Werbung
  • Politik
  • Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen

Hört auf, Männern zu verzeihen!

Gewalt gegen Frauen wird oft verharmlost und als Kavaliersdelikt abgetan. Dabei ist sie eine Menschenrechtsverletzung – und weltweit trauriger Alltag.

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 4 Min.

Ich bin eine Frau. Übergriffige Männer gehören zu meinem Alltag und dem meiner Freundinnen. Allein in Deutschland erfahren statistisch 13 Frauen pro Stunde (!) Gewalt von ihren, meist männlichen, ehemaligen oder aktuellen Intimpartnern. Jede dritte Frau erlebt in ihrem Leben körperliche oder sexualisierte Gewalt durch Familienmitglieder, Partner oder Ex-Partner. Diese Gewalt kann im schlimmsten Falle tödlich enden – und tut es für rund 50 000 Frauen pro Jahr auf der ganzen Welt. Gewalt gegen Frauen ist – laut den Vereinten Nationen – eine Menschenrechtsverletzung und eine »globale Krise«.

Und doch müssen Frauen und weiblich gelesene Menschen tagtäglich darum kämpfen, dass diese Gewalt gegen sie als solche behandelt wird. Die Verurteilungen bei diesen Delikten liegen jährlich lediglich im zweistelligen Bereich. Und das Bundeskriminalamt geht davon aus, dass neun von zehn Gewalttaten durch Intimpartner gar nicht erst angezeigt werden. Das liegt zum einen daran, dass es begründete Hemmungen geben kann, einen ehemals vertrauten Menschen anzuzeigen. Das liegt aber auch an der nervenzehrenden Beweisaufnahme, die dann folgt und häufig ins Leere läuft. Denn allzu oft noch wird zum Beispiel der Fakt, dass eine Frau einen ehemaligen Partner in die eigene Wohnung gelassen hat, als Zeichen der Zustimmung gewertet.

In Frankreich gibt es dazu gerade die Onlineaktion #doublepaine (doppelter Schmerz), bei der Frauen teilen, welche Demütigungen sie bei der Polizei erlebt haben, als sie sexualisierte Gewalt anzeigen wollten: Haben Sie getrunken? Was hatten Sie an? Stellen Sie sich doch nicht so an! Es ist schon komisch: Steht ein Auto in Flammen, schreit die bürgerliche Gesellschaft »Gewalt«. Wird eine Frau misshandelt, fragt sie zuerst: Kann das wirklich stimmen? Und wenn ja, war das wirklich so schlimm?

Jetzt kann man sich fragen, ob strafrechtliche Verfolgung die Lösung ist. Doch wie kann Gewalt gegen Frauen bekämpft werden, solange sie selbst von staatlich Beschäftigten nicht ernst genommen wird?

Es ist schon eine Weile her, da klopfte sich eine Horde beanzugter alter weißer Männer im Bundestag auf die Schenkel und prusteten höhnisch los vor Lachen, als eine junge weiße Frau forderte, Vergewaltigungen in der Ehe als Straftat einzustufen. Das ist in der Zwischenzeit passiert – doch die Mentalität dieser Schenkelklopfer ist gesund und munter: Es war erst in diesem Jahr, zweitausendeinundzwanzig, als der Modedesigner Wolfgang Joop im »Spiegel«-Interview nostalgisch über die »wunderbar frivole und frigide« Welt der Mode sprach, in der Labels ihre weniger lukrativen Models zwangsprostituierten.

Als der ehemalige »Bild«-Chef Julian Reichelt unverhohlen über die »Fickbarkeit« seiner Mitarbeiterinnen sinnierte. Als der Comedian Luke Mockridge alles daran setzte, dass die Vorwürfe der sexuellen Übergriffe gegen ihn ins Leere laufen. Geändert hat sich, dass diese Männer nicht mehr gänzlich unwidersprochen und ohne Konsequenzen bleiben. Joop hat sich inzwischen auf Instagram »entschuldigt«, Reichelt wurde gefeuert und Mockridge ist wohl in psychologischer Behandlung. Man kann nur hoffen, dass es dabei auch um seinen vorgeblichen Machtmissbrauch geht.

Machtmissbrauch ist auch der berühmte »Klaps auf den Hintern«, der noch so manchem wie eine scherzhafte Begegnung vorkommen mag. Auch das ist Gewalt. Und Gewalt an Frauen ist kein Scherz. Egal in welcher Form sie daherkommt. Diese Gesellschaft verzeiht Männern zu viel. Er hat mal wieder das Kind vor dem Kindergarten versetzt? Die Ex-Freundin geschlagen? Die Großnichte ungewollt angefasst? Die Beine der Kollegin kommentiert? Allzu oft ist die gesellschaftliche Reaktion: Kann das wirklich stimmen? Und wenn ja, war das wirklich so schlimm? Sonst ist er ja ganz nett. Doch genau hier liegt das Problem. Denn das eine schließt das andere nicht aus. Die Statistiken zeigen: Wir alle kennen Frauen, die Gewalt erleben – ergo auch Männer, die Gewalt ausüben. Erst wenn wir das anerkennen und einen anderen Umgang damit finden, wird eine Veränderung möglich sein.

Und die Fragen kann ich Ihnen beantworten: Ja, meistens stimmt es. Und ja, meistens war es wirklich so schlimm.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal