• Politik
  • 2000-Dollar-Direktgeldzahlungen

Von der linken Idee zu Bidens Schecks

In der Coronakrise haben Direktgeldzahlungen in den vergangenen Monaten eine beachtliche Karriere hingelegt

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 7 Min.

Eine linke Randidee ist in den vergangenen Monaten in den USA in das Zentrum der Debatte um Hilfen in der Coronakrise gerückt, besser gesagt: aktiv gepusht worden. »Twitter ist nicht das reale Leben«, hatten moderate Demokraten 2019 mahnend bis hämisch den online besonders aktiven und auch im besagten Kurznachrichtendienst überrepräsentierten Anhängern von Bernie Sanders angesichts seiner Vorwahlniederlage entgegengehalten.

Doch manchmal kann linker Onlineaktivismus erfolgreich sein, könnte man als Erkenntnis aus 2020 hinzufügen. Monatelang machte die Parteilinke mit Tweets, Memes und zynischen Kommentaren - kurz einer regelrechten Kampagne - für die »2000-Dollar-Schecks« mobil. Nun könnten sie bald Realität werden.

Teller und Rand - der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Nach den 600-Dollar-Direktgeldzahlungen, die Ende Dezember im US-Kongress beschlossen wurden, soll es unter Joe Biden noch einmal 1400 Dollar für jeden US-Amerikaner geben, als Teil des 1,9 Billionen Dollar schweren Hilfspakets des neuen Präsidenten gegen die Corona-Pandemie. Damit ist laut der Logik des Biden-Teams das Versprechen von 2000 Dollar erfüllt.

»2000 Dollar heißt 2000 Dollar und nicht 1400«, fasste die progressive Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez gegenüber der »Washington Post« ihre Kritik daran zusammen. Zusammen mit anderen Parteilinken machte sie Druck für höhere Zahlungen, wie bereits in den Vormonaten.

Schon seit Monaten sind Direktgeldzahlungen Teil der politischen Debatte in den USA. Das große parlamentarische Hilfspaket gegen die Coronakrise vom März 2020, der CARES-Act, enthielt sie wegen des Drucks von progressiven Demokraten: Direktgeldzahlungen in Höhe von 1200 Dollar für Erwachsene und 500 für Kinder. Damit war das Konjunkturstimulus-Instrument Teil der »public imagination«. Die US-Linke machte sich sogleich daran, erneute »Schecks« zu fordern - und noch größere.

Der demokratische Sozialist Bernie Sanders forderte gar, ähnlich wie die deutsche ZeroCovid-Initiative, die eine konsequente Corona-Eindämmung begleitet von massiven sozialstaatlichen Maßnahmen propagiert, monatliche Zahlungen für den Verlauf der Pandemie in Höhe von 2000 Dollar. Damit verbunden werden sollte eine kostenlose Pandemie-Gesundheitsversorgung. Die 2000 Dollar-Direktgeldzahlungen wurden zur griffigen Parole.

Bei den Verhandlungen im US-Senat über ein erneutes Hilfspaket gegen die Coronakrise im Herbst vergangenen Jahres gossen die Republikaner, die eigentlich nur Unternehmen helfen wollten, reichlich Wasser auf die Idee. Moderate Demokraten wie Joe Biden machten nur zu gerne Zugeständnisse. Beim kurz vor Weihnachten parteiübergreifend ausgehandelten Coronakrisen-Hilfspaket war nur noch eine Direktgeldzahlung in Höhe von 600 Dollar übrig geblieben.

Doch die darauf folgende Intervention von Donald Trump, der im Zuge einer Fehde Mitch McConnell, dem Top-Republikaner im US-Senat, eins auswischen wollte, sorgte quasi über Nacht für eine neue politische Dynamik. Die 600 Dollar seien »lächerlich niedrig«, erklärte Trump. Nur Stunden später reagierte die Parteiführung der Demokraten um Nancy Pelosi und Chuck Schumer, setzte die Republikaner unter Druck, erklärte, nun könne man ja »parteiübergreifend« 2000 Dollar beschließen. Die Parteilinke Ocasio-Cortez schrieb in Windeseile einen kurzen Gesetzesentwurf dazu.

Im US-Senat erklärte Bernie Sanders, die dringend benötigte Verabschiedung des Haushaltsgesetzes mit Verfahrenstricks so lange zu verzögern, bis es zu einer Abstimmung über die Schecks komme, musste aber kurz vor Silvester nachgeben. Die Demokraten-Kandidaten in Georgia, Jon Ossoff und Raphael Warnock, machten offensiv Wahlkampf mit der Maßnahme.

Auch Joe Biden machte sich nun die Idee zu eigen, erklärte, wenn die Demokraten in Georgia gewinnen würden »gehen die Schecks raus«. Ossoff und Warnock gewannen tatsächlich, was Politstrategen als Beweis für die Wirksamkeit von progressiven Messaging und »universaler« Sozialpolitik sehen. Wann die Schecks tatsächlich beschlossen werden, ist aber noch unklar.

Über 400 Milliarden US-Dollar kosten die Schecks an alle Amerikaner. Um den Jahreswechsel herum debattierten liberale und linksliberale Ökonomen, ob es nicht bessere Wege gäbe, leidenden US-Amerikanern zu helfen, die stärkere Finanzierung von Sozialprogrammen für vermeintlich »wirklich Bedürftige« etwa. Tatsächlich gibt es auch das, so wurde etwa das Lebensmittelmarkenprogramm SNAP um 15 Prozent aufgestockt - eine Maßnahme, die Neu-Präsident Joe Biden verlängern will. Barack Obamas Ex-Finanzminister Larry Summer erklärte, die Zahlungen seien »eine schreckliche Idee«.

