Geflüchtete weiter von ihren Familien getrennt

Unterstützerorganisationen erinnern Große Koalition an ihre Versprechen. Außen- und Innenministerium attestieren sie Versagen

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.

Günter Burkhardt hat das Auswärtige Amt aufgefordert, die letzten Monate der Legislaturperiode »im Schweinsgalopp« Visa für die Familienzusammenführung für in Deutschland lebende Flüchtlinge auszustellen. »Familienzusammenführung war das Thema der Koalitionsverhandlungen von Schwarz-Rot auf flüchtlingspolitischem Gebiet«, betonte der Geschäftsführer der Hilfsorganisation Pro Asyl am Dienstag auf einer Online-Pressekonferenz. Es sei aber in Vergessenheit geraten.

»Ich werfe nicht nur Innenminister Horst Seehofer, sondern auch Außenminister Heiko Maas persönliches Verschulden vor. Entweder sind sie unfähig oder böswillig«, sagte Burkhardt angesichts der nach wie vor sehr geringen Zahl von Geflüchteten, die ihre Angehörigen nach Deutschland holen konnten. Zum Hintergrund: Allein 11 000 Familien in Deutschland lebender Geflüchteter mit entsprechendem Aufenthaltsstatus warten weltweit darauf, überhaupt einen Antrag auf Familienzusammenführung bei einer deutschen Auslandsvertretung stellen zu dürfen. Die Wartezeit beträgt nach offiziellen Angaben der Bundesregierung beispielsweise in Addis Abeba 13 und in Khartum 14 Monate.

Nach dem Termin folgt eine weitere lange Wartezeit. Die deutschen Auslandsvertretungen prüfen die Dokumente, die ein Verwandtschaftsverhältnis belegen, was oft Jahre dauert. Wie viele Wartende es in dieser zweiten Phase gibt, ist nicht bekannt.

Ein Beispiel ist Ahmed Hussain. Der afghanische Journalist, der unter anderem für die Deutsche Welle berichtet und zu seinem Schutz unter einem Pseudonym arbeitet, floh 2019 nach Deutschland. Die Taliban hatten ihn wegen seiner Berichte mit dem Tod bedroht. Seine Frau und seine fünf Kinder konnten nicht mit ihm fliehen. »Sie sind in Afghanistan untergetaucht. Wenn die Taliban wissen, wo meine Familie ist, habe ich keine Familie mehr«, sagt der Mann.

Da die deutsche Botschaft in Afghanistan seit 2017 geschlossen ist, wandte sich die Familie an die deutsche Botschaft in Neu-Delhi und wartet dort seit zwei Jahren auf einen Termin. »Meine Kinder können seit zwei Jahren das Versteck nicht verlassen. Sie können keine Schule besuchen und nicht spielen«, berichtet der Mann auf der Pressekonferenz. Seine Kinder wollen einmal Wirtschaft, Medizin und Maschinenbau studieren. »Meine Frau drängt mich, nicht weiter in dem gefährlichen Beruf als Journalist zu arbeiten.«

Indem das Auswärtige Amt Hussain überhaupt keinen Termin gewähre, entziehe es seine Arbeit einer gerichtlichen Kontrolle, konstatiert Günter Burkhardt: »Er muss jetzt sofort eine Lösung finden, um den Rechtsanspruch auf Familienzusammenführung durchzusetzen.«

Ein weiteres Beispiel: Habtemariam Tewelde aus Eritrea wartet seit 2014 auf den Nachzug seiner Frau und seines Sohnes, die auf der Flucht im Bürgerkriegsland Äthiopien hängen geblieben sind und dort prekär leben. Seine Familie hat 13 Monate auf einen Termin in der deutschen Botschaft gewartet, um die Familienzusammenführung beantragen zu können. Seitdem streiten sie mit den Behörden über die Anerkennung der eritreischen Heiratsurkunde. Wie in Eritrea üblich hat die Familie nur kirchlich geheiratet, das Auswärtige Amt verlangt aber die nicht vorhandene staatliche Eheurkunde. »Unsere Ehe führen wir am Telefon, aber die Verbindung ist schlecht«, klagt Tewelde. Im letzten Jahr hat er seine Ersparnisse zusammengekratzt und seine Familie besucht. Seinen siebenjährigen Sohn hat er da erstmals überhaupt gesehen. Bei seiner Flucht war seine Frau schwanger.

Pro Asyl fordert, Anträge auf Familienzusammenführung in Zukunft digital stellen zu können. Außerdem müsste das Auswärtige Amt Personal umschichten: Bei Einreisevisa für ausländische Fachkräfte gebe es schließlich keine Engpässe. Da warte man drei Wochen auf einen Termin und habe nach weiteren drei Wochen das Visum, sagt Burkhardt. »Mir kann niemand sagen, dass in der Pandemie so viele Firmen Fachkräfte aus dem Ausland suchen.« Obwohl SPD und Union in ihren Wahlprogrammen das Grundrecht auf Familie betonen, habe die Bundesregierung den Familiennachzug »von einem Grundrecht zu einem Gnadenakt gemacht«, beklagt Burkhardt.

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