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Verurteilt ohne Schuldspruch - vom DFB

Der BGH gibt dem Deutschen Fußball-Bund Recht: Vereine müssen für Fehlverhalten der Fans haften

Chris Förster und sein FC Carl Zeiss Jena wollten »Gerechtigkeit«, wie der Geschäftsführer des Fußballvereins aus der Regionalliga Nordost immer wieder betont hatte. Nach einem außergewöhnlichen und drei Jahre währenden Kampf gegen den Deutschen Fußball-Bund (DFB) wurden der 49-Jährige und der Viertligist aus Thüringen am Donnerstag enttäuscht. »Wir müssen uns das Urteil ansehen und entscheiden, ob es wert ist, das Bundesverfassungsgericht anzufragen«, erklärte Förster, nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am Morgen in dieser Sache entschieden hatte. Dessen Urteil besagt: Der DFB darf weiterhin Vereine mit Strafen belegen, wenn deren Fans gegen Regeln verstoßen.

Gegen Rechtsprinzipien

Der Ausgangspunkt des Rechtsstreites liegt in den Jahren 2018 und 2019. Carl Zeiss Jena spielte damals in der 3. Liga und wurde vom DFB sportgerichtlich einerseits für Verfehlungen seiner Fans bei drei Spielen, hauptsächlich wegen Anwendung von Pyrotechnik, verurteilt. Andererseits auch wegen eines nicht ausreichenden Ordnungsdienstes in sechs Fällen. Die Höhe der Strafzahlung: knapp 25 000 Euro. Grundlage dafür ist die Rechts- und Verfahrensordnung des DFB. Diese sieht vor, dass die Vereine für das Verhalten ihrer Anhänger und Zuschauer verantwortlich sind. Sie haften »im Stadionbereich vor, während und nach dem Spiel für Zwischenfälle jeglicher Art«. Genau dagegen wehrt sich der Verein und führt dabei einen wesentlichen Grundsatz der Rechtsprechung an: »Keine Strafe ohne Schuld«, zitiert Förster die lateinische Formel »nulla poena sine culpa«.

Mit dieser Argumentation scheiterte Carl Zeiss Jena im Januar 2020 fast folgerichtig vor dem Bundesgericht des DFB. »Die Berufungen waren zurückzuweisen, da die Verurteilungen jeweils auch wegen eines nicht ausreichenden Ordnungsdienstes erfolgt sind, nicht nur wegen unsportlichen Verhaltens der Anhänger«, begründete damals der Vorsitzende Achim Späth. Auch das Frankfurter Oberlandesgericht gab dem Verband Recht. Und so brachte der thüringische Viertligist den DFB als erster Verein vor den BGH nach Karlsruhe. Der Verhandlung vom 1. Juli folgte nun das Urteil.

»Der Bundesgerichtshof hat die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts zurückgewiesen«, teilte der BGH am Donnerstagmorgen mit. Die fünf Richter des I. Zivilsenats begründeten ihre Entscheidung gegen den FC Carl Zeiss Jena wie folgt: »Der Schiedsspruch verstößt nicht wegen einer Verletzung des mit Verfassungsrang ausgestatteten Schuldgrundsatzes gegen den ordre public. Die ›Geldstrafe‹, die gegen die Antragstellerin für das Verhalten ihrer Anhänger verhängt und vom Schiedsgericht bestätigt worden ist, stellt keine strafähnliche Sanktion dar, die diesem Grundsatz unterliegen könnte. Sie dient nicht der Ahndung und Sühne vorangegangenen Fehlverhaltens der Antragstellerin, sondern soll den künftigen ordnungsgemäßen Spielbetrieb sichern.« Damit bestätigte der BGH die Argumentation des DFB, der derartige Strafen als »Präventivmaßnahmen« benennt.

Die Reaktionen auf dieses Urteil fielen in erwartbarer Form aus. Der DFB ließ über seinen Interimspräsidenten Rainer Koch verlautbaren, dass er sich »uneingeschränkt in seiner Auffassung bestätigt« sehe. Die aktive Fanszene, die darin auch eine Form unberechtigter Kollektivstrafen sieht, konterte mit Kritik. Christian Bieberstein ist Anhänger des Hamburger SV und Beisitzer im Vorstand der bundesweiten Fanvereinigung »Unsere Kurve«. Gegenüber »nd« sagte er: »Wir haben in Deutschland ein funktionierendes Rechtssystem. Es gibt einen Schuldigen, der sich zu verantworten hat. Im Fußball wird dies aber außer Kraft gesetzt. Hier gilt nicht das Verursacherprinzip und Kollektivstrafen werden auch verhängt, obwohl sie nicht im Grundgesetz vorgesehen sind. So kann der DFB willkürlich Strafen verhängen und muss über deren Höhe nicht mal den Nachweis einer Berechtigung bringen.«

