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Neue Allianzen im Rathauspoker
Sechs Berliner Bezirke haben neue Bürgermeister - Wiederwahl von Sören Benn in Pankow durch zwielichtiges AfD-Verhalten überschattet
Mit einigen Überraschungen bei der Wahl der ersten Rathausspitzen und nicht frei von Dissonanzen ist in Berlin die Politik auf bezirklicher Ebene in Bewegung geraten. Fünfeinhalb Wochen nach den Wahlen waren am Donnerstag zunächst die Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammengekommen. Am späten Nachmittag konstituierten sich dann auch die zwölf Bezirksverordnetenversammlungen (BVV). Längst nicht überall kam es bereits zur Wahl der Bezirksämter. Aber in der Hälfte der Bezirksparlamente wurden auch schon die Rathauschefs gewählt - in Marzahn-Hellersdorf, Pankow, Treptow-Köpenick, Mitte, Neukölln und Spandau. In Spandau kommt erstmals eine Frau an die Spitze. In Marzahn-Hellersdorf und Pankow haben neue Zählgemeinschaften verhindert, dass dort die jeweils stärkste Fraktion am Ende auch den Bezirksbürgermeister stellt. So konnte in Marzahn-Hellersdorf nicht, wie zunächst gedacht, die CDU die Amtskette übernehmen. Und weil im Rathaus Pankow am Ende die Linke doch weiter den Ton angibt, haben die Grünen als klare Wahlsieger das Nachsehen.
Die Wiederwahl des angesehenen bisherigen Amtsinhabers Sören Benn (Linke) zum Bürgermeister des bevölkerungsreichsten Bezirks hatte sich abgezeichnet. Denn nachdem Linke und SPD eine Zählgemeinschaft gebildet hatten, war klar, dass die Grüne Spitzenkandidatin Cordelia Koch kaum noch zum Zuge kommen würde. Die Grünen waren im September mit hohen Stimmgewinnen und 24,7 Prozent zur stärksten Kraft in Pankow gewählt worden, während die Linke mit 19,4 Prozent auf Rang zwei gefallen war.
Benn konnte sich in geheimer Wahl mit 29 Ja-Stimmen bei 24 Gegenstimmen und zwei Enthaltungen durchsetzen. Cordelia Koch trat schließlich mit Erfolg als Bezirksstadträtin und stellvertretende Bürgermeisterin an.
Wie sich im Sitzungsverlauf zeigte, nährte Benns Abstimmungsergebnis aber den unangenehmen Verdacht, dass dabei neben Stimmen der CDU auch welche ausgerechnet von der AfD mit im Spiel gewesen sein könnten. Die Zählgemeinschaft kommt nur auf 23 Stimmen, und Grüne wie FDP - mit drei Sitzen in der BVV - hatten angekündigt, Benn abzulehnen. Forsch ließ AfD-Mann Daniel Krüger verlauten, dass Benn ohne Zutun seiner Fraktion nicht auf die erforderliche Mehrheit gekommen wäre. Das kann man glauben oder nicht, nachprüfbar ist in einer geheimen Wahl davon nichts. Beide Konkurrenten haben jedenfalls mehr Stimmen bekommen als ihr jeweils sicher geglaubter Block hatte.
Vor allem die Grünen zeigten sich nach der Wahl empört, unterstellten, die Linke habe die AfD »zum Spielmacher« bei der Wahl gemacht. Benn wies es angesichts des geheimen Charakters der Wahl als durchsichtiges, interessengeleitetes Manöver der Grünen zurück, wenn sie diese nun mit einem Makel belegten. Er sei sich sicher, genügend Stimmen von den demokratischen Parteien erhalten zu haben.
»Ich halte es für ausgeschlossen, dass die AfD für mich gestimmt hat. Sie hat keinen Grund dafür, denn es gibt ja keine größeren Antagonisten als AfD und Linke«, sagte Benn dem »nd«. »Die AfD hat in den letzten fünf Jahren in Pankow im Wesentlichen nichts weiter gemacht, als gegen Linke-Projekte im Bezirk zu agitieren, zu agieren und einzuschüchtern. Insofern wählt die AfD natürlich nicht absichtsvoll einen Linken zum Bürgermeister.« Allerdings habe die AfD sehr wohl ein Interesse daran, diese Wahlen mit ihrem politischen Gift zu kontaminieren. Sie versuche, einem unliebsamen Bürgermeister die Ausübung seines Amtes unmöglich zu machen, indem sie den Eindruck erwecke, sie habe ihn mitgewählt. »Wenn man dieses Spiel mitspielt, spielt man zu Bedingungen der AfD, und das sollte man nicht tun.«
Bei der Konstituierung der BVV Lichtenberg dagegen haben Linke und Grüne gemeinsam beherzt auf die Bremse getreten: Auf Antrag der Grünen wurde am Abend die geplante Wahl des Bezirksamtes von der Tagesordnung genommen und auf Dezember verschoben. »Die Parteien sind noch nicht so weit. Ich denke, dass sich Linke, SPD und Grüne auf ein rot-rot-grünes Reformbündnis im Bezirk verständigen werden«, resümierte Michael Grunst auf »nd«-Nachfrage.
