Das nehmen wir nicht mehr hin

Ausbeutung, Täterschutz und keine Unterstützung vonseiten der Politik: Dieses Jahr hat gezeigt, was Deutschland wirklich ist

  • Ayesha Khan
  • Lesedauer: 3 Min.

Alle posten zur Zeit überall ihre Jahresrückblicke, und ich habe jetzt schon keine Lust mehr. Ich habe keine Lust auf die Bilder aus dem Homeoffice. Ich möchte keine Bananenbrote und Dalgona-Kaffees mehr sehen. Ich habe einfach keine Lust mehr darauf. Denn während sich gefühlt alle darum bemühen, die guten und positiven Seiten der Pandemie aufzuzeigen und künstliche Feel-Good-Momente festzuhalten, versuche ich hier irgendwie, nicht endgültig aufzugeben. Denn seien wir mal ehrlich, dieses Jahr war einfach scheiße. Mir kann niemand was anderes erzählen. Hier und da mag der eine oder die andere persönliche Highlights erlebt haben, aber was hat uns dieses Jahr eigentlich gebracht? Nichts, außer noch mehr Traumata und die Gewissheit, dass die Schwachen, ohnehin Ausgegrenzten und Ausgebeuteten, die Schutzbedürftigen und Hilfesuchenden sich auch während einer Pandemie nicht auf die Solidarität dieser Gesellschaft verlassen können.

Von Hanau bis Moria, von den Intensivstationen zu den Pflegeeinrichtungen, den Kitas, Spargelfeldern und Tönnies-Schlachtfabriken wird klar: Sie nennen dich »systemrelevant«, klatschen einige Tage auf Balkonen für dich - aber wehe dir, wenn du es wagst, für deine Rechte oder deine Gesundheit zu kämpfen oder dich zu organisieren. Ich habe keine Lust mehr. Dieses Schönreden muss ein Ende haben: der Status quo dieser Gesellschaft ist rassistisch, antisemitisch, klassistisch, sexistisch, ableistisch und queerfeindlich. In diesem Land wird Politik auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen.

So dachte ich immer, dass ich es Deutschland nie verzeihen kann, wie die Sicherheitsbehörden mit den Familien und Hinterbliebenen der NSU-Morde umgegangen sind. Doch als im August der Bürgermeister von Hanau die Demonstration und Kundgebung sechs Monate nach dem Terroranschlag von Hanau, am Vorabend des 22. August, trotz eines mit der Stadt entwickelten Hygienekonzepts verbot, war ich dann doch sehr verwirrt. Wie konnte das denn sein? Was muss in den Köpfen von Menschen vorgehen, die eine so wichtige Gedenkveranstaltung so kurzfristig verbieten? Noch immer frage ich mich: Wie kann der Bürgermeister von Hanau nachts überhaupt schlafen?

Wie kann er nachts schlafen - denn ich kann es seit dem 19. Februar nicht mehr. Und wie mir geht es so vielen Menschen in Deutschland. Hanau, dachten wir, muss zur Zäsur werden. Doch während Überlebende, Hinterbliebene, Freund*innen und Unterstützer*innen alles für Aufklärung und Gedenken tun, bleibt es bei denen, die politisch tatsächlich auch etwas verändern könnten, bei reinen Lippenbekenntnissen.

Zu viele offene Fragen. Bislang keine Antworten von den zuständigen Behörden. Und die Konsequenzen? Ich sehe bisher keine. Jede Woche wird ein neues rechtes Netzwerk bekannt, ein neues Waffenlager ausgehoben.

Ich habe keine Lust mehr. Ich habe keine Lust mehr, mich zu wiederholen. Auf die Menschen hinzuweisen, die sich seit Jahren gegen rechte, rassistische und antisemitische Gewalt engagieren, Opfer, Betroffene und Hinterbliebene betreuen. Denn spätestens seit dem NSU-Komplex wissen wir: Deutschland betreibt Täterschutz. Und das nehmen wir nicht mehr hin. Wir sind nicht still. Wann immer wir können, wo immer wir können: Wir werden das Versagen dieser Politik thematisieren.

Wir führen keine rassistischen Diskussionen mehr. Wir lassen keine Diskursverschiebung mehr zu. Wir lassen nicht zu, dass ihre Namen vergessen werden. Es darf kein zweites Halle, kein zweites Hanau geben. Und die Kraft für diese Kämpfe schöpfen wir, indem wir voneinander lernen.

In meinem Kopf höre ich deshalb immer wieder die Worte von Serpil Temiz, der Mutter von Ferhat Unvar, die kürzlich die antirassistische Bildungsinitiative Ferhat Unvar gegründet hat: »Der Rassismus soll keine andere Familie mehr zerstören.«

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