Kampfansage an Vitali Klitschko

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj setzt den Bürgermeister von Kiew unter Druck

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 4 Min.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko - von Anfang an ist das keine Liebesbeziehung. Bereits als Selenskyj im Mai 2019 sein heutiges Amt übernahm, wollte das Präsidialbüro den seit 2014 in der Hauptstadt regierenden Ex-Boxweltmeister entmachten. Doch Klitschko behielt sein Amt und wurde bei den Wahlen im vergangenen Herbst zum dritten Mal wiedergewählt. Nun verschärft sich die Beziehung der zwei landesweit bekannten Ex-Celebrities wieder.

»Vitali Klitschko hat mir persönlich nichts getan. Ich will nichts Schlechtes über ihn sagen«, antwortete Selenskyj während seiner Jahrespressekonferenz in der vergangenen Woche auf eine Frage nach zahlreichen Durchsuchungen, die zuletzt in mehreren Kommunalbehörden und bei Verbündeten Klitschkos stattfanden.

»Die Sicherheitsbehörden haben jedoch jetzt 50 oder 70 Durchsuchungen in seiner Umgebung geführt. Und was kann ich dazu sagen? Ich finde sie gerechtfertigt. Man hätte davor nicht aus dem Haushalt stehlen sollen.« Klitschko warf dem Präsidialbüro darauf in mehreren Statements und Interviews vor, seine Absetzung als Bürgermeister zu betreiben.

Am 18. Mai schauten die Behörden sogar direkt im Wohnblock von Vitali Klitschko vorbei. Obwohl die Durchsuchung nicht in Klitschkos Wohnung stattfand, sondern bei seinen Nachbarn, geht der Bürgermeister nicht von einem Zufall aus. Die Durchsuchungen konzentrierten sich auf die Kiewer Stadtverwaltung sowie weitere kommunale Unternehmen und schlossen auch Räumlichkeiten des Chefs vom Exekutivkomitee der Klitschko-Partei Udar ein.

Mehr als zehn Menschen gelten offiziell als verdächtig. Die konkreten Korruptionsvorwürfe sind zwar nicht bekannt. Quellen aus den Sicherheitsbehörden betonen in ukrainischen Medien jedoch einstimmig, die Anschuldigungen seien durchaus ernst und begründet.

»Die Staatsanwaltschaft hat die Situation systematisch analysiert und Betrugsfälle im Wert von mehreren Millionen Hrywnja festgestellt«, kommentiert Selenskyjs Berater Mychajlo Podoljak die Entwicklungen. »Es geht hier überhaupt nicht um die Politik, sondern um das bösartige Schattensystem in der Stadt Kiew.« Laut Olexander Kornijenko, Chef der Selenskyj-Partei »Diener des Volkes«, sei es zwar gut möglich, dass Klitschko mit diesen Machenschaften juristisch nichts zu tun habe. Sehr wohl könnten aber Menschen aus seiner engen Umgebung verwickelt sein.

Die Machtsituation in Kiew gilt traditionell als kompliziert. Zwar wird der Bürgermeister per Wahl bestimmt. Über die faktischen Befugnisse verfügt jedoch nicht er, sondern der Chef der Stadtverwaltung, welcher vom Präsidenten bestimmt wird. Normalerweise wird der Sieger der Bürgermeisterwahl quasi automatisch auch zum Chef der Verwaltung ernannt. Das muss jedoch nicht zwingend so sein.

So ließ der nach Russland geflohene Ex-Präsident Wiktor Janukowitsch im Jahr 2012 den Kiewer Bürgermeister Leonid Tschernowezkyj entmachten. »Ich bin kein Tschernowezkyj«, warnt Klitschko vor einer Wiederholung dieses Szenarios. »Aber die Regisseure der letzten Ereignisse sind nichts anderes als Nachfolger von Janukowitsch.«

Spannend ist der aktuelle Konflikt vor allem in Hinblick auf die nächsten Präsidentschaftswahlen, die planmäßig 2024 stattfinden sollen. So will Wolodymyr Selenskyj wohl für eine zweite Amtszeit kandidieren, was der Ex-Komiker zuvor kategorisch ausgeschlossen hatte. Aber auch der 49-jährige Klitschko macht keinen großen Hehl aus seinen Ambitionen auf die Präsidentschaft. Allerdings befinden sich seine Umfragewerte aktuell im Bereich von etwa drei Prozent, offiziell angekündigt ist die Kandidatur noch lange nicht.

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Daten des renommierten Soziologie-Instituts Rating Group zufolge ist das Vertrauen in Klitschko in Kiew allerdings höher als in Selenskyj. Auch landesweit schneidet der Ex-Boxer bei der Vertrauensfrage nicht viel schlechter ab. Hinzu kommt, dass Klitschko in der Ukraine tatsächlich jedem bekannt ist. Und so ist es nicht auszuschließen, dass Selenskyj eventuell gezielt Druck auf den Bürgermeister ausübt, um seine Präsidentschaftskandidatur zu verhindern - auch wenn einige der Vorwürfe durchaus stimmen könnten.

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