Der Ökonom Paul Krugman steht der Idee skeptisch gegenüber. Er argumentierte resigniert, mehr Hilfe für Arbeitslose sei eigentlich wichtiger, aber nicht populär genug und »politisch unsichtbar«. Die Schecks würden helfen, dass ein Hilfspaket mit zahlreichen anderen Maßnahmen für Bedürftige Akzeptanz in der Bevölkerung habe.

Linke Befürworter der »Schecks« hielten dagegen, diese würden anders als Sozialstaatsprogramme mit komplizierten und teils demütigenden Anträgen, die manch Berechtigte abschrecken oder überfordern, schnell und unkompliziert Hilfe bereitstellen.

Der linke Think Tank Institute for Taxation And Economic Policy (ITEP) hat in einer Analyse errechnet, wie stark gerade Geringverdiener von den 2000-Dollar-Direktgeldzahlungen profitieren würden. Die ärmsten 20 Prozent der US-Amerikaner mit einem Jahreseinkommen von weniger als 21 000 Dollar würden demnach gesehen auf das Jahr 29 Prozent mehr Geld zur Verfügung haben. Die untersten 60 Prozent zusammen immerhin elf Prozent.

Anders als Sanders und die Anhänger der neosozialdemokratischen Modern Monetary Theory, die in den USA mittels schuldenfinanziertem Sozialstaatsinvestment Hilfe leisten und gleichzeitig Wirtschaftswachstum generieren wollen, gehen Krugman und der Demokraten-Senator Joe Manchin von einem »begrenzten Kuchen« aus, von knappen Haushaltsgeldern, die es zu verteilen gebe.

»Absolut nicht«, erklärte Manchin auf die Frage eines »Washington-Post«-Journalisten, ob er die 2000-Dollar-Direktgeldzahlungen unterstütze. Gelder für eine schnellere Corona-Impfung bereitzustellen sei wichtiger. Und er benutzte auch ein Argument, mit dem viele Republikaner gegen die Schecks zu Felde ziehen: Es sei doch unvermittelbar, dass auch Wohlhabende 2000 Dollar erhalten würden - dabei werden die Schecks ab einem Jahreseinkommen von über 75 000 Dollar in drei Schritten reduziert.

Weil die Demokraten im US-Senat mit der Vereidigung der neuen Demokraten-Senatoren aus Georgia und mit Hilfe der Stimme von Vize-Präsidentin Kamala Harris nur eine knappe Mehrheit von 51 zu 50 Stimmen haben, ist Manchins Stimme möglicherweise entscheidend. In der Vergangenheit konnten Moderate wie er über die Drohung der Nicht-Zustimmung Zugeständnisse im eigenen Sinn erreichen.

Auch wenn es vielleicht einige wenige Republikaner-Stimmen im US-Senat geben könnte - der sozialpopulistische Konservative Josh Hawley etwa hat sich in der Vergangenheit für die Schecks ausgesprochen: Die Reaktion von Parteilinken auf Machins Äußerungen kamen schnell und sie waren wütend.

»Die Demokraten haben keine Zeit, ihre Agenda um die Wünsche von Joe Manchin herum zu stricken«, erklärte Corbyn Trent. Der Ex-Pressesprecher von Ocasio-Cortez hat mit anderen Progressiven den linken Super Pac »Keine Ausreden« gegründet, der Radioanzeigen gegen Manchin in seinem eher konservativen Heimatstaat West Virginia schalten will. Darin wird der Senator als Bremsklotz für eine Idee dargestellt, die »selbst Präsident Trump unterstützt«.

Schon kurze Zeit später ruderte Manchin zurück - offenbar angesichts des Backlash gegen seine Aussage und der parteiübergreifenden Popularität der Zahlungen. Umfragen zeigen hohe Zustimmung unter allen Wählergruppen, also Demokraten, Unabhängigen und Republikanern. Manchin erklärte im CNN-Interview ausweichend, er sei dafür, »den Amerikanern zu helfen«. Ob Manchin im Zweifelsfall der einzige Demokrat sein wird, der gegen das Vorhaben stimmt, scheint zweifelhaft. Ob die Demokraten das Risiko eingehen allerdings auch.

Wirklichkeit könnten die 1400-Dollar-Schecks genau wie das gesamte Programm von Joe Biden gegen die Coronakrise entweder im normalen parlamentarischen Prozess mit Republikaner-Leihstimmen im US-Senat oder über die parlamentarische Technik des »budget reconciliation« werden, die Verabschiedung per Haushaltsgesetzgebung. Die soll laut Biden-Team schnell angewendet werden, wenn sich nicht genügend Republikaner-Stimmen finden.

Experte in der Anwendung dieser Haushaltsabstimmung, die nur eine einfache Mehrheit von 51 Stimmen erfordert, ist der neue Vorsitzendes des Senatshaushaltsausschusses, Vermonts Senator Bernie Sanders. Ende März könnte es so weit sein, wenn auch vielleicht in abgespeckter reduzierter Form, wenn sich Moderate wie Manchin durchsetzen.

Lesen Sie auch: Joe Biden will mit der Politik von Donald Trump brechen. Doch das wird nicht immer leicht sein

Im Repräsentantenhaus haben die Demokraten mit nur 221 Abgeordneten seit Jahresbeginn zwar eine schmale Mehrheit, doch vor Weihnachten stimmten auch 44 Trump-treue Republikaner für den CASH-Act zur Auszahlung der Direktzahlungen. Weil zwei Dutzend Republikaner lieber nicht gegen die Zahlungen stimmen wollten und nicht erschienen, bedeutete das damals eine Zweidrittel-Mehrheit für das Projekt. Nur zwei konservative Demokraten votierten mit »Nein«, aber 231 mit »Ja«.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal