Beschimpft, bespuckt, bepöbelt

Der Polizei zufolge gehen die Angriffe auf Parteien und Politiker zurück - im täglichen Wahlkampf erleben das Betroffene anders

  • Mischa Pfisterer und Rainer Rutz
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Stimmung an den Wahlkampfständen sei teilweise extrem aggressiv, berichtet Marlene Jahn, die Sprecherin der Grünen Jugend Berlin. »Da kommen Leute an den Stand und beschimpfen uns minutenlang.« Jahn ist seit Juli nahezu täglich in der Stadt unterwegs, verteilt im Akkord Flyer, beteiligt sich an Aktionen, versucht im Straßenwahlkampf Passant*innen davon zu überzeugen, ihre Kreuze bei der Wahl an diesem Sonntag bei den Grünen zu machen. Es ist der erste Wahlkampf, in dem die 20-Jährige sich aktiv engagiert. Und er ist alles andere als leicht zu verdauen.

»Zum Glück ist in diesem Wahlkampf mir und meinen Freund*innen noch nichts Ernsthaftes zugestoßen«, sagt Jahn zu »nd«. Allerdings sah sich auch ihre Gruppe bereits gezwungen, in Gesundbrunnen einen Stand schnell abzubauen, weil sie von mehreren Männern bepöbelt wurden. Auch von anderen Grünen im Berliner Wahlkampf weiß sie: Man werde bespuckt, man werde beschimpft, wobei nicht zuletzt Frauen zur Zielscheibe werden. Mitunter wurden Plakatierer*innen schon körperlich angegriffen.

»Wir merken vor allem die Zunahme der Verschwörungsideologien, die bekommen wir vermehrt um die Ohren gehauen«, sagt Niklas Schrader zu »nd«. Der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus tritt im südlichen Neukölln als Direktkandidat an, nach 2016 zum zweiten Mal. Dass die Pöbeleien massiv zugenommen hätten, könne er im direkten Vergleich der beiden Wahlkämpfe für sich so nicht bestätigen. »Das war vor fünf Jahren nicht groß anders«, sagt der Linke-Politiker.

Ähnlich hatte sich in der vergangenen Woche Innensenator Andreas Geisel (SPD) geäußert. »Es gibt im Zusammenhang mit dem Wahlkampf politisch motivierte Kriminalität, also auch im laufenden Wahlkampf«, sagte Geisel im Abgeordnetenhaus auf die Frage nach der Gewalt gegen Wahlkämpfer*innen. Nach einer eklatanten Zunahme klang das nicht.

Tatsächlich zeigt eine am Donnerstag vom RBB veröffentlichte Auswertung der Berliner Polizei, dass die Zahl der Angriffe auf Parteieinrichtungen und Politiker*innen in der Hauptstadt im Wahlkampfjahr bislang sogar rückläufig ist. Nach fast 200 Straftaten gegen Politiker*innen und Einrichtungen im Vorjahr wurden demnach im laufenden Jahr bis zum 20. September lediglich 74 entsprechende Angriffe gezählt. Insgesamt 13 und damit die meisten Angriffe richteten sich dabei gegen Einrichtungen der SPD, gefolgt von der CDU mit zehn und den Grünen mit sieben erfassten Fällen. Gegen die AfD wurden bis jetzt fünf Angriffe aktenkundig.

Dessen ungeachtet stilisiert sich die Rechtsaußenpartei zum Hauptopfer politisch motivierter Gewalt. »Das fällt natürlich schon ins Auge, dass eine Partei besonders in Mitleidenschaft gezogen wird«, insistierte etwa AfD-Mann Karsten Woldeit vergangene Woche im Abgeordnetenhaus mit Blick auf zwei kurz zuvor in Lichtenberg in Flammen aufgegangene Transporter mit - nach eigenen Angaben - über 3000 Plakaten seiner Partei. Woraufhin der Linke-Abgeordnete Tobias Schulze einwarf: »Es werden unser aller Plakate abgerissen, und nicht nur Ihre!«

Dass Wahlplakate - gleich welcher Partei - beschädigt und zerstört werden, ist auf Berlins Straßen nur schwer zu übersehen. Mal sind es angemalte Zahnlücken und Hitlerbärtchen. Mal sind es rassistische, homophobe oder frauenfeindliche Beleidigungen. Mal sind die Plakate abgerissen. Aber auch hier kann Linke-Politiker Niklas Schrader keinen Trend zu vermehrter Zerstörungswut erkennen. »Das gibt es, aber ich habe nicht das Gefühl, dass das seit 2016 zugenommen hat.« Ein Plakat, das er mit Absicht direkt vor einer bekannten Neuköllner Neonazi-Kneipe angebracht habe, hänge sogar immer noch. Das habe ihn aber auch überrascht.

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