Hier ist CNN live aus Kabul

Die Journalistin Clarissa Ward wird für ihre TV-Berichte aus Kabul kritisiert, weil sie dabei mit einem Kopftuch zu sehen ist.

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

»Im Krieg ist Wahrheit das erste Opfer.« Es ist unklar, auf wen dieser Aphorismus zurückgeht. Die Zuschreibungen reichen vom antiken Dichter Aischylos über den britischen Premier Winston Churchill bis hin zum Republikaner Hiram Johnson, der während des Zweiten Weltkriegs im US-Senat saß. Es ist Zufall, aber die unklare Quellenlage verstärkt die Bedeutung der Weisheit: Glaube nichts, wenn du die Fakten nicht zweifelsfrei kennst, im Krieg dienen Informationen, Bilder und Perspektiven ebenso als Waffen wie Gewehre, Panzer und Granaten.

Besonders perfide: Propaganda und Manipulation gehen dabei nicht nur von unmittelbar an einem Konflikt beteiligten Gruppen aus. Mit Lügen und Halbwahrheiten wird auch weit jenseits der Kriegsschauplätze gekämpft. Manchmal reicht es, ein Foto im Sinne der eigenen Sicht auf die Dinge zu deuten.

Als die Taliban am Sonntag ihren Einmarsch in Kabul begannen, blieb eine CNN-Reporterin mitten im Geschehen, obwohl die Islamisten nicht nur die Wahrheit bedrohen, sondern auch jene, die darüber berichten, besonders wenn dies Frauen tun. Doch Clarissa Ward blieb nicht nur in Afghanistans Hauptstadt, sie setzte ihre Arbeit fort, interviewte Kabuls Einwohner*innen, holte sogar Taliban an ihr Mikrofon und widersprach den Terroristen vor laufender Kamera.

Man könnte dies einfach als das sehen, was es ist: Eine Reporterin gibt der Welt einen Einblick, was für Grausam- und gleichsam Unvorstellbarkeiten in diesen dunklen Tagen ein seit Jahrzehnten geschundenes Land zerreißen. Doch jene, die von der Verantwortung des Westens für Afghanistans Misere nichts wissen wollen und diese leugnen, missbrauchen Wards Mut, um damit Politik zu betreiben.

Im Internet wurde hunderttausendfach eine Montage zweier Fotos geteilt, die Ward während zwei Liveschalten für CNN zeigen. Auf dem oberen Bild sieht man die unverschleierte Journalistin vor einem Haus und ein paar Bäumen stehen. Die untere Aufnahme zeigt die Reporterin auf einer Straße, hinter ihr ist eine Kontrollstation mit zwei Taliban-Kämpfern zu sehen. Der wichtigste Unterschied ist: Ward trägt ein Kopftuch, ihre Haare sind komplett verhüllt.

Genau darauf stürzten sich in der Folge weltweit rechte Internetaktivist*innen. Zu lesen ist da vom »vorauseilenden Gehorsam [einer] westlichen Journalistin« und davon, was »die Scharia möglich« mache. Besonders in den USA wird die Reporterin und das als liberal geltende CNN scharf angegriffen, von rechten Medien gar als Taliban-freundlich bezeichnet. Darauf steigt sogar der republikanische Senator Ted Cruz ein, der auf Twitter die provokante wie zugleich manipulative Frage stellt, ob es einen Feind der USA gebe, den CNN nicht anfeuere. Ausgangspunkt dieser bizarren Unterstellung ist Wards Bericht, in dem die Journalistin Taliban-Kämpfer interviewt und die Szene mit den Worten kommentiert: »Sie skandieren ›Tod den Amerikanern‹, scheinen aber gleichzeitig freundlich zu sein. Es ist völlig bizarr.«

Auch für die Verschleierung ihrer Haare und die Bildmontage liefern CNN und die Journalistin über Twitter eine Erklärung: Der Bericht ohne Kopfbedeckung entstand bereits am Sonntag vor der Eroberung Kabuls durch die Taliban auf einem Privatgrundstück, weshalb Ward kein Kopftuch trägt. War sie in der Vergangenheit auf den Straßen der Hauptstadt unterwegs, verhüllte sie schon damals ihre Haare. Neu sei lediglich, dass diese nun komplett nicht zu sehen sind. Eine Vorsichtsmaßnahme, mehr nicht.

- Anzeige -

Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln

Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.