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»Basecap? Kapuzenpulli? - Ausweis bitte«

Jan Delay über soziale Distanz, Capital Bra und sein neues Album, das ohne Corona-Song auskommt

  • Jakob Buhre
  • Lesedauer: 7 Min.

Dauerkrise im Kultursektor - konnten Sie der Corona-Zeit irgendetwas Positives abgewinnen?

Das einzig Gute war die Entschleunigung und das Zusammensein mit meiner Familie, mehr Zeit zu haben. Aber je länger die Einschränkungen andauern, desto mehr nervt diese Situation. Mittlerweile hätte ich gerne weniger Zeit.

Jan Delay
macht Rap und Funk. Reggae und Rock hat er auch schon gemacht. Egal, welches Genre, man merkt stets, dass er der Sänger ist. Für den »Spiegel« ist er »der einzige wirkliche Schüler Udo Lindenbergs. Inklusive Privatsprache und sofort erkennbaren Singsangs«. Ende der 90er Jahre wurde er bekannt mit der Hamburger Rapformation Beginner und ihrem Hit »Liebes Lied«. Diesen Freitag erscheint sein neues Album »Earth, Wind & Feiern« bei Vertigo Berlin/Universal Music. Mit Jan Delay sprach Jakob Buhre.

Viele haben die Corona-Krise als »Brennglas« bezeichnet. Was ist Ihnen besonders aufgefallen?

Natürlich ist das Social Distancing krasser geworden, die Leute haben jetzt gemerkt, dass sie auch ihren Yogakurs per Zoom-Konferenz machen können. Der Einzelhandel fing schon vor vielen Jahren an, zu sterben - und obwohl die Shopping-Malls früher als Inbegriff des kulturellen Untergangs gesehen wurden, gibt es heute Kulturhistoriker und Leute wie mich, die den Malls nachweinen, weil sie ein Ort von menschlicher Zusammenkunft waren. Jetzt gehen alle in Einzelhaft mit ihrem Handy, das wurde durch Corona noch mal befeuert.

Jetzt erscheint Ihr Album »Earth, Wind & Feiern«, das eigentlich schon im März 2020 fertig war...

...drei Tage vor dem ersten Lockdown.

Waren Sie seitdem noch mal im Studio?

Sehr wenig. Ich habe in der Corona-Zeit gemerkt, dass ich mich nicht wirklich locker machen und nicht kreativ sein konnte. Bei all dem Scheiß, der durch Corona passiert ist, muss man nicht auch Musik machen, die einen dann runterzieht.

Also trotz Album-Verschiebung kein Lockdown-Song.

Nein. Wenn du dich an etwas orientierst, was so kurzzeitig Thema und ein so kleiner Zeitabschnitt ist, wird dein Song genauso schnell wieder veraltet sein. Eine Dubstep-Snare zum Beispiel kannst du heute immer auf 2012 datieren, genauso wäre es mit einem Corona-Song. Außerdem hatte ich keine Lust, dieser tollen Platte, welcher von der Pandemie so in den Arsch getreten wurde, nachträglich noch einen Corona-Floh in den Pelz setzen. Ich will lieber Musik machen, die motiviert, euphorisiert, die Kraft gibt, damit man diese Scheiße anpacken kann.

Im Song »Alexa« arbeiten Sie viel mit Autotune. Ist das nicht ähnlich vergänglich wie Dubstep?

Nein. Es gibt in der Musik ein paar Stilmittel, die kommen und die gehen nicht wieder, dazu zähle ich Autotune. Das ist zeitlos, bekommt immer wieder neue Impulse, kehrt in den abstrusesten Erscheinungsformen zurück, kombiniert mit anderen Effekten. - Genauso kann es aber auch sein, dass es in zwei Jahren als der letzte Schrei gilt, Vocals komplett ›nackt‹, ohne Effekte einzusingen.

Beim ersten Hören klingt »Alexa« ein wenig wie die Parodie eines bekannten Rappers...

Nein, das ist keine Parodie, sondern meine Interpretation davon, wie momentan Musik klingt, die von Clubsound, Trap und Afro-Karibik inspiriert ist. Mit normaler Stimme hätte dieser Song komisch geklungen. Dann machst du Autotune drauf und es klingt sofort stimmig.

Ist denn jemand wie Capital Bra eine Inspiration für Sie?

Nicht in musikalischer Hinsicht. Doch er ist eine Wegmarke, beim Thema Deutsch-Rap 2018 bis 2020 kommt man um seinen Namen nicht herum, der hat alle getoppt. Er ist gut, kommt von »Rap am Mittwoch«, ist durch diverse Battles gegangen - er weiß, was er tut und ich habe großen Respekt vor seinem Arbeitsethos.

Und dann bringt er auch noch seine eigene Pizza raus und rappt dazu »ich bin kein Rapper aus Amerika, aber meine Pizza gibt es jetzt bei Edeka, be-le-le-legt mit Käse«. Krasser Typ!

In »Spaß« singen Sie über »besorgte Bürger« und deren Ablehnung anderer Kulturen. Wo haben Sie zuletzt »besorgte Bürger« persönlich erlebt?

Auf Tour, häufig in Ostdeutschland, aber auch im Süden und Westen. In Hamburg, wo ich in einem traditionell linken Stadtteil lebe, habe ich noch nie so einen Vorfall erlebt.

Was für Vorfälle meinen Sie?

Rassistische Kommentare über Bandmitglieder, skeptische Blicke aufgrund meines Äußeren... Auch willkürliche Polizeikontrollen: In Bayern zum Beispiel ist das ganz normal, dort bin ich in den letzten 20 Jahren diverse Male aus dem Zug rausgeholt oder am Bahnhof kontrolliert worden. Basecap? Kapuzenpulli? Ausweis bitte!

Vor knapp 30 Jahren haben Sie mit den Beginnern gerappt: »Denn die deutschen Polizisten beschützen die Faschisten«. Ist die Zeile für Sie noch aktuell?

Die Zeile war damals genauso vage wie sie es heute wäre. Andererseits kann man sie heute genauso mit Fakten untermauern wie damals. Ich habe letztes Jahr Aufnahmen vom Alexanderplatz gesehen, wie dort ein Afro-Deutscher mit Knüppeln zusammengeschlagen wurde - von fünf Polizisten.

In dem zitierten Song »K.E.I.N.E.« von 1992 hatten Sie ja auch einen bekannten Satz von der Punkband Slime übernommen.

Nein, das stimmt so nicht ganz. Wir hatten die Zeile von dort, wo auch Slime sie her hatten: von den Demos. Den Song »Bullenschweine« kannten wir damals gar nicht. Aber ich liebe Slime.

Slime-Frontmann Dirk Jora kritisierte 2020 in dieser Zeitung, dass der Staat einerseits viele Millionen für eine Elbphilharmonie ausgibt, Clubs hingegen für eine Monatsmiete »sehr lange betteln« müssten. Vermissen Sie als Künstler manchmal staatliche Unterstützung?

Es gibt zumindest ein paar Dinge, wo ich auf Hamburg sauer bin, diese Pfeffersack-Stadt, die wirklich Kohle hat. Man rühmt sich immer als Kulturstandort, aber wenn es dann um bestimmte Orte und Institutionen geht, die Leute aus Leidenschaft aufgebaut haben, die verdrängt werden oder drohen, pleite zu gehen - da springt die Stadt nie ein. Das Gänge-Viertel würde es so heute nicht mehr geben, wenn da nicht noch mal eine der letzten Hausbesetzungen dieses Jahrtausends stattgefunden hätte. Viele Clubs mussten schließen oder sind von Schließung bedroht, wie zum Beispiel an der Sternbrücke, wo das Cover von »Wir Kinder vom Bahnhof Soul« entstanden ist.

Haben Sie sich als Künstler in der Pandemie-Zeit unterstützt gefühlt, von Gesellschaft und Politik?

Nein, gar nicht. Ich persönlich brauche auch keine Unterstützung, weil ich das Glück hatte, dass ich in den letzten Jahrzehnten viel arbeiten und auch etwas zur Seite legen konnte. Aber wenn ich auf meine Branche gucke, Musiker, Booking-Agenturen, Techniker - all die tausend Jobs, die es im Live-Geschäft gibt, da habe ich nirgendwo gehört »cool, dass wir in Deutschland leben«. Leider nicht.

Till Brönner beklagte Ende 2020 in einer Videobotschaft, Künstler würden sich nur »auffällig verhalten und geradezu übervorsichtig« zur Corona-Krise äußern. Warum war das so?

Weil es natürlich schwierig ist, sich öffentlich hinzustellen und zu klagen, wenn man selbst weiß, wieso die Bühnen zu sind. Was soll die Regierung denn antworten? Till Brönner hat das sehr gut gemacht, finde ich, aber das einfach nur zu wiederholen, wäre sinnlos gewesen. Als gut verdienender Musiker wirst du auch schnell schief angeguckt - »der kann sich doch nicht beklagen«. Insofern wäre es sinnvoll, wenn Beleuchter, Bühnentechniker usw. solche Videos gemacht hätten. Haben sie vermutlich auch, nur guckt die kaum jemand.

Hatten Sie im Bekanntenkreis Menschen, die in der Corona-Zeit verschwörungsgläubig geworden sind?

Nein, Gott sei Dank nicht. Bei manchen Freunden habe ich emotionale Reaktionen bemerkt, die so vorher nicht da waren, aber das fand ich angesichts der Situation verständlich. Diese krass andere Lage hat uns allen etwas abverlangt, erst die Angst vor dem Virus, dann Existenzangst, die Isolation... Ich verstehe, wenn da mal jemand kurz abdreht. Es gab aber in meinem Umfeld niemand, der auf einmal dem ganzen Schwurbel-Aluhut-Quatsch hinterhergelaufen ist.

Sie haben vor vielen Jahren auch mit Xavier Naidoo zusammengearbeitet. Haben Sie noch Kontakt zu ihm?

Nein. Das letzte Mal habe ich ihn vor drei Jahren gesehen, beim Unplugged-Konzert von Samy Deluxe. Da haben wir uns kurz unterhalten und das war in Ordnung.

Sind Sie schon mal auf Distanz zu früheren Kollegen gegangen, zum Beispiel wegen bestimmter Äußerungen?

Nein. Xavier wäre tatsächlich der erste Fall, es gibt von ihm einige Äußerungen, wo ich gar nicht glauben konnte, dass er so etwas sagt. So, wie ich ihn kennenlernte, ist er ein Antifaschist. Er ist früher selbst rassistisch beleidigt worden und hat sein Leben danach ausgerichtet, anderen Leuten zu helfen und unter die Arme zu greifen. Man darf nicht vergessen, was Xavier Ende der 90er, Anfang der 2000er Jahre in Mannheim alles auf die Beine gestellt hat, wie vielen Menschen er geholfen hat. Das soll jetzt nichts entschuldigen, aber es kann vielleicht erklären, warum ich heute bei einigen Statements von ihm so fassungslos bin. Doch wie gesagt, das ist eine Ausnahme. Natürlich gibt es immer wieder Leute in der Branche, die komische, eklige, befremdliche, ätzende Sachen sagen, zu denen man auf Distanz geht. Aber das sind dann Leute, mit denen ich eben aufgrund solcher Äußerungen nie zusammen Musik gemacht habe.

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