Tanz der Ringe und Monde

Die Galerie Art Cru stellt erstmals die Arbeiten von Sonja Halbfass in Berlin aus

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 3 Min.

Sonja Halbfass’ Bilder sind Visionen und Fantasieschauspiele von einer ungeheuren Imaginationskraft: Magische Zeichen und Symbole tauchen wie aus traumhaften Abgründen auf und zerfließen im nächsten Augenblick wieder. Aus wie absichtslos gesetzten Strichen und Formen ergibt sich das Bildzeichen, mal das einer »Love Parade« (1997), eines »Kraftwerks« (1998) mit seinen bedrohlichen Auswirkungen oder »Tanzender Figuren« (1998), mal eines imaginären »Inneren Gartens« (2010), Ort der Ruhe und des inneren Friedens, aus dem man - zurückgekehrt - sich wieder des Raumes um uns herum bewusst werden soll. Es sind Bilder voller Fabulierlust zwischen wacher Wahrheit und Traum, Bilderlebnisse, die mitunter zu Rätseln werden. Es gibt auch Arbeiten, die den Gegenstand gänzlich verbannen und in denen sich die Farben sanft wie verschwommene Lichtquellen im Nebel vor dem Auge entfalten. Die Analogie zum Prozess der Schöpfung, des Werdens und Aufblühens aus dem Dunkel bleibt hier offen und kann vom Betrachter verschieden erlebt werden.

Die Galerie Art Cru, seit 2008 die einzige Galerie für Outsider-Kunst in Berlin, zeigt jetzt erstmals in einer Einzelausstellung die magischen Bildschöpfungen der Malerin Sonja Halbfass, die, gebürtig in Eschwege (Hessen), ihre Schul- und Hochschulzeit in den USA verbrachte und 1989 wieder nach Deutschland zurückkehrte. Seitdem lebt sie in Berlin in verschiedenen Wohnformen, gegenwärtig im psychologisch betreuten Apartmentwohnen.

Mit dem Begriff des »inneren Gartens« wird etwas Sicheres, Geschütztes, Ausgewähltes verbunden. Er geht zurück auf den Hortus conclusus, den geschlossenen, eingefriedeten Garten, ein Bildmotiv der mittelalterlichen Bildenden Kunst. Bei Sonja Halbfass symbolisiert »Innerer Garten« einen Sehnsuchts- und Rückzugsraum im Grünen, er gewährt Schutz vor den Umbrüchen der Zeit. Welchen Stellenwert hat der »innere Garten« in unserer Sinn- und Seelenlandschaft? Es ist bei der Malerin immer ein Wandeln durch die Begriffswelt und durch den Metagarten der wandelbaren Sinngestalten.

In »Leben einer Frau« (1998) bleibt das Abbildhafte in der Natur dieser Zeichen erkennbar und verdichtet sich zum psychisch-assoziativen Element. Frauenfiguren in unterschiedlichen Haltungen und Stellungen, selbstbewusst den Betrachter anblickend, aber auch wie Hilfe suchend; sie handeln so aus dem Bild heraus, während sie gleichzeitig in einer Handlung im Bild beteiligt sind, die kreatürliches Schicksal spiegelt. Die Künstlerin verzichtet auf Selbstinterpretation und identifiziert sich so ganz mit den Gestalten ihrer Bildwelt, die alle Skalen der Empfindung und Stimmung beherrschen, von melancholischer Traurigkeit bis zu provozierender Herausforderung.

Das Werk »Tanz um Saturn« (2004) wirft einen Blick in den Sternenhimmel. Die Raumsonde Cassini, die die Nasa in die Weiten des Weltalls entsandte, hat Hunderttausende Fotos vom Planeten Saturn, seinen Ringen und seinen unzähligen Monden zur Erde geschickt. Sonja Halbfass gestaltet einen beeindruckenden Tanz der Monde Saturns und des Planeten selbst. Tanz ist die universelle Sprache der Welt, Quellkraft für unseren Alltag. Und dieser Tanz der Ringe und Monde hat Bezug zu bestimmten Lebensfunktionen und -rhythmen, die sich bei allen Menschen finden. Jeder Tag hat bestimmte Kraftzentren, die uns zur Verfügung stehen. Und die Bahnen des Planeten fordern die Struktur des Lebens jedes Einzelnen heraus.

In der Kunstgeschichte hat sich der Begriff »Wimmelbild« durchgesetzt, auf dem - wie in den meisten Bildern von Sonja Halbfass - die Paradoxien der Zeitlichkeit darstellbar sind, ein bezugloses Nebeneinander und gleichzeitiges Nacheinander von erzählender Darstellung und augenblickhaft eingefrorenen Handlungen. Die Malerin erreicht eine Komplexität der Betrachtung, die sich schauend und denkend vollzieht. Eine Bildwelt zwischen Nah und Fern, zwischen Nahaufnahme des Details und der von fern gesehenen »kosmischen« Landschaft. Aber eigentlich wollen sie Manifestationen der Seele sein.

»Sonja Halbfass«, online ab 19.11. unter: www.art-cru.de; physisch 24.11. bis 21.1.2021 (nach telef. Absprache) in der Galerie Art Cru, Oranienburger Straße 27 in Berlin.

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