Herbeigeredete Empfehlung

Warum der Druck der Politik auf die Ständige Impfkommission kontraproduktiv ist

Berlins Stadtoberhaupt Michael Müller, ein gelernter Bürokaufmann, gehört offenbar zu den Millionen Hobbyvirologen, die Deutschland inzwischen bevölkern. »Sehr sachgerecht« sei es, allen Kindern ab zwölf Jahren ein Covid-Impfangebot zu machen, meint er und ist sich mit vielen Länderchefkollegen einig.

Eltern und Kindern einen solchen Stups geben darf die Politik natürlich. Doch dass sie sich damit gegen den Rat der Ständigen Impfkommission (Stiko) stellt, ist ungewöhnlich. Und es ist sogar ein einmaliger Vorgang, dass immer mehr Politiker die Experten zur Änderung ihrer Empfehlung drängen, nur die Kleinen mit Vorerkrankungen zu impfen, da für andere der Nutzen mögliche Risiken der neuartigen RNA-Vakzine kaum überwiegt. Wenn es in einigen Monaten Langzeiterfahrungen mit ihnen gibt und klassische Impfstoffe auch gegen Covid-19 zugelassen sind, wird die Stiko ihre Empfehlung ändern. Sollte die international renommierte Kommission das unter Druck vorher tun, würde sie ihren Ruf schädigen. Was wären ihre Empfehlungen künftig noch wert? Letztlich erweisen die Politiker mit der Debatte der Impfbereitschaft einen Bärendienst.

Der Vorgang zeigt vor allem, wie groß die Nervosität zum Schulstart ist. Viel Zeit wurde verplempert, alle Einrichtungen vorzubereiten. Da man in der voreiligen Erwartung, dass Corona vorbei ist, zudem das Reisegeschehen vor den Ferien sowie andere Maßnahmen zu stark gelockert hat und jetzt mit steigenden Inzidenzen konfrontiert ist, drohen womöglich bald wieder Schulschließungen. Und das vor den Wahlen! Daher braucht es Sündenböcke: Eltern, die ihre Kinder erst mal nicht impfen lassen wollen, und die Stiko, die ihnen dafür eine fachliche Begründung gibt. In so einer Situation erklärt dann schon mal der Bürokaufmann dem Virologen, wie Virologie geht.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal