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Bundesanwaltschaft: Linke stets unter Beobachtung

Abschlussbericht zum Wirkens der Behörde von 1950 bis 1974 vorgelegt

Auch die Bundesanwaltschaft (BAW) hat einen Geburtsfehler: Ihre Gründer waren vielfach Juristen, die bereits in der Nazizeit Karriere gemacht hatten. Das und der im Kalten Krieg auch von den Westalliierten in der alten Bundesrepublik gepflegte Antikommunismus führten in der Behörde dazu, dass gegen Linke im Allgemeinen und Kommunisten im Besonderen eifrig ermittelt - und mit harter Hand vorgegangen wurde. Zugleich hielt sich der Wille, etwa Beweise gegen Rechtsradikale und sogar Rechtsterroristen zu sammeln, in Grenzen.

All das ist grundlegend bekannt. Am Mittwoch stellten Friedrich Kießling, Professor für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Bonn und Christoph Safferling, Professor für Strafrecht und Völkerrecht an der Universität Erlangen Nürnberg ihre im Auftrag der Bundesanwaltschaft erstellte Studie »Staatsschutz im Kalten Krieg - Die Bundesanwaltschaft zwischen NS-Vergangenheit, Spiegel-Affäre und RAF« vor, für die sie die Aktivitäten der Behörde in der Zeit von 1950 bis 1974 erforscht haben.

Die Autoren zeichnen unter anderem das Vorgehen des damaligen Generalbundesanwalts Albin Kuhn in der »Spiegel«-Affäre 1962 nach. Er hatte gegen das damals linke Magazin nach einem kritischen Bericht über ein Nato-Manöver und die von der Bundesregierung verfolgte Strategie des atomaren Erstschlags Ermittlungen wegen Landesverrats eingeleitet und mehrere Redakteure verhaften lassen. In dem Bericht hatte es geheißen, die Bundesrepublik habe bei einem Angriff durch die Sowjetunion keine Überlebenschance.

Nach Angaben des amtierenden Generalbundesanwalts Peter Frank war seine Behörde die erste in der Bundesjustiz, die eine solche Studie zu ihrer Vergangenheit in Auftrag gegeben hat. Um die Professoren und ihr Team bei ihrer Untersuchung zu unterstützen, bildete die Behörde eine Projektgruppe, die ihnen als Ansprechpartner zur Verfügung stand. Sie erhielten unter anderem Einsicht in die Personalakten der bei der BAW in den ersten zwei Jahrzehnten Beschäftigten.

Ein Ergebnis der Untersuchung: Die Behörde hat schon lange vor der »Spiegel«-Affäre gegen das Magazin ermittelt. Sie habe eine »größere Rolle gespielt als gedacht«, teilte Friedrich Kießling bei der Vorstellung des Abschlussberichts am Donnerstag in Karlsruhe mit. So wurde »Spiegel«-Herausgeber Rudolf Augstein vom damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback persönlich festgenommen. »Die Bundesanwaltschaft hatte ein Interesse daran, den ›Spiegel‹ zu verfolgen«, sagte Kießling. Die Polizei hatte auf Anordnung der BAW im Oktober 1962 in einer nächtlichen Aktion die »Spiegel«-Redaktionsräume in Hamburg und Bonn durchsucht. Mehrere Redakteure wurden wegen des Verdachts auf Landesverrat festgenommen.

Auch die Scheu der Behörde, sich mit der Nazi-Vergangenheit der eigenen Mitarbeiter zu befassen, ist Thema des Buches von Kießling und Safferling. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die anfangs sehr kleine Bundesanwaltschaft in ihren Gründungsjahren zu einem sehr hohen Anteil mit ehemaligen NSDAP-Mitgliedern und Juristen aus dem NS-Justizapparat besetzt war. Viele von ihnen arbeiteten bereits in der Oberreichsbundesanwaltschaft des Hitlerregimes. Einen bewussten Bruch mit der NS-Vergangenheit habe es in Karlsruhe nicht gegeben, konstatieren die Autoren.

Margaretha Sudhof, Staatssekretärin im Bundesjustizministerium, konstatierte bei der Vorstellung der Untersuchung, lange habe eine »Schlussstrichmentalität« vorgeherrscht. »Die NS-Vergangenheit wurde verdrängt und verschwiegen.« Vielfach hätten Nazi-Funktionäre ihre Karrieren in der Bundesrepublik fortsetzen können. Der Nationalsozialismus führe wie keine andere Epoche der Rechtsgeschichte »vor Augen, wie manipulierbar, wie ideologieanfällig Recht« sei. Keine andere Epoche zeige so drastisch, wie Recht sich missbrauchen lasse. »Wissen um diese Umstände, ein Bewusstsein für die ideologische Anfälligkeit des Rechts immunisiert - hoffentlich - gegen Barbarei.«

Generalbundesanwalt Frank warnte derweil davor, die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur NS-Belastung seiner Behörde in der Nachkriegszeit nur als Bestätigung der eigenen vermeintlichen moralischen Überlegenheit zu verstehen. Sie seien eine Mahnung an alle in der Behörde, wachsam zu bleiben.

Friedrich Kießling/Christoph Safferling: Staatsschutz im Kalten Krieg - Die Bundesanwaltschaft zwischen NS-Vergangenheit, Spiegel-Affäre und RAF. dtv, 608 S., 34 €; ab sofort im Buchhandel.

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