»Natürlich sind wir bereit zum Mitregieren«

Die Linke-Spitzenkandidaten Janine Wissler und Dietmar Bartsch können sich Rot-Grün-Rot vorstellen

Frau Wissler, Sie treten erstmals als Spitzenkandidatin der Linken für den Bundestag an. Was war für Sie das Überraschendste beim Bundestagswahlkampf?
Janine Wissler: Ich habe ja 2005 schon mal für den Bundestag kandidiert und bin seitdem aktiv in allen Bundestagswahlkämpfen gewesen. Hinzu kommen die vier Landtagswahlkämpfe in Hessen, zwei davon als Spitzenkandidatin. Es ist aber natürlich eine andere Herausforderung, bundesweit so viel unterwegs zu sein. Was mich überrascht hat, sind die großen Wendungen in den Umfragen der letzten Wochen.

Herr Bartsch, Sie haben viele Bundestagswahlkämpfe in führender Position bestritten. Was unterscheidet diesen Wahlkampf von den anderen?
Dietmar Bartsch: Wir haben diesmal die reale Chance auf einen Politikwechsel und können mit einer starken Linken die Weichen stellen, um soziale Ungerechtigkeit, den Klimawandel und die Folgen der Pandemie zu bekämpfen. Gelingt das nicht, geht es ähnlich weiter wie bisher. Eine Besonderheit ist, dass Angela Merkel nach 16 Jahren Kanzlerschaft nicht mehr antritt und ein neuer Amtsinhaber gewählt wird. Und wir hatten leider wegen der Corona-Pandemie weniger Kontakt mit den Bürgern als früher. Das ist erst in der Endphase des Wahlkampfs besser geworden.

Janine Wissler und Dietmar Bartsch
Janine Wissler, geboren 1981 im hessischen Langen, wurde am 27. Februar dieses Jahres gemeinsam mit Susanne Hennig-Wellsow zur Vorsitzenden der Linkspartei gewählt. Sie ist seit 2008 Abgeordnete im hessischen Landtag. Dort führt sie seit dem Jahr 2009 die Linksfraktion an. Bei der Bundestagswahl ist sie Spitzenkandidatin der Linken – im Duo mit Dietmar Bartsch. Der gebürtige Stralsunder ist seit 2015 Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag. Zunächst stand dem 63-Jährigen in dieser Funktion Sahra Wagenknecht zur Seite, seit gut zwei Jahren ist Amira Mohamed Ali die Co-Fraktionsvorsitzende. Bartsch war zuvor in verschiedenen führenden Funktionen für die Partei tätig. So war er Bundesschatzmeister der PDS und Bundesgeschäftsführer der Linkspartei. Obwohl ihre Partei in den Umfragen bei lediglich rund sechs Prozent der Stimmen liegt, wären Wissler und Bartsch bereit, mit SPD und Grünen über eine mögliche Koalition zu verhandeln. 

Letzteres betrifft alle Parteien.
Bartsch: Kann sein. Aber uns als Linke würde es gar nicht geben, wenn wir nicht den Basiswahlkampf und die Basisverankerung gehabt hätten. Wenn das komplett weggefallen wäre, hätten wir große Probleme bekommen.

Beim engen Kontakt mit den Bürgern geht es auch darum, Unentschlossene zu gewinnen. Darunter sind natürlich Menschen, die abgehängt sind, die sich vorstellen können, die AfD zu wählen oder gar nicht zur Wahl zu gehen. Hat die Linke im Wahlkampf genug getan, um diese Menschen anzusprechen?
Wissler: Wir sind in die Stadtteile gegangen und machen unglaublich viele Haustürgespräche. Wir haben an mehr als 100 000 Haustüren geklingelt und Gespräche geführt. Da haben die Mitglieder wirklich Großartiges geleistet. Wir gehen dorthin, wo sich andere Politiker nicht sehen lassen. Nach dem, was ich höre, gibt es da sehr sehr viele positive Reaktionen.

Ist die Linke im Osten angesichts der Mitgliederentwicklung und Überalterung überhaupt in der Lage, flächendeckend diesen Haustürwahlkampf zu bestreiten?
Wissler:
Wir sind nirgendwo in der Lage, flächendeckend Haustürwahlkampf zu machen. Deswegen wählen wir bestimmte Gebiete aus. Die Linke ist oft dort am stärksten, wo die Wahlbeteiligung am niedrigsten ist. In diese Gebiete gehen wir besonders, um Menschen zur Wahl zu mobilisieren.