Für den FC Carl Zeiss Jena gilt weiterhin, was Chris Förster schon zuvor deutlich gemacht hatte. »Letztlich bestraft der DFB unter dem Deckmantel der Verbandsautonomie die Vereine seit Jahren für etwas, an dem sie keine Schuld haben.« Und seine Sicht gleicht der Fankritik, wenn er sagt: »Das geht schon in Richtung Sippenhaft.« Ob der Klub nun Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegt, bleibt abzuwarten. Rechtlich umstritten ist die Argumentation des BGH und damit die langjährige Praxis des DFB aber allemal. Auch unter Juristen. In der Literatur sei die Meinung zwar geteilt, sagt Jens Gerlach von der Hamburger Bucerius Law School. Aber: »Die Tendenz geht dahin, dass die verschuldensunabhängige Bestrafung unwirksam ist.«

Jonas Gabler ist Politikwissenschaftler und beschäftigt sich seit über einem Jahrzehnt mit dem Thema Fußball und Fans. Auch beruflich, unter anderem in der Kompetenzgruppe »Fankultur und Sport bezogene Soziale Arbeit«, kurz KoFaS. »Damit wurden wieder mal die Hoffnungen von Fans und auch Vereinen enttäuscht. Aber das Urteil verändert nichts am Status quo, deshalb befürchte ich auch keine größeren Auswirkungen«, sagte er am Donnerstag im Gespräch mit »nd«. Er meint aber auch: »Wenn das objektive Verhalten der Vereine und deren Maßnahmen bewertet würden, dann gebe es kaum noch Strafen.« Damit spricht Gabler einen Punkt an, der abseits des jetzigen Urteils und aller juristischen Diskussionen und Auseinandersetzungen Vereine und Fans seit Jahren verzweifeln lässt.

Ratlose Vereine und 15 Millionen Euro für den DFB

Das trifft auch auf den FC Carl Zeiss Jena zu. Chris Förster formuliert es konkret: »Unser Sicherheitssystem ist vom DFB zertifiziert und von der Dekra überprüft. Wir setzen sogar Spürhunde bei den Pyrokontrollen ein. Teilweise wird das Stadion in der Nacht vor dem Spiel bewacht und bei Risikospielen weiten wir das Veranstaltungsgelände aus, um mehrere Kontrollen durchzuführen.« Der vom Geschäftsführer des Vereins geschilderte Aufwand ist längst noch nicht alles, was Vereine machen, um Sicherheit zu gewährleisten. Dementsprechend ist Förster auch ratlos: »Mir fällt nicht ein, was wir noch an zusätzlichen Maßnahmen tun könnten.«

Vor dem Hintergrund, dass die Vereine alle möglichen Auflagen erfüllen, wirken die vom DFB verhängten Strafen noch seltsamer. Einerseits durch deren Benennung als »Präventivmaßnahme«. Genau das zweifelt Christian Bieberstein von »Unsere Kurve« an. »Wir fordern Belege vom DFB, inwiefern diese Strafen präventiv wirken. Zudem sehen wir darin seit Jahren keinen wirklichen Lösungsansatz«, erklärt er gegenüber »nd«. Auch die willkürliche Festlegung der Strafhöhe wird seit Jahren kritisiert. Dies wäre in »normalen« juristischen Prozessen anders. Vielleicht, viele vermuten das, wären dann auch die Summen sehr viel geringer. Fest steht, dass der DFB in den vergangenen zehn Jahren rund 15 Millionen Euro durch derart verhängte Strafen eingenommen hat. Selbst wenn der Verband angibt, damit Stiftungen und soziale Projekte zu fördern - ohne das System der Sportgerichtsbarkeit gebe es das Geld nicht.

Platz für Zweifel an seiner Moral und an seinem rechtmäßigen Handeln hat der DFB in der Vergangenheit jedenfalls genug gelassen. Dies wird auch in dieser Sache beim Blick auf seine Struktur deutlich: Seine weniger betuchten Regional- und Landesverbände sprechen auch etliche solcher Strafen aus. Die Einnahmen daraus fließen aber wohl größtenteils nicht in Projekte oder Stiftungen.

Den Großteil der Strafzahlungen von Vereinen an den DFB geht auf die Verwendung von Pyrotechnik durch Fußballfans zurück. »Eine Lösung in dieser Frage würde sehr viel entschärfen. Auch im Verhältnis zwischen Fans, Vereinen und Verbänden. Aber das ist ein Gedanke aus einer utopischen Welt. Der DFB steht in dieser Frage auch unter erheblichem Druck der Politik«, sagt Jonas Gabler zu »nd«. Im Jahr 2011 waren Verband und Fans einer gemeinsamen Lösung zum gefahrenfreien Abbrennen von Pyrotechnik schon sehr sehr nahegekommen. Auch damals grätschte die Politik dazwischen. Die Fronten sind seitdem verhärtet, die Zeit steht still. Wie bei den sportrechtlichen Mitteln der »Präventivmaßnahmen« und Kollektivstrafen, die aus einer Zeit stammen, als Fußballvereine tatsächlich noch zur Übernahme von Verantwortung gezwungen werden mussten.

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