Dabei schien Lichtenberg, anders als Pankow, nach der Wahl vom 26. September als letzte Bastion der Linken halbwegs sicher und Amtsinhaber Michael Grunst für sie das Rathaus verteidigt zu haben. Doch nach der Wahl hatte die SPD ganz plötzlich das Interesse an der bisherigen Zählgemeinschaft mit der Linken und den Grünen verloren, die Grunst am 16. Dezember 2016 als Bezirksbürgermeister ins Amt gewählt hatte. Auch wenn die Linke bei der BVV-Wahl im September Federn lassen musste, ist sie mit deutlichem Abstand weiter stärkste Kraft. Doch zwischen beiden Parteien, aber auch zwischen Grunst und seinem Stellvertreter Kevin Hönicke (SPD), hakt es dem Vernehmen nach seit Monaten. Vor allem bei der Ausrichtung der Stadtentwicklung liegen beide Seiten über Kreuz. Hönicke beharrt derzeit darauf, selbst Bürgermeister zu werden, setzt dabei auf ein Bündnis aus SPD, Grünen und CDU und lehnt ein erneutes Zusammengehen mit der Linken ab.
Die Grünen wollen Rot-Rot-Grün fortsetzen, schließen aber ein Zusammengehen auch mit der ungeliebten CDU als einzig mögliche demokratische Alternative »nicht gänzlich« aus. Linke und Grüne sind intensiv im Gespräch. In einem Eckpunkte-Papier hat die Lichtenberger Linkspartei explizit der Ökopartei ein detailliertes Angebot zur Bildung einer Zählgemeinschaft unterbreitet. Voraussetzung ist das Vorschlagsrecht der Linksfraktion als stärkste Fraktion zur Wahl eines Bezirksbürgermeisters und die gemeinsame Unterstützung der Wahl von Michael Grunst. Am späten Donnerstagabend warf der Ausgang der Pankower Bürgermeisterwahl seine Schatten auch auf Lichtenberg, auf Twitter begleitet von erregten rot-grünen Debatten.
Gewählt wurde am Donnerstag auch in Marzahn-Hellersdorf. Dort heißt der neue Bezirksbürgermeister, wie seit Tagen angekündigt, Gordon Lemm (SPD). Ermöglicht hat dessen Wahl eine Zählgemeinschaft, auf die sich am Dienstag zuvor die BVV-Fraktionen von SPD, Grünen, Linken, FDP und Tierschutzpartei verständigt hatten. Die bisherige Amtsinhaberin Dagmar Pohle (Linke) war bei der Wahl im September altersbedingt nicht noch einmal angetreten.
Den Wahlausgang in der lange Zeit uneinnehmbar scheinenden Linke-Hochburg hatten mit unverhoffter Klarheit die Christdemokraten für sich entschieden. Von deren Seite wurde mit großer Erbitterung darauf reagiert, dass die stärkste Fraktion in der BVV von den anderen demokratischen Parteien einfach abserviert worden sei. Der CDU-Bezirksvorsitzende Johannes Martin warf vor Lemms Wahl vor allem der SPD und der Linken vor, gar nicht erst das Gespräch mit seiner Partei über Inhalte gesucht zu haben. »Das entspricht nicht den demokratischen Gepflogenheiten«, sagte Martin. Dies sei eine Zäsur in einem Bezirk, in dem bislang »die großen demokratischen Kräfte trotz Kontroversen bei einzelnen Themen immer einen Weg der Verständigung finden konnten«.
In Spandau, ganz im Westen, ist erstmals eine Frau an die Rathausspitze gewählt worden. Nicht unerwartet heißt die neue Bezirksbürgermeisterin Carola Brückner, 51 Bezirksverordnete stimmten für die SPD-Spitzenkandidatin, bei zwei Nein-Stimmen und einer Enthaltung. Neben der SPD hatten in Spandau auch Grüne, Linke und die Tierschutzpartei die Wahl Brückners unterstützt.
Wenig überraschend war auch, dass in Treptow-Köpenick erneut der SPD-Politiker Oliver Igel in das berühmte Köpenicker Rathaus zieht. Igel, der seit 2011 im Amt ist, kam auf 43 Ja- bei sieben Gegenstimmen.
Im Grund vorhersehbar war auch der Ausgang der Bürgermeisterwahlen in den Bezirken Mitte und Neukölln. In Mitte behält Stephan von Dassel (Grüne) sein Amt, für ihn stimmte eine grün-rote Zählgemeinschaft. In Neukölln wurde Martin Hikel (SPD) mit 37 Ja-Stimmen wieder Chef im Rathaus.
Neben den Lichtenbergern werden auch die Bezirksverordneten in Friedrichshain-Kreuzberg, Tempelhof-Schöneberg, Reinickendorf, Steglitz und Charlottenburg-Wilmersdorf ihre Bürgermeister erst in den kommenden Wochen wählen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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