Sagen nicht manche Abgehängte, die Sie besuchen und die früher Ihre Partei gewählt haben, dass die Linke inzwischen zum Establishment gehört, weil sie in Ländern mitregiert, in Thüringen einen Ministerpräsidenten stellt und im Bund zum Mitregieren bereit ist?
Bartsch:
Das ist das Geschäftsmodell der AfD. Die sagt, sie stelle sich gegen die sogenannten Altparteien, zu denen auch die Linke zähle. Dieses Geschäftsmodell funktioniert leider zumindest partiell. Wir müssen den Menschen zeigen, dass die Behauptungen der AfD falsch sind, auch indem wir etwa die Unterschiede zwischen der Linken und den anderen Parteien deutlich machen. Die Frage, ob die FDP mitregiert oder die Linke, ist am Ende dieses Wahlkampfs noch spannender als die Frage, wer Kanzler wird.

Wie groß ist denn der Regierungswille der Linkspartei?
Bartsch:
Diese Frage ist doch seit langer Zeit klar beantwortet. Wir sind natürlich bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Es gibt nur sehr wenige Linke, die das verneinen. Entscheidend ist, dass sich dann auch wirklich etwas verändert.
Wissler: Wir wollen nicht nur auf die Probleme hinweisen, sondern sie lösen. Wenn Deutschland vier Jahre so weiter macht wie bisher, werden die Klimaziele nicht erreicht und der Klimawandel schreitet voran. Dann werden die Mieten in den Großstädten weiter explodieren. Das Rentenniveau muss steigen, um Altersarmut zu verhindern. Und so weiter. Wenn SPD, Grüne und Linke eine rechnerische Mehrheit haben, sind alle drei Parteien in der Verantwortung und in der Pflicht, miteinander zu reden, ob ein Politikwechsel möglich ist. Wenn das nicht gelingt, dann machen wir Druck aus der Opposition. Was wir dort erreichen können, haben wir beim Thema Mindestlohn gezeigt. Der ist zwar noch zu niedrig, aber wir konnten dafür sorgen, dass es überhaupt einen Mindestlohn gibt.

Könnte die Linke in einer solchen Regierung genug von ihrem Programm durchsetzen, wenn sie bei nur sechs Prozent der Stimmen landet?
Bartsch: Bodo Ramelow hat in Thüringen großen Wert darauf gelegt, dass sich drei Partner auf Augenhöhe treffen, obwohl die Linke dort deutlich stärker ist als SPD und Grüne. Das wäre auch im Bund wichtig. Mit uns wird es kein Koch-Kellner-Verhältnis geben. Wir kämpfen darum, möglichst stark zu werden, auch um in einem solchen Bündnis möglichst viel umsetzen zu können.
Wissler: Es ist klar, dass Kompromisse gemacht werden. Aber es muss insgesamt in die richtige Richtung gehen. Wenn die Bundespolitik das Leben der meisten Menschen verbessern kann, wird das sicher nicht an der Linken scheitern.

Warum steckt die Linke eigentlich in den Umfragen bei sechs Prozent fest?
Wissler:
Manche Umfragen sehen uns auch bei sieben oder acht Prozent. Aber auch das wäre unter den Möglichkeiten, wenn man bedenkt, dass wir bei vielen Themen, etwa der Wiedererhebung der Vermögensteuer, gesellschaftliche Mehrheiten hinter uns haben. Einige Menschen, die uns mehrfach gewählt haben, verlieren die Hoffnung, dass die Politik überhaupt irgendwas zum Positiven verändern kann. Den Satz »Es ändert sich ja doch nichts« hören wir immer wieder am Infostand. Schwierig ist für uns auch die starke Fokussierung auf die drei Kanzlerkandidaten. Außerdem mussten wir wegen Corona zweimal den Parteitag absagen. Es ist eine große Herausforderung für Susanne Hennig-Wellsow und mich, dass wir erst im Jahr der Bundestagswahl den Parteivorsitz übernehmen konnten. Wir hatten wenig Zeit, um bekannter zu werden und den Wahlkampf vorzubereiten. Der eine oder andere öffentlich geführte Streit in den letzten Jahren hat uns auch nicht geholfen. Die Menschen müssen unsere Partei als Interessenvertretung der Mieterinnen und Mieter, der Pflegekräfte, des Friedens und der guten Arbeit sehen. Das muss für uns im Mittelpunkt stehen, nicht die Selbstbeschäftigung.

