zweiten Welle, machen sie sich wieder ans Werk. Im Bahnhof von Fürstenberg/Havel - das alte Gebäude beherbergt ein modernes Techniklabor für Kinder und Jugendliche - fertigen sie mit jeweils ein bis zwei Schülern kostengünstige CO2-Ampeln.

Im Handel liegt der Preis für solche Geräte bei rund 130 Euro und mehr. Günstigere Modelle messen nicht den CO2-Anteil in der Luft, sondern andere Werte und errechnen aus diesen Werten den Kohlendioxidgehalt, erläutert Daniel Domscheit-Berg. Doch es sei fraglich, wie genau das dann ist. Der 42-Jährige, der einst mit Julian Assange die berühmte Enthüllungsplattform Wikileaks aufbaute, möchte Messergebnisse, die für seinen Zweck verlässlich sind.

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Die handtellergroßen Ampeln sollen zunächst im Gymnasium Carolinum in Neustrelitz, in der Drei-Seen-Grundschule und in einer Kita in Fürstenberg sowie im Strittmatter-Gymnasium in Gransee aufgehängt werden. Sie zeigen mit LED-Lichtern die Ampelfarben Grün, Gelb und Rot sowie als Zwischenschritt auch noch Orange. Ein Sensor misst den CO2-Gehalt. Sobald er 1100 ppm übersteigt, springt die Ampel auf Rot. Das zeigt der Lehrerin oder der Erzieherin: Das Klassenzimmer beziehungsweise der Kitaraum muss jetzt dringend frisch gelüftet werden, sonst besteht eine erhöhte Gefahr der Ansteckung mit dem Coronavirus.

Der Wert ppm bedeutet Teilchen pro eine Million. Konkret für die Ampel sagt das hier aus, dass 0,11 Prozent der Raumluft aus Kohlendioxid besteht. CO2 ist ein Indikator dafür, wie viel ausgeatmetes Aerosol herumschwirrt und das Coronavirus weiterverbreiten könnte. Um die Ansteckungsgefahr zu minimieren, soll regelmäßig gut durchgelüftet werden. Andererseits sollen die Kinder im Winter auch nicht vor Kälte frieren. Ob nun alle 20 Minuten das Fenster aufgerissen werden sollte oder erst alle 30 Minuten, darüber gehen die Meinungen auseinander.

»Im Moment herrscht große Verunsicherung«, bedauert die Abgeordnete Anke Domscheit-Berg. Es hänge schließlich auch davon ab, wie groß der Raum und die Fenster sind und wie weit sich diese Fenster öffnen lassen. Wann es jemandem kalt wird und wann die Luft als frisch empfunden wird, das sind subjektive Eindrücke. Die CO2-Ampel liefere eine objektiv begründete Handlungsanweisung, erklärt die Politikerin. Die Domscheit-Bergs geben ihre Ampeln zum Materialkostenpreis von 40 Euro an Schulen und Kitas ab. Allein 16 Euro kostet der Sensor. Einen Schwung von 450 Bauteilen hat Daniel Domscheit-Berg gerade in China bestellt, weil der europäische Markt inzwischen leergefegt ist.

Ein reichliches Dutzend Ampeln sind schon fertig, für 50 Stück alle Teile beisammen. 170 Gehäuse liegen bereit. Die Gehäuse werden in der Werkstatt im 3D-Druckverfahren hergestellt, das Plexiglas für die vordere Abdeckung wird mit Lasercuttern zugeschnitten. Im Produktionsprozess können die mithelfenden Schüler lernen, mit der Technik umzugehen. Doch nicht nur das. Sie lernen auch, etwas Nützliches so zu basteln, dass dabei die Ressourcen geschont werden. Für den Stromanschluss werden nämlich alte Kabel zum Aufladen von Mobiltelefonen recycelt. Benutzt werden nur die genormten USB-Anschlüsse auf der einen Seite. Die Anschlüsse auf der anderen Seite, die ins Telefon gesteckt werden, hängen vom Herstellertyp ab und ändern sich immer wieder, weshalb sie oft nicht weiter zu verwenden sind. Aber diese Seite wird abgeschnitten, das wertvolle Kupfer verlötet. Noch sind solche Kabel auf Lager. Die Domscheit-Bergs würden sich aber freuen, wenn ihnen nicht mehr benötigte Kabel als Spende zugeschickt werden.

