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Rot-Grün-Rot steuert auf sicheren Hafen zu

Die Koalitionsverhandlungen biegen auf die Zielgerade ein - jetzt kommen die großen Themen

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.

Bis spät in den Abend verhandeln die Vertreterinnen und Vertreter von SPD, Grünen und Linkspartei in diesen Tagen. Trotz teils zäher Gespräche kommt die mögliche Senatskoalition dabei voran. »Gestern haben wir eine Verständigung über eine progressive Migrations- und Partizipationspolitik erreichen können«, sagt Berlins Linke-Landesvorsitzende Katina Schubert am Dienstag zu »nd«. Progressiv, fortschrittlich: Das sind Begriffe, die zuletzt nicht mehr so häufig mit der sich abzeichnenden Neuauflage des Berliner Mitte-links-Bündnisses verbunden wurden. Doch beim Thema Migration und Geflüchtete gibt es Einigkeit. »Berlin bleibt sicherer Hafen und Solidarity City«, betont Schubert. Man werde über verschiedene Landesaufnahmeprogramme weitere Geflüchtete unter anderem aus Syrien, Irak und Afghanistan aufnehmen. Auch das alte Ziel der rot-rot-grünen Koalition, Abschiebungen wenn möglich zu vermeiden, soll weiter verfolgt werden.

Gefesselt in der Nacht. Ein Bündnis von Flüchtlingsorganisationen erhebt schwere Vorwürfe gegen die Senatsinnenverwaltung

Eine klare Verständigung gibt es auch darauf, deutlich mehr Einbürgerungen in Berlin zu vollziehen. »Es ist für mich und auch für uns ein ganz wichtiger Schwerpunkt in der nächsten Legislatur, dass wir das Thema Einbürgerungen stärker angehen, dass wir es besser organisieren und dass wir es auch zentraler organisieren«, erklärte die designierte Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) im Anschluss an die Verhandlungen bereits am Montagabend. Dies soll dadurch gelingen, dass die Prozesse beschleunigt und optimiert werden, auch durch die Nutzung der Digitalisierung. Als Bezirksbürgermeisterin von Neukölln dürften Giffey die Einbürgerungsveranstaltungen noch gut in Erinnerung bleiben. Insgesamt 400.000 Menschen, die ihre Wurzeln im Ausland haben, leben in Berlin. Rot-Grün-Rot will mit den Einbürgerungen die Menschen stärker einbinden, aber auch eine deutlichere Anerkennung aussprechen als bisher. Wer ein Wahlrecht habe, der engagiere sich stärker für die Gesellschaft, sagt Linke-Chefin Schubert.

Zwischen Fußtritt und Willkommen. Eine Bilanz der Berliner Integrations- und Migrationspolitik der letzten 40 Jahre fällt ambivalent aus

Das Thema betrifft zwar Bundesrecht, aber auch die Grünen sehen in der Migrationspolitik »Ermessensspielräume, die das Land nutzen kann«, so die Fraktionsvorsitzende Bettina Jarasch. Eine Willkommenskultur zu etablieren: An diesem Beispiel zeigt sich, dass sich SPD, Grüne und Linkspartei in ihrer politischen Kultur viel näher sind, als es zuletzt im Wahlkampf den Anschein machte. Die Grünen legten auch dar, dass nicht nur die bereits bestehenden Schutzprogramme beibehalten werden sollen, sondern dass auch das Landesaufnahmeprogramm für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge wie Frauen, Kinder oder schwer traumatisierte Menschen erweitert werden soll - in Kooperation mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk. Wie viele Menschen dadurch in Berlin aufgenommen werden, wird sich zeigen. SPD-Frontfrau Franziska Giffey sprach von einer Zahl im niedrigen dreistelligen Bereich pro Jahr, für die Berlin »ein sicherer Hafen« werden könnte.

Ob die Koalition - um im Bild zu bleiben - selbst auf dem Weg in einen ruhigen Regierungshafen ist, wird sich in den kommenden Tagen maßgeblich entscheiden. So soll es an diesem Mittwoch unter anderem um die Themen Mobilität und Verkehr gehen. Der Fahrradlobbyverband Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Berlin (ADFC) fordert bereits fest verankerte Fristen und gesicherte Finanzen. »Dafür muss der notwendige Finanz- und Personalbedarf jetzt im Koalitionsvertrag verbindlich festgelegt werden«, sagt der ADFC-Landesvorsitzende Frank Masurat. Wie »progressiv« Rot-Grün-Rot in diesem Bereich sein wird, wird sich noch zeigen müssen.

Radwege finden alle gut. Fahrradlobbyverband ADFC Berliner Parteien wurden einem Verkehrswendecheck unterzogen

Auch bei der für Freitag avisierten Aussprache über die Stadtentwicklung dürfte es unterschiedliche Auffassungen geben. Während die SPD vor allem mit Neubau die Wohnungskrise bekämpfen will, haben Grüne und Linke auch Vorstellungen zur Mietregulierung und Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. »Wir stehen jetzt vor den sehr herausfordernden Politikfeldern, Stadtentwicklung, Klima, Wohnen und Mobilität sowie Inneres«, sagt Katina Schubert. Das seien alles Bereiche, wo das Land Berlin Spielräume habe. »In den nächsten drei Verhandlungsrunden wird sich zeigen, wohin sich das entwickelt«, so die Linken-Vorsitzende.

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