Bei welchem Wahlergebnis für die Linke würden Sie am Sonntag von einem Erfolg sprechen?
Wissler:
An Zahlenspielen möchte ich mich jetzt nicht beteiligen. Wir kämpfen um jede Stimme, und dann werden wir sehen.

Kann man Menschen, die sagen, es ändere sich doch nichts, am ehesten mit einem starken Regierungswillen gewinnen?
Bartsch:
Es gibt die Menschen, die das so sehen und uns sagen, ihr müsst regieren, damit sich etwas ändert. Manche wollen am besten gleich 100 Prozent des Programms umgesetzt sehen. Andere raten vom Regieren ab und wollen, dass wir in der Opposition laut sagen, wie es richtig gemacht werden sollte. Entscheidend ist, dass wir den Menschen Hoffnung geben, dass sich etwas bewegt. Wir müssen Beispiele nach vorne stellen, die zeigen, dass wir in den letzten Jahren die Politik verändert haben, etwa mit unserem Druck, einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. Das Ende der Praxisgebühr geht auch wesentlich auf uns zurück. Das Ende des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan ist ein ähnliches Beispiel.

Erstmals seit vielen Jahren könnte die Union wieder eine Bundestagswahl verlieren und aus der Regierung gewählt werden. Drücken Sie Olaf Scholz und der SPD die Daumen?
Bartsch:
Wir sagen deutlich, dass die Union raus aus der Regierung muss. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir Partner; am nächsten stehen uns da SPD und Grüne. Obwohl wir natürlich auch an diesen Parteien einiges zu kritisieren haben.
Wissler: Olaf Scholz ist alles andere als ein Garant für einen Politikwechsel. Deswegen ist es ja wichtig, dass es eine starke Linke gibt. Die CDU hat 16 Jahre die Kanzlerin gestellt, davon hat sie zwölf Jahre gemeinsam mit der SPD regiert. Die Sozialdemokraten sind mitverantwortlich für die kürzliche Hartz-IV-Erhöhung um nur drei Euro. Das ist angesichts der Preisentwicklung eine Kürzung, die der Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil von der SPD zu verantworten hat. Der Mindestlohn wurde gerade um zehn Cent erhöht, das ist doch ein Witz. Wir Linke müssen deutlich machen, dass sich nicht die Leute dafür schämen müssen, dass sie wenig Geld verdienen, sondern die Unternehmen dafür, dass sie ihre Beschäftigten schäbig bezahlen.

Der SPD-Kanzlerkandidat blinkt immer mal wieder in Richtung FDP. Ist er trotzdem der richtige Partner für die Linke?
Bartsch:
Seine Kandidatur war die Entscheidung der SPD. Ich habe keine große Hoffnung, dass bei den Sozialdemokraten alles besser wird und Olaf Scholz der Heilsbringer ist. Er war für die neoliberale Agenda 2010 mitverantwortlich. In seiner Zeit als Finanzminister sind einerseits die Vermögen ins Unermessliche gestiegen und zugleich hat die Armut zugenommen. Trotzdem ist Scholz die bessere Alternative, wenn man ihn mit Laschet vergleicht. Denn mit ihm gibt es zumindest die Chance auf einen Politikwechsel. Die Union ist auch wegen der Maskendeals und der Aserbaidschan-Affäre staatspolitisch verwahrlost und gehört in die Opposition.
Wissler: Mein Eindruck ist, dass die Mitglieder und Wähler der SPD keine Lust mehr haben, nach der Wahl zu sagen: Jetzt regieren wir leider wieder mit der Union und können unsere sozialen Versprechen wieder nicht umsetzen. Das gilt auch, wenn die SPD mit der FDP koalieren würde. Es geht um einen höheren Mindestlohn, bezahlbaren Wohnraum, höhere Renten und die Vermögensteuer. Hier müssen wir die Sozialdemokraten beim Wort nehmen.

Die Linke will das soziale Gewissen im Bundestag und möglicherweise auch in einer neuen Regierung sein. Auch die SPD redet im Wahlkampf viel von Sozialpolitik. Wie kann sich die Linke da profilieren?
Bartsch:
Es gibt keine Partei, die offen sagt, sie will eine unsoziale Politik machen. Da ist für mich die Praxis das Kriterium der Wahrheit. Wenn die SPD nach vielen Regierungsjahren jetzt bei Rente und Löhnen auf Defizite aufmerksam macht, will ich darauf hinweisen, dass sie selber dafür mitverantwortlich ist. Diese Neigung, in Wahlkämpfen Dinge nach vorne zu schieben und dann nicht umzusetzen, ist bei den Sozialdemokraten sehr ausgeprägt. Sie haben diesbezüglich ein riesiges Glaubwürdigkeitsproblem. Die Vermögensteuer war, seit sie nicht mehr erhoben wird, in jedem Programm der SPD enthalten. Passiert ist trotzdem nichts.

Die Linke erhebt weitergehende soziale Forderungen als die SPD und will zum Teil ökologischer sein als die Grünen. Verstrickt sie sich nicht in Widersprüche, wenn sie den Kampf gegen den Klimawandel und dessen Kosten ernst nimmt?
Wissler:
Für den meisten CO2-Ausstoß sind doch nicht die Menschen verantwortlich, die bestenfalls alle zwei Jahre mal in den Urlaub fliegen und sich keinen teuren SUV leisten können. Wir müssen deutlich machen, dass wir einen sozialen und ökologischen Umbau brauchen. Das bedeutet nicht einfach Verzicht, sondern auch einen Gewinn an sozialen Rechten, an Demokratie, an Lebensqualität. In den Innenstädten würden wir beispielsweise viel Platz gewinnen, wenn wir den Autoverkehr reduzieren. Sicherlich werden Handwerker Werkzeug und Material auch weiter mit dem Auto transportieren. Es gibt Menschen, die sind mobilitätseingeschränkt und auf Fahrdienste angewiesen, und Taxis werden auch weiterhin benötigt. Aber für die große Masse, die Pendlerinnen und Pendler, brauchen wir Alternativen zum Auto: also einen gut ausgebauten, bezahlbaren Nahverkehr. Und wir müssen den Umbau der Industrie einleiten. Wenn wir etwa über die Energiewende reden, bedeutet das nicht nur den Austausch des Energieträgers, sondern auch, dass wir mehr Stadtwerke in der öffentlichen Hand brauchen.

Dennoch wird es ganz ohne Verzicht nicht gehen.
Wissler:
Was heißt denn Verzicht? Ich denke nicht, dass die meisten Leute es als Freiheit und Gewinn an Lebensqualität erleben, wenn sie jeden Tag in einer Blechlawine, also im Stau stehen, um zur Arbeit zu kommen. Da geht so viel Zeit verloren. Wäre es nicht ein Gewinn an Lebensqualität, wenn wir ganz entspannt in guten Bussen und Bahnen fahren könnten, wo man WLAN hat, eine Zeitung lesen und seinen Kaffee trinken kann?
Bartsch: Ich glaube, dass die Verzichtpredigt das Engagement von vielen reduziert. Wir müssen an die Strukturen ran, brauchen Alternativen. Es gibt keine Inlandsflüge zwischen Hamburg und Berlin, weil die Bahn auf dieser Strecke unschlagbar ist. Immer nur über Verzicht und Preiserhöhungen zu reden, ist falsch, strukturelle Veränderungen sind notwendig. Klimaschutz muss Spaß machen, attraktiv sein und darf nicht automatisch teurer sein. Wenn wir sagen, dass der Sprit teurer und Heizöl teurer wird, dann verlieren wir viele Menschen als Unterstützer bei der notwendigen Energiewende.
Wissler: Es ist ja auch absurd, den Leuten zu erzählen, sie sollen mehr Geld für Fleisch bezahlen, obwohl die Fleischproduktion erst durch die Subventionen so billig gemacht wird. Da müssen wir ansetzen, an den Strukturen.

Herr Bartsch, Sie haben in einem Interview gesagt, wenn die Linke nach einer breiten Diskussion entscheiden sollte mitzuregieren, wird sie zu 100 Prozent zuverlässig sein. Das ist eine kühne Ansage allein angesichts der außenpolitischen Differenzen zwischen SPD und Grünen sowie Linkpartei.
Bartsch:
Selbstverständlich wird bei uns in vielen Punkten diskutiert. Aber die Linksfraktion hat in dieser Legislaturperiode in keiner zentralen Frage heterogen abgestimmt. Das Votum kürzlich über den Evakuierungseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan war ein Sonderfall. Wenn wir in Regierungsverantwortung gehen, wird das durch die Basis bestimmt. Stimmt die Basis zu, dann hat man sich an den Koalitionsvertrag zu halten. Das gilt dann auch für die Koalitionspartner.
Wissler: Zuverlässigkeit heißt nicht, das zu machen, was SPD und Grüne wollen, sondern zu sagen, was man tut, und zu tun, was man sagt. Gerade außenpolitisch haben wir in den letzten Jahren konsequent gegen die Einsätze der Bundeswehr gestimmt. Und wir haben uns konsequent für Abrüstung eingesetzt und gegen Rüstungsexporte.

Was soll in einer rot-grün-roten Regierung mit den laufenden Auslandseinsätzen der Bundeswehr passieren? Von heute auf morgen werden die nicht beendet.
Bartsch:
Das sagt doch auch keiner. Am Tag nach der Regierungsbildung werden wir nicht alle Soldatinnen und Soldaten aus den Einsätzen zurückholen. Aber wir stellen diese Missionen grundsätzlich in Frage. Das Desaster in Afghanistan zeigt, dass wir dort richtig gelegen haben. Schnellstmöglich müssen auch beim Einsatz in Mali Konsequenzen gezogen werden.
Wissler: Die Mission der Bundeswehr in Mali wird sowieso in Frage gestellt, wenn die Franzosen dort nächstes Jahr abziehen sollten. Selbst Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer sagt, wir müssen jeden Bundeswehreinsatz überprüfen. Es gab bis vor wenigen Monaten zwei große Einsätze der Bundeswehr. Nun ist Afghanistan beendet, und Mali steht vor dem Aus. Diese Erfahrungen zeigen doch, wie richtig wir gelegen haben, als wir vor diesen Einsätzen gewarnt haben.

Die Position der Linken lautet: Wir stimmen keinen Kampfeinsätzen zu. Aber nicht alle Missionen der Bundeswehr sind Kampfeinsätze. Beispielsweise sind Soldaten im Kosovo stationiert, wo derzeit kein Krieg droht. Sollen die Soldaten aus Ihrer Sicht dort und aus vergleichbaren Orten schnell abgezogen werden?
Wissler:
Wir wollen die Bundeswehr aus dem Ausland zurückziehen. Und für jeden Einsatz gibt es bessere Alternativen. Für mich ist es aber wichtig, die Prämissen der Außenpolitik insgesamt zu verändern. Da geht es nicht nur um Bundeswehreinsätze, Verteidigung, die Nato und Rüstung. Es sollte auch darum gehen, wie wir eine gerechte Weltwirtschaftsordnung erreichen, Fluchtursachen beseitigen und unfaire Freihandelsabkommen beenden können. Wir sollten mehr über die Flüchtlingshilfe des UNHCR sprechen. Oder über Entwicklungszusammenarbeit. Das ist doch der Punkt.
Bartsch: Mindestens genauso relevant ist für mich die Frage der Waffenexporte. Denn mit Waffen exportiert Deutschland den Tod in alle Welt. Das muss ein Ende haben. Bei Auslandsmissionen muss übrigens immer bedacht werden, dass es auch historische Gründe gibt, die gegen den Einsatz deutscher Soldaten sprechen. Ich erinnere da nur an die Stationierung der Bundeswehr in Litauen.

Diese Soldaten befinden sich an der Grenze zu Russland. Ist das Verhältnis zu Moskau ein Knackpunkt, wenn man über Rot-Grün-Rot im Bund nachdenkt?
Bartsch:
Das trifft auch auf andere Felder wie die Steuerpolitik und die Sozialpolitik zu. Was das Verhältnis zu Russland angeht, könnten wir schneller mit den Sozialdemokraten zusammenkommen als mit den Grünen. Bei allen Differenzen in dieser Frage ist es absurd, die Linke als die fünfte Kolonne Moskaus darzustellen. Wir verurteilen klar und deutlich die Verfolgung Homosexueller in Russland. Die Annexion der Krim haben wir als völkerrechtswidrig bezeichnet. Trotzdem sage ich, auch mit Blick auf den kürzlichen 80. Jahrestag des Überfalls von Nazideutschland auf die Sowjetunion, dass das deutsche Säbelrasseln und das großmäulige Agieren mancher deutscher Politiker gegenüber Russland völlig daneben sind. Wir brauchen vielmehr eine Entspannungspolitik.

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