Denn die Nachfrage nach CO2-Ampeln Made in Fürstenberg steigt. Es liegen bereits Bestellungen aus Berlin, Cottbus und Potsdam vor, sogar aus Ulm. Sobald genug Material vorrätig ist, soll die Ampel auch als Bausatz zum Selbstbasteln angeboten werden - ebenfalls für 40 Euro, da ein Arbeitslohn bei den fertigen Ampeln nicht im Preis einkalkuliert ist. Erst 2,5 Prozent Kohlendioxid in der Luft sind toxisch, aber schon ab 0,1 Prozent sinkt beim Menschen die Fähigkeit, sich zu konzentrieren. Dass Schüler bei frischer Luft besser lernen können, ist erwiesen. Deshalb wäre es sinnvoll und ratsam, die CO2-Ampeln in den Klassenzimmern weiter zu benutzen, auch wenn irgendwann vielleicht im nächsten Jahr ein Impfstoff das Coronavirus besiegt haben sollte.

Die Linke beantragte am Mittwoch im brandenburgischen Landtag, sofortige Maßnahmen zur Ausstattung von Schulen und Kitas mit Luftfilteranlagen und CO2-Ampeln einzuleiten. Das gehörte zu einem ganzen Paket von Vorschlägen. Eine der Ideen: Dafür zu sorgen, dass mehr Schulbusse verkehren, damit Schüler in den einzelnen Fahrzeugen nicht so dicht aufeinander sitzen. Der Antrag erhielt aber keine Mehrheit.

»Wir brauchen nicht in jedem Klassenzimmer in Deutschland eine CO2-Ampel, die uns nichts anderes sagt, als dass man alle 20 Minuten lüften muss«, wehrte Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) den Vorschlag ab. Umstritten sind nach Angaben von Petra Budke, der Fraktionsvorsitzenden der Grünen, auch die Lüftungsanlagen. »Sie sind sehr laut«, bemängelte Budke, die von Beruf Lehrerin ist. Und wenn bestimmte Fabrikate nicht laut seien, dann seien sie »sehr teuer«.

»Luftreinigungsgräte sorgen nachweislich dafür, dass die Konzentration an infektiösen Partikeln absinkt«, hatte die Linksfraktion argumentiert. Doch der Abgeordnete Dennis Hohloch (AfD) zweifelte das an. Eine Studie, die dies angeblich belege, sei als unwissenschaftlich eingestuft worden. Obendrein sei diese Studie ausgerechnet von einem Hersteller solcher Geräte finanziert worden.

Die rot-schwarz-grüne Koalition jedoch lehnte die Vorschläge der Linksfraktion nicht in Gänze rundweg ab. SPD, CDU und Grüne brachten daher einen eigenen Antrag ein. Dieser sieht immerhin vor, den Einsatz von Luftfilteranlagen in schlecht belüfteten Klassenzimmern wenigstens zu prüfen. Das wurde dann auch so beschlossen.

Günther Fuchs, Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, hält es für unverzichtbar, angesichts der hohen Infektionszahlen »die Zahl der Schülerinnen und Schüler sofort zu reduzieren und in kleineren Lerngruppen zu unterrichten«. Nur die Wiedereinführung und das strikte Einhalten des Abstandgebotes von 1,50 Metern reduziere das Ansteckungsrisiko. »Alle anderen Maßnahmen, wie das Tragen von Masken oder das Lüften, sind unterstützende Maßnahmen, deren Wirkung begrenzt ist«, meint Fuchs. Auch CO2-Ampeln seien nur eine ergänzende Maßnahme. »Sie können die Notwendigkeit der Reduzierung der Klassengrößen und das Abstandsgebot nicht ersetzen. Sie dürfen es auch nicht«, betont Fuchs. Abgesehen davon, dass es bei etwa 760 öffentlichen Schulen im Bundesland eine Ewigkeit dauern würde, bis die Geräte in ausreichender Zahl verfügbar sind.

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