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  • Berlin 2030 klimaneutral

Mach mal Vorreiter

Fast 40.000 Menschen wollen, dass die Hauptstadt bis 2030 klimaneutral wird

Als erste deutsche Großstadt soll Berlin bis 2030 klimaneutral werden - dafür haben 39.116 Berliner*innen in den vergangen drei Monaten das Volksbegehren der Initiative Berlin 2030 klimaneutral unterschrieben. Allein beim globalen Klimastreik vor zwei Wochen wurden über 10.000 Unterstützer*innen gewonnen. Fast doppelt so viele Stimmen wie nötig wären übergab das aus 26 Organisationen, Initiativen und NGO’s bestehende Bündnis am Mittwoch dem Senat. »Wir fordern die Reduktion der CO2-Emissionen um 70 Prozent bis 2025 und um 95 Prozent bis 2030 gegenüber 1990«, sagt Stefan Zimmer von der Initiative in der vorangehenden Pressekonferenz.

Dabei sollten auch die Emissionen des Flughafens BER berücksichtigt und aus den bisherigen »Zielen« des Senats verbindliche »Verpflichtungen« werden. Außerdem solle es einen sozialen Ausgleich geben, indem zum Beispiel Mietsteigerungen durch Wärmedämmung nicht auf Mieter*innen umgelegt werden. Bislang zielt die Berliner Politik, genau wie die Europäische Union, erst auf eine Klimaneutralität bis 2050 ab.

Was heißt klimaneutral?
  • Klimaneutralität bedeutet, dass das globale Klima nicht weiter negativ beeinflusst wird. Dafür muss vor allem die Emission von Treibhausgasen wie CO2, Methan oder Lachgas gestoppt werden, die zur Erderwärmung beiträgt.
  • Eine andere Möglichkeit wäre, diese Emissionen zu kompensieren, beispielsweise durch die Aufforstung von Wäldern, die CO2 aufnehmen.
  • Berlin 2030 klimaneutral fordert jedoch Reduktion vor Kompensation.
  • Eine weitere Forderung der Initiative, neben CO2 auch sämtliche andere Treibhausgase zu berücksichtigen, wurde vom Berliner Senat mit der Novelle des Klimagesetzes von August bereits umgesetzt.
  • Bei einer globalen Erwärmung um mehr als 1,5 Grad werden sogenannte Kipppunkte überschritten, zum Beispiel das Abschmelzen des arktischen Meereises, wodurch sich das Klimasystem nicht mehr stabilisieren ließe.

»Wirksam und wirkungslos zugleich«. Junge Menschen sind angesichts der Klimakrise verzweifelt – das hat der Hungerstreik deutlich gemacht. Und er war ein Erfolg

»Wenn wir die 1,5 Grad-Grenze einhalten wollen, ist das Emissionsbudget in Deutschland aber um 2030 bereits erschöpft«, sagt Volker Quasching, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft. Er ist Vertrauensperson des Volksbegehrens. Im Wahlkampf habe Quasching »sehr geärgert, dass alle Parteien vom 1,5 Grad-Pfad gesprochen haben, aber keine Partei Ziele vorgelegt hat, mit denen wir den einhalten können«. Positives Gegenbeispiel sei die dänische Hauptstadt Kopenhagen, die bereits 2025 Klimaneutralität erreicht haben will und dafür konsequent Fahrradwege aus- und Parkplätze zurückbaue. Quasching sagt, auch er wolle »endlich in einer Stadt leben, die Vorbild ist. Berlin muss mal den Hintern hochkriegen.«

Auch Hans-Josef Fell, Initiator von Energy Watch Group und ebenfalls Vertrauensperson des Volksbegehrens, findet, dass die deutsche Hauptstadt eine Vorreiterrolle einnehmen müsse. Dafür notwendig seien eine Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energie, ein Umbau der Land- und Forstwirtschaft sowie eine abfallfreie Kreislaufwirtschaft. »Das ist technisch und ökonomisch auch möglich, es scheitert bislang nur am politischen Willen«, sagt Fell. Die Umstellung auf Klimaschutztechnologien müsse keine soziale Belastung sein, sondern könne im Gegenteil sogar Wohlstand befördern, indem statt in Ölimporte in Energieerzeugung in der Region investiert werde.

Für Cornelia Auer vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung kommt das Volksbegehren »genau zur richtigen Zeit, um dem zukünftigen Senat diesen Auftrag zu geben«. Der zurückliegende Sommer habe mit den Überflutungen in Ahrweiler und den Bränden in Südeuropa gezeigt, dass die Klimakrise nicht mehr nur »in weiter Ferne passiert«. Berlin müsse darauf vorbereitet sein, »was unweigerlich auf uns zukommt«, so Auer.

Die Wahlergebnisse seien für Berlin 2030 klimaneutral zwar »ein Dämpfer« gewesen, sagt Stefan Zimmer. »Wir hätten uns mehr Stimmen für Parteien erhofft, die Klimaschutz wollen.« Dass nun voraussichtlich Franziska Giffey (SPD) und nicht Bettina Jarasch (Grüne) Regierende Bürgermeisterin werde, sei jedoch kein Grund, »den Kopf in den Sand zu stecken. Jetzt braucht es noch mehr Druck aus der Zivilgesellschaft.«

Die soll auch die konkreten Maßnahmen erarbeiten, mit denen die Klimaneutralität bis 2030 erreicht werden könne. Die Initiative fordert von der zukünftigen Regierung die Einberufung eines für die Berliner Bevölkerung repräsentativen Bürger*innenrates, der von Wissenschaftler*innen beraten wird und Handlungsempfehlungen und sozial gerechte Sofortmaßnahmen entwickelt. Nach der Unterschriftenübergabe rechnet Berlin 2030 klimaneutral bis Ende Oktober mit einer Bestätigung des Senates, dass das erforderliche Quorum für ein Volksbegehren erreicht wurde. Die weitere rechtliche Prüfung könne bis zu fünf Monaten dauern, dann werden die Forderungen an das Abgeordnetenhaus übertragen. »Wenn unser Vorhaben abgelehnt wird, steigen wir in die zweite Phase ein und sammeln Unterschriften für einen Volksentscheid«, erklärt Zimmer. In diesem Fall würden alle Berliner*innen, voraussichtlich 2023, über die Klimaneutralität bis 2030 abstimmen.

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