• Kultur
  • »Yerma« an der Berliner Schaubühne

Bitte, mach mir ein Kind

Simon Stone kommt mit seiner Neufassung von »Yerma« an die Berliner Schaubühne

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 5 Min.

Anfangs bekniet sie ihn. Und am Ende wieder. Doch die Vorzeichen haben sich geändert, an die Stelle des Begehrens ist der Hass getreten. Nun muss man nicht den Wiener Doktor der Seelenzergliederung konsultieren, um sich über die Ambivalenz der Liebe ein wenig klarer zu werden. Es kann auch Federico García Lorcas »Yerma« sein. Das Stück des spanischen Dichters wurde 1934 uraufgeführt, es zeigt die Titelfigur als Frau auf dem Lande, die sich sehnlichst ein Kind wünscht. Ihr Mann Juan jedoch ist, insbesondere aus geschäftlichen Gründen, nicht geneigt - er bezahlt dafür mit dem Leben. Simon Stone hat nun das Stück wieder auf die Bühne gebracht. Vor drei Jahren konnte man seine Fassung in London sehen, die nächste Station war New York. Und nun Berlin.

Am Dienstagabend feierte »Yerma« Premiere an der Schaubühne, es ist eine Neuinszenierung der Londoner Fassung mit dem Ensemble des Hauses am Lehniner Platz. Der 1984 in der Schweiz geborene und in Australien aufgewachsene Stone hat es zu seiner Methode gemacht, Neufassungen von Theaterstücken vergangener Zeiten auf die Bühne zu bringen: als Autor und Regisseur in einer Person. Insbesondere am Theater Basel feierte er große Erfolge, er fügte sich in die dort verkündete »Basler Dramaturgie« von dramatischen Überschreibungen. »John Gabriel Borkman« nach Henrik Ibsen und »Drei Schwestern« nach Anton Tschechow wurden mit Preisen überhäuft, ebenso »Hotel Strindberg« nach Stücken des schwedischen Autors. »Die Wildente«, wieder Ibsen, lief als Film im Kino, mit »Ibsen Huis« gastierte er vor drei Jahren erstmals an der Schaubühne.

Stone füllt problemlos die Säle. Seine Überschreibungen bürgerlicher Dramen fürs 21. Jahrhundert sprechen ein breites Publikum an. Ästhetisch setzt er auf Konventionelles. Eine solide Geschichte, gute Schauspieler, was braucht man mehr? Netflix-Ästhetik, sagen Spötter. Stone selbst scheut diesen Vergleich nicht, er will Theater machen, das sich mit den Serien von HBO messen kann, sagt er. Die Stoffe, die er als Vorlage nimmt, muss man nicht kennen, um einen Zugang zu seinen Inszenierungen zu finden.

Stones »Yerma«, verkörpert von Caroline Peters, ist eine beruflich erfolgreiche Frau, leitende Redakteurin einer nationalen Zeitung. Nun wünscht sie sich, 38 Jahre alt, von ihrem Mann John (Christoph Gawenda) ein Kind, nachdem man den Erwerb von 200 Quadratmetern Eigentum in bester Berliner Lage mit Schampus begossen hat. Man gibt sich noch ein wenig linksliberal und habituell antibürgerlich, man spricht über alles (Analsex, Pornos …), aber nur selten ernst. Die ironische Einheitssoße lässt sich über alles kippen (Gentrifizierung). Aber beim Kindermachen? Hört der Spaß auf und fängt die Realität an. Warum? Das lässt die Inszenierung offen. John jedenfalls entzieht sich, immer ist er auf Dienstreise. Und seine Frau beginnt, nachdem die Spontanbegattung nicht funktioniert, sich mit Fruchtbarkeits-Apps, Yoga und Samentests zu behelfen. Ihre Verbitterung wird derweil immer größer.

Yermas Schwester Maria, gespielt von Jenny König, hat ein Kind, erfüllt aber keineswegs das Idealbild glücklicher Mutterschaft. Victor (Konrad Singer), die Liebe aus Studentenzeiten, taucht wieder auf, auch er hat ein Kind gezeugt. Man kann Peters zuschauen, wie das Ressentiment in ihrem Herzen zu brodeln beginnt. Doch auch aus dieser Erfahrung der Versagung lässt sich noch ein Geschäft machen. Sie bloggt über ihren unerfüllten Kinderwunsch, assistiert von der jungen Désirée (Carolin Haupt), einer hippen Medienfrau Anfang zwanzig, die sich an den Beischläfer der vorigen Nacht nicht mehr erinnern kann und die »Pille danach« wegsnackt so wie andere Süßigkeiten. Und dann gibt es noch die Mutter, großartig gespielt von Ilse Ritter, eine akademische Altfeministin, die nie Kinder gewollt hat und, als sie dann doch welche bekam, Verzicht auf gefühlsmäßige Bindung leistete.

Für Yerma ist es, als würden alle etwas bekommen, das ihr verweigert wird. Als hätten sie Zugang zu einem Geheimnis, das man ihr vorenthält. Sie wird obsessiv, versessen, unerträglich. Und doch - das macht die dramatische Spannung aus - stößt sie in ihren wahnhaften Momenten auch auf eine Realität, die sich erst am Ende enthüllt. John gesteht, er habe nie an das Kind geglaubt, sein Ausweichen oder nur rhetorisches Einwilligen bekommt nun einen anderen Sinn, der zuvor lediglich erahnt werden konnte.

Wenige Figuren, schnelle Szenenwechsel, temporeiche Dialoge, komische Kollisionen - insbesondere zu Beginn weiß Stone mit seiner Fassung zu fesseln. Die raffinierte Bühne von Lizzie Clachan - das Publikum sitzt in zwei gegenüberliegenden Blöcken und blickt auf einen gläsernen Kasten, in dem sich das Drama wie im Terrarium abspielt - hält einige Überraschungsmomente bereit. Gegen Ende merkt man jedoch, dass Stone die komischen Töne weit besser als die tragischen anzuschlagen weiß. Doch bei dem groß aufspielenden Ensemble geht selbst das fast unter; das Publikum zeigt sich am Ende der knapp zweistündigen Vorstellung begeistert.

Zweifelsohne trifft Stone einen Nerv der Zeit. Wie auch andere. So wurde beim Festival d’Avignon Kornél Mundruczós »Cząstki kobiety / Pieces of a woman« von Publikum und Kritik bejubelt. Es zeigt eine polnische Familie im urbanen und bürgerlichen Milieu in ganz ähnlicher Konstellation: Mutter, Töchter, deren Männer, Einbruch der Realität durch den Tod des Kindes bei der Geburt. Ein weiteres Beispiel ist Maja Zades »Abgrund« vor zwei Jahren an der Schaubühne: Ein linksbürgerliches Paar verliert sein Kind. Das lässt sich deuten im Sinne einer Grenze der Selbstverwirklichung der Angehörigen dieses Milieus, als Drama scheiternder Emanzipation. Oder als Grenze überhaupt, der scheiternden sozialen Reproduktion dieser Klasse und Zeichen ihres baldigen Niedergangs. An einem »toten Traum« festzuhalten, wie es in Stones »Yerma« heißt, nährt das Ressentiment und endet im Unglück.

Nächste Vorstellungen: 30. Juli bis 14. August

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