Linke soll sich neu erfinden

Parteispitze fordert nach Debakel bei der Bundestagswahl schonungslose Analyse der Gründe

  • Daniel Lücking, Jana Frielinghaus
  • Lesedauer: 7 Min.
Die Linke-Spitzenkandidaten zur Bundestags- und zur Berliner Abgeordnetenhauswahl, Bartsch und Lederer, am Montag in Berlin
Die Linke-Spitzenkandidaten zur Bundestags- und zur Berliner Abgeordnetenhauswahl, Bartsch und Lederer, am Montag in Berlin

Am Sonntag stand der Wiedereinzug der Linken auf Messers Schneide. Doch trotz des Verlustes von mehr als der Hälfte der Stimmen gegenüber 2017 und des knappen Verfehlens der Fünf-Prozent-Hürde wird sie erneut in Fraktionsstärke mit 39 Abgeordneten im Bundestag vertreten sein. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Der Partei dürften in den nächsten Wochen und Monaten erneut harte Auseinandersetzungen bevorstehen. Und es sind 30 Mandate weniger, über die die Partei künftig verfügt, um die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung, aber insbesondere jene der prekär Beschäftigten, der Erwerbslosen, der Überarbeiteten und der mehrfach Diskriminierten zu vertreten. Viele engagierte Abgeordnete werden dem neuen Bundestag nicht mehr angehören.

Bereits am Wahlabend gab es erste Schuldzuweisungen. So erklärte Sahra Wagenknecht, Spitzenkandidatin der Landesliste der nordrhein-westfälischen Linken, am Sonntagabend im ARD-Wahlstudio: »Wir haben jetzt seit mehreren Jahren eher maue Wahlergebnisse gehabt. Und ich denke, das hat etwas damit zu tun, dass die Linke sich in den letzten Jahren immer weiter von dem entfernt hat, wofür sie eigentlich mal gegründet wurde, nämlich als Interessenvertretung für normale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für Rentnerinnen und Rentner.« Deshalb müsse man jetzt eigene Fehler offen eingestehen und diskutieren. Auch die »Vehemenz«, mit der sich ihre Partei SPD und Grünen immer wieder als Koalitionspartnerin »angedient« habe, obwohl diese ihr »die kalte Schulter gezeigt« hätten, sei kritisch zu sehen, so die ehemalige Ko-Vorsitzende der Bundestagsfraktion. Allerdings erlebte die Linke gerade in Nordrhein-Westfalen, wo Wagenknecht als Spitzenkandidatin die Landesliste der Partei anführte, zugleich aber in keinem Wahlkreis direkt kandidierte, einen besonders drastischen Einbruch. Sie erreichte dort 3,6 Prozent der Zweitstimmen - bei der Bundestagswahl 2017 hatte sie 7,5 Prozent der Stimmen geholt.

Die Linke-Bundesspitze forderte am Montag eine »bedingungslose Analyse« der Niederlage und kündigte eine »Neuaufstellung der Partei« an. Die Linke-Kovorsitzende Susanne Hennig-Wellsow verteidigte im Gespräch mit »nd« das offensive Eintreten für ein Bündnis mit SPD und Grünen. Sie halte dies nicht für ein »Andienen«. Das von der Parteispitze vorgeschlagene Sofortprogramm für ein solches Bündnis bedeute nicht, »dass wir unsere Grundsätze aufgeben, im Gegenteil, sie sind immer unser Kompass«. Ein Sofortprogramm bedeute, erste Schritte festzulegen. Das aber sei natürlich nicht »das ist nicht das Endergebnis, was wir wollen«. Es gehe ihr immer darum, deutlich zu machen, dass man ernsthaft Verantwortung für eine Verbesserung der sozialen Lage vieler Menschen übernehmen wolle. Mit Blick auf ihre Begegnungen mit Bürgern im Wahlkampf in ihrem Thüringer Wahlkreis sagte die Parteivorsitzende: »Was ich an Verarmung und Verelendung und gleichzeitig an Hoffnungslosigkeit und Perspektivlosigkeit erlebe, ist schwer erträglich.« Leider werde der Linken »im Moment nicht zugetraut, dass wir diesen Zustand verändern können«.

Mit Blick auf die Forderungen an die Linke, sie müsse sich zur Nato bekennen, sagte Hennig-Wellsow am Montag in der Berliner Parteizentrale: »Die Nato ist ein Kriegsbündnis, und ein Bekenntnis dazu wird es von uns nicht geben.« Sie verteidigte auch die Empfehlung des Parteivorstandes an die Bundestagsfraktion, sich bei der Abstimmung über das Bundeswehrmandat zur Evakuierung von Menschen aus Afghanistan zu enthalten. Es sei der Parteispitze um ein möglichst einheitliches Auftreten gegangen.

Dietmar Bartsch, Spitzenkandidat der Linken zur Bundestagswahl, beklagte in der Bundespressekonferenz auf »nd«-Nachfrage den Umgang der anderen Parteien mit der Linken in Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die Kritik an der Enthaltung der Mehrheit der Linke-Abgeordneten bei der Abstimmung über das Bundeswehrmandat zur Evakuierung von Menschen aus Afghanistan sei »denunziatorisch« und »sachlich falsch« gewesen, beklagte der Chef der Bundestagsfraktion. Es sei eine Falschbehauptung, wenn gesagt werde, die Linke habe sich gegen die Evakuierung gewandt. Bartsch erinnerte an die politische Verantwortung der Parteien, die den 20 Jahre andauernden Kriegseinsatz in Afghanistan zu verantworten haben und daran, dass die Linke lange vor dem Abzug der deutschen Truppen umfangreiche Evakuierungen gefordert habe, dass dies aber von der Großen Koalition abgelehnt worden sei. Bartsch bekräftigte, dass die Linke Friedenspartei bleiben wolle: »Die Alternative wäre ja, wir wollten Kriegspartei werden.« Das werde nicht eintreten.

Die Linke-Spitze plant noch für diese Woche Gespräche auf Fraktions- und Parteiebene, um das weitere Vorgehen abzustimmen. Auf einer Tagung des Parteivorstandes am kommenden Wochenende solle insbesondere besprochen werden, wie die Ursachenanalyse konstruktiv und solidarisch organisiert werden könne und wie man zur klaren Formulierung gemeinsamer Ziele komme, sagte Hennig-Wellsow gegenüber »nd«.

Dietmar Bartsch zeigte sich überzeugt, dass die Ursache für die Niederlage nicht im Wahlkampf liege, sondern »grundsätzlicher Natur« sei. Ein Faktor sei gewesen, dass die Partei in den vergangenen Jahren vielfach ein »Bild der Zerrissenheit« abgegeben habe.

Martin Schirdewan, Ko-Vorsitzender der Linksfraktion im Europaparlament, sagte am Sonntagabend im Gespräch mit »nd«, er bedauere es sehr, dass es keine Mehrheit für eine progressive Alternative gegeben habe, in der die Linke das soziale Korrektiv hätte bilden können. Nun gelte es, ein »hegemoniales Zentrum« um die beiden Linke-Vorsitzenden Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow zu bilden, um besser als bisher die Inhalte der Partei kommunizieren zu können. »Denn nach der Wahl ist vor der Wahl«, so Schirdewan. Die Praxis, interne Differenzen oft »sehr kontrovers« öffentlich auszutragen, müsse beendet werden, forderte Schirdewan.

Thomas Nord, der nicht erneut für den Bundestag kandidiert hat, sagte im Gespräch mit »nd«, er habe das aktuelle Wahlergebnis der Linken seit langem erwartet. Denn die Partei habe die gesamte Legislaturperiode über widersprüchliche Signale gesendet, insbesondere, was ihre Position zu Flucht und Migration sowie zum Klimaschutz betreffe. Beim Thema Migration sei Die Linke wie auch ihre Wählerschaft gespalten. Das sei vermutlich in absehbarer Zeit auch nicht zu ändern. Es sei aber unabdingbar, dass die Partei hier wie bei der Klimapolitik eine gemeinsam nach außen vertretene Position entwickle. Gelinge das nicht, werde sie weiter an Zustimmung verlieren, prognostiziert Nord. Er betonte, die Wahl habe gezeigt, dass die Linke insbesondere mit SPD und Grünen um Wähler konkurriere. Daher könne sie es sich nicht leisten, wie in der Vergangenheit oft geschehen, »Wählerbeschimpfung zu betreiben«.

Tatsächlich hat die Linke bei der Bundestagswahl laut Analysen von Meinungsforschern, 820 000 Wähler an die SPD verloren und 180 000 ehemalige Wähler der Sozialdemokraten hinzugewonnen. »Netto« sind also immer noch mehr als eine halbe Million Linke-Wähler zur SPD abgewandert.

Parallel wechselten 610 000 Menschen, die 2017 die Linke wählten, zu den Grünen, 130 000 Ex-Grünen-Wähler entschieden sich dagegen für die Linke. Es bleibt also ein Negativ-Saldo von 480 000 Stimmen.

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Doch das ist nur die halbe Wahrheit: Bei den Erstwählern konnte die Linke generell kaum punkten. Und Berücksichtigung müsste bei ihrer Ursachenforschung auch finden, dass geschätzt 520 000 Personen, die vor vier Jahren noch für die Linke votierten, jetzt überhaupt nicht an der Wahl teilgenommen haben. Und dass 330 000 Menschen nun an ihrer Stelle eine Kleinpartei wählten. Von dieser Form des Protests gegen als etabliert und opportunistisch wahrgenommene Parteien dürfte insbesondere die Satiregruppe »Die Partei« profitiert haben. Auch die Abwanderung zu CDU, FDP und AfD ist insgesamt nach wie vor eine nicht zu vernachlässigende Größe: An die Liberalen und die Rechtspopulisten verlor die Linke je 160 000 Wähler und selbst an die Unionsparteien 110 000.

Zudem werden Wahlentscheidungen in der zunehmend polarisierten Mediengesellschaft oft spontan und kurzfristig anhand von wiederum medial gepushten Sympathiewerten entschieden. Würde jeder nach seinen persönlichen Interessen entlang der Aussagen in den Wahlprogrammen entscheiden, hätte es theoretisch eine absolute Mehrheit für die Steuerpläne der Linken geben müssen, von denen alle Berufstätigen mit einem monatlichen Einkommen von bis zu 6500 Euro brutto erheblich profitiert hätten, während die Reichsten stärker zur Kasse gebeten worden wären.

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