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Im Teufelskreis gefangen

Von Schattenbanken, Liquiditätsdynamiken und dem Mythos der »Schwarzen Null«: Wie die Zentralbanken den Kapitalismus stabilisieren und gleichzeitig die Krisenanfälligkeit verstärken

  • Guido Speckmann
  • Lesedauer: 7 Min.

Sind die Zentralbanken die neuen Ärzte am Krankenbett des Kapitalismus?

Das könnte man fast so sagen. Das derzeitige globale Finanzsystem ist seit der globalen Finanzkrise von 2008 äußerst instabil. Mit ihren neuen unkonventionellen Maßnahmen sorgen die Zentralbanken für die Stabilisierung dieses Systems und damit für das Überleben des Kapitalismus. Wenn die Notenbanken hingegen versuchen, wie früher einfach nur klassische Leitzinspolitik zu machen, kommt es sofort zu Krisen. Die Instabilität kann nur durch die Bereitstellung von extrem viel Liquidität abgeschwächt, aber nicht beseitigt werden. Deswegen haben Zentralbanken eine immens wichtige Rolle erhalten.

Zur Person
Joscha Wullweber, geboren 1973, ist Heisenberg-Professor für Politische Ökonomie und Transformation an der Universität Witten-Herdecke. In seinem Buch »Zentralbankkapitalismus« untersucht Wullweber die Umbrüche in der aktuellen Geld- und Finanzpolitik und vor allem die neuen Instrumente der wichtigsten Notenbanken.

Was ist denn das Neue an der Politik der Zentralbanken?

Das erste von drei Instrumenten ist die Nullzinspolitik. Seit 2008 in den USA und wenigen Jahren später in der Eurozone liegen die Leitzinsen bei null oder einen Tick höher. Seitdem gibt es keine klassische Leitzinspolitik mehr, wie sie davor üblich war.

Derzeit wird wieder über die Anhebung der Leitzinsen diskutiert, um die stärkere Inflation zu bekämpfen.

Diese Diskussion geht an der Problematik vorbei. Die Leitzinsen werden auf absehbare Zeit auf null bleiben. Die Europäische Zentralbank (EZB) selbst rechnet damit, dass die Inflation aufgrund von Sonderfaktoren nur ein vorübergehendes Phänomen ist.

Die sogenannte quantitative Lockerung ist das zweite wichtige neue Instrument der Zentralbanken. Hier werden massiv Geldmittel durch die Aufkäufe von Wertpapieren wie Staats- oder Konzernanleihen zur Verfügung gestellt. Aktuell pumpt die EZB jeden Monat 80 Milliarden Euro zusätzlich in das Finanzsystem.

Und das dritte Instrument?

Das hat mit dem Schattenbankensystem zu tun. Einfach erklärt bedeutet Schattenbankensystem Kreditvermittlung außerhalb des darlehensbasierten Bankensystems und außerhalb von Regulierung. Im unregulierten Teil des Finanzsystems findet Kreditvermittlung und Handel mit Vermögenswerten statt. Klassische Geldverleiher im Schattenbankensystem sind Geldmarkt- oder Pensionsfonds und klassische Geldleiher sind Hedgefonds. Dieser Sektor ist nach der Finanzkrise immer wichtiger geworden - auch, weil Staaten und Zentralbanken ihn mit aufgebaut haben.

Der marktliberale Glaube an den freien Markt ist im Schattenbankensektor par excellence ausgearbeitet. Die völlig unregulierte Kreditvermittlung wurde als optimal angesehen, weil davon ausgegangen wurde, dass Liquidität dadurch genau da hinkommt, wo sie gebraucht wird, ohne dass Staaten irgendwie involviert wären.

Staaten und Notenbanken haben den Schattenbankensektor mit aufgebaut - wie das?

Nach der Insolvenz der Bank Lehman Brothers im Jahr 2008, die schließlich das ganze globale Finanzsystem mit in den Abgrund riss, merkte die US-Zentralbank Fed, dass man das Schattenbankensystem gar nicht auf dem Schirm hatte. Lehman war hier nämlich ein zentraler Player gewesen - ein wichtiger Schattenhändler. Die Fed hat das aber erst im Nachhinein verstanden. Vorher haben sie gedacht, es würde schlicht ausreichen, wenn den Banken genügend Liquidität zur Verfügung gestellt werde, indem sie die Rolle des Kreditgebers letzter Instanz - »Lender of Last Resort« - wahrnimmt, also Kreditlinien für Banken bereitstellt. Um Banken zu stützen, funktionierte das gut, nicht aber für Schattenbanken. Die globale Finanzkrise war im Kern aber eine Krise des Schattenbankensystems. Um dieses zu stabilisieren, musste die Fed nun selbst als Händler im Schattenbankensystem aktiv werden, als sogenannter »Market Maker of Last Resort«. Seitdem stellt sie den Schattenbanken Staatsanleihen und Geldmittel zur Verfügung.

Warum macht die Fed das?

Sie ist dazu gezwungen. Täte sie es nicht, würde sofort eine Dynamik im Schattenbanking einsetzen, eine Liquiditätsabwärtsspirale, die innerhalb kurzer Zeit dessen Zusammenbruch und damit den Crash des gesamten Finanzsystems zur Folge hätte, weil beide Systeme eng miteinander verflochten sind. Es scheint paradox, aber die Fed agiert im unregulierten Schattenbankensystem, um das regulierte Bankensystem zu retten. Doch weiß sie nicht genau, wie sie stabilisieren kann und muss.

Die wichtigsten Zentralbanken befinden sich momentan in einem Suchprozess. Sie sind gewissermaßen im Maschinenraum des Kapitalismus und drehen an verschiedenen Knöpfen. Sie wissen nicht, um im Bild zu bleiben, welche Knöpfe welche Effekte haben und wie weit man sie drehen darf. Eine völlig neue Situation.

Wieso sind Schattenbanken so bedrohlich für das globale Finanzsystem?

Schattenbanken wirken wie ein Verstärker. Wenn Liquidität da ist, wird diese enorm verstärkt - bis viel zu viel da ist. Wenn die Liquidität schwindet, wird der Liquiditätsentzug durch sie ebenfalls enorm beschleunigt. Diese Dynamik kann das System selbst nicht auffangen. Die Zentralbanken müssen reingrätschen und als Schattendealer einspringen. Das Problem dabei ist: Die Ursache der Krisenanfälligkeit wird nicht angegangen, sondern tendenziell noch verstärkt, weil die Finanzmärkte mit immer mehr Liquidität versorgt werden. Das führt zu größeren Blasen, die irgendwann platzen. Die Zentralbanken sind in einem Teufelskreis gefangen.

Wie ließe sich denn die Ursache für diese Instabilität beseitigen?

Indem Staaten das Schattenbankensystem regulieren. Weiterhin ist es notwendig, dass Regierungen massive Investitionsprogramme auflegen, die die produktive Wirtschaft in Schwung bringen. Denn das ist das Grundproblem des Zentralbankkapitalismus: Die Wirtschaft kommt seit der globalen Finanzkrise nicht mehr in Fahrt, weil Regierungen immer noch an Austeritätspolitik und an die »Schwarze Null« glauben. Selbst die Zentralbanken und der Internationale Währungsfonds sprechen sich inzwischen für Investitionsprogramme und für eine expansive Ausgabenpolitik des Staates aus. Wenn die Wirtschaft durch massive Fiskalpolitik gestärkt würde, könnten auch die Zentralbanken langsam zu ihrer konventionellen Praxis zurückkehren.

Ist in den USA nicht gerade eine Wende in Sicht? US-Präsident Joe Biden legt doch starke Konjunkturprogramme auf.

Das geht in die richtige Richtung, ist aber immer noch viel zu wenig. Seit den 80er Jahren wurden die Investitionen stark zurückgefahren. Allein um das aufzuholen, bedarf es weitaus größerer Programme.

In der Corona-Pandemie wurde angesichts des intervenierenden Staates häufig die These vom Ende des Neoliberalismus vertreten. Mit Blick auf das Finanzsystem würden Sie dem widersprechen, oder?

Absolut. Das vorherrschende Argument lautet ja, wir befinden uns gerade in einer Krise und deshalb muss der Staat stützend eingreifen. Aber das soll eine Ausnahme bleiben; es wird ja schon über die Rückkehr zur »Schwarzen Null«, mithin Ausgabenkürzungen, diskutiert. Aber wie, bitte schön, soll man dann den Klimawandel bekämpfen?

Christian Lindner und Armin Laschet würden sagen, durch technologischen Fortschritt.

Als ob der vom Himmel fällt! Der wird staatlich stark finanziert, durch Grundlagenforschung etwa und steuerliche Anreize. Auf die Idee zu kommen, mit dem Markt den Klimawandel anzugehen, ist absurd. Man sieht das auch daran, wohin die Finanzmittel fließen. Sie werden eben nicht überwiegend in grüne Anleihen umgeschichtet, weil der Markt begriffen hat, was die Stunde geschlagen hat. Die Profitmargen dort sind viel zu gering.

Außerdem sind die Investitionen zudem noch höchst risikoreich, weil der Staat nicht für die nötigen Sicherheiten sorgt, indem er Regulierungen vorgibt. Investoren, die ihr Geld in klimaschonenden Techniken angelegt haben, können sich nicht sicher sein, ob die Politik nicht mit der laschen Klimapolitik der letzten Jahre fortfährt und sich ihre Investitionen am Ende überhaupt rechnen werden. In der kohlenstoffintensiven Industrie hingegen lassen sich derzeit sehr gute Gewinne machen.

Deutsche Mainstream-Ökonomen kritisieren, dass die Zentralbanken mit ihrer unkonventionellen Politik monetäre Staatsfinanzierung betrieben. Trifft das zu?

Ja und nein! Richtig ist, dass durch die Zentralbankprogramme die Finanzierungsbedingungen für Regierungen derzeit traumhaft sind. Deutschland beispielsweise erhält derzeit einen Realzins von zwei Prozent, verdient also Geld mit der Staatsverschuldung. Das ist aber nicht der Grund dafür, dass die Zentralbanken solche Programme auflegen. Die EZB kauft keine Staatsanleihen auf, um Staaten zu finanzieren, sondern um das Finanzsystem und die Eurozone zu stabilisieren.

Die EZB ist die einzige Institution, die derzeit das europäische Projekt effektiv zusammenhält, weil sie durch die Anleihenkäufe verhindert, dass die Zinssätze für zum Beispiel deutsche und italienische Staatsanleihen auseinanderdriften. Wenn man die Anleihekaufprogramme kritisiert, muss man in Kauf nehmen, dass die Eurozone auseinanderbricht. Einzige Alternative: Eine gemeinsame starke Fiskalpolitik der Regierungen, inklusive Eurobonds. Doch beides wird von den Kritikern der EZB-Politik ebenfalls abgelehnt!

Joscha Wullweber: Zentralbankkapitalismus. Suhrkamp, 297 S., br., 20 €.

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