Das Konzept von Biden wird scheitern

Conrad Schuhler prophezeit den USA weitere Schwächung - innen wie außen

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Taschenbuch hat nur 160 Seiten, aber seine Informationsdichte, seine sozial-ökonomischen Schwerpunkte und die leserfreundliche Urteilsfreude des Verfassers machen die Neuerscheinung locker mit manch größerem Werk zur Entwicklung der USA konkurrenzfähig.

Conrad Schuhler (81), der seit Langem das Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung München leitet, studierte in Manchester und München Volkswirtschaft, war in den 80ern Chefredakteur der DKP-Zeitung »UZ« und wurde im Frühsommer 1989 laut »Spiegel« »in Ost-Berlin gemaßregelt, weil ausnahmsweise doch mal DDR-Kritisches ins Blatt gerutscht war«. Jetzt hat er sich »Das Neue Amerika des Joseph R. Biden« vorgenommen.

Herausgekommen ist ein Buch, das - der stärkere Teil - halb Analyse ist und halb Streitschrift mit forschen, meist gerechtfertigten Thesen zu den USA, aber auch einige kritikarme Blicke auf China und Russland enthält. So hätte man bisweilen gern gewusst, was der Autor von der Autokratie in China hält. Und der im Nachwort zutreffend bewertete Afghanistan-Einsatz der USA kontrastiert höchst problematisch mit der wortkargen Sicht auf die zehnjährige Besetzung Afghanistans durch die Sowjetunion. Die liest sich hier so, als sei sie eine Art Wohltätigkeitsveranstaltung gewesen.

Schuhler beginnt seine Untersuchung mit einer erhellenden Nachbetrachtung zum Ergebnis der Präsidentschaftswahl vor einem Jahr. Mit handlichen Grafiken, