Diversität kommt durch Politik von unten

Nicht nur bei Kampagnen gegen Leiharbeit sind die Perspektiven migrantischer Menschen entscheidend, sagt Bafta Sarbo

  • Kofi Shakur
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie haben auf Twitter mitgeteilt, dass Sie nicht in der Interventionistischen Linken, IL, mitmachen, weil Sie Schwarz sind. War das ernst gemeint?

Der Post war in dieser Form natürlich ein Scherz, aber er funktioniert, weil auch viele (post)autonome linke Gruppen sehr homogen sind in ihrer Zusammensetzung. Ich denke, viele Linke betreiben zwar keinen bewussten Ausschluss, aber es gibt strukturelle Gründe. Einer ist ein oft eher instrumentelles Verhältnis zu nichtweißen oder migrantischen Menschen. Da wird dann zwar die Zusammensetzung problematisiert und es wird versucht, die Gruppe »diverser« zu machen, aber genau das ist häufig das Problem.

Bafta Sarbo

Die Aktivistin studiert Sozialwissenschaften in Berlin und arbeitet zum Verhältnis von Marxismus und Antirassismus. Sie ist Vorstandsmitglied in der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland und befasst sich dort mit Racial Profiling, Migrationspolitik und Rassismen in Deutschland. Für die Rosa-Luxemburg-Stiftung leitet sie Lesekurse zum Marxschen »Kapital«.

Ich saß mal auf einem Antifa-Plenum, wo die fehlende Diversität angesprochen wurde. Sie drehten sich dann zu mir und sagten, alle seien sehr froh, dass ich da bin. Ich bin dann nie wieder zu einem Treffen gegangen. Ich bin nicht da, um ihnen mit meiner Anwesenheit das Gefühl zu geben, sie seien antirassistisch.

Nichtweiße Menschen werfen der »deutschen Linken« oft vor, dass bestimmte Szenecodes oder Diskurse ausschließend seien. Ist das berechtigt?

Zum Teil. Mit Szenecodes will man sich natürlich bewusst von der Gesellschaft abgrenzen, weil man zum Beispiel »Bürgerlichkeit« ablehnt. Aber das wollen sich viele migrantische Menschen, die ohnehin gesellschaftlich marginalisiert sind, nicht auch noch leisten. Ich halte diese bewusste ästhetische Abgrenzung aber auch für politisch falsch. Wir wollen die Bevölkerung ja organisieren und nicht uns über sie erheben.

Mit Blick auf Ex-US-Präsident Barack Obama und die neue Vizepräsidentin Kamala Harris haben Sie gesagt, Repräsentation Schwarzer Menschen reiche nicht, wenn am Ende reaktionäre Politik gemacht wird. Wie müsste »richtige Politik« aussehen?

Es darf zum Beispiel nicht Identität in den Vordergrund gestellt werden. Erfahrung und Inhalt sollten entscheidend sein. Ich lehne Diversitätspolitik zwar ab, aber es ist auch nicht völlig egal, wer agiert und spricht. Deshalb ist es natürlich ein Problem, wenn die meisten (post)autonomen Gruppen aus Menschen ohne Rassismuserfahrung bestehen. Man muss Politik machen, die die Interessen der Menschen vertritt, die in der Gesellschaft unten stehen. Wenn ich zum Beispiel eine Kampagne gegen Leiharbeit mache und versuche, die Arbeiter zu organisieren, werden sie zum großen Teil Migranten mit wenig Deutschkenntnissen sein. Mein Umfeld ist »divers«, weil wir Politik machen, die die Gesellschaft von unten her denkt. Dazu braucht man keine Diversity-Konzepte - das ist ohnehin Managerideologie, die verschleiern soll, dass rassistische Ausschlüsse im System angelegt sind. Die mehr als 50 Prozent der Schwarzen Kinder in den USA, die in Armut leben, oder die Schwarzen Menschen in Libyen, die durch Obamas Bombardements gestorben sind oder jetzt auf Sklavenmärkten sitzen, haben nichts davon, dass es ein Schwarzes Gesicht war, das den US-Imperialismus anführte.

Besonders in den USA gibt es einen Diskurs über Schwarzen Marxismus, der sich durch die Widerstandserfahrungen Schwarzer Menschen vom »restlichen« Marxismus unterscheidet. Gibt es auch in Deutschland einen Schwarzen oder migrantischen Marxismus?

Ich denke, dass Marxismus als politische Theorie trotz einer antikommunistischen Hegemonie überhaupt noch existiert, ist wesentlich auf seine Verankerung in globalen antikolonialen Kämpfen zurückzuführen. Diese Kontinuität wird von vielen migrantischen Menschen in Deutschland, die vor politischer Verfolgung in ihren Herkunftsländern geflohen sind, auch noch hochgehalten. Die 1.-Mai-Kämpfe der 80er/90er Jahre wurden ja vor allem von Kommunisten getragen, die aus der Türkei geflohen waren und hier die Revolution organisieren wollten. Meine Genossen sind auch zum großen Teil über ihre Eltern politisiert worden, ob es Bezüge aus Afrika, Lateinamerika oder dem Nahen Osten sind. Das heißt: Ja, es gibt ihn bedingt, diesen migrantischen Marxismus. Aber er stellt nicht etwa wie beim Schwarzen Marxismus eine eigene theoretische Tradition dar. Aber das ist vielleicht auch nicht schlimm, weil der Schwarze Marxismus durch seine Akademisierung theoretisch sehr von liberaler Seite vereinnahmt wurde, die den universalistischen Anspruch des Marxismus ausklammert und ihn auf seine identitätspolitischen Anteile reduziert.

1930 gab der Schwarze Kommunist George Padmore in Hamburg für die Komintern die Zeitung »The Negro Worker« heraus, in den 70ern besetzten Gastarbeiter*innen Betriebe. Werden diese Erfahrungen heute noch berücksichtigt?

Auf die wilden Streiks wird oft theoretisch Bezug genommen, aber es gibt da kaum Kontinuitäten in der Organisierung im Sinne des Weitertragens von Erfahrungen, die in eine konkrete Praxis übergehen. Auf die antikoloniale Organisierung Schwarzer Kommunisten in den 20er Jahren in Deutschland wird dagegen kaum Bezug genommen, und sie ist vielen auch gar nicht bekannt. Das hat sicherlich damit zu tun, dass die Arbeiterbewegung vom Naziregime zerschlagen wurde und ihre Geschichte heute eher historisiert erzählt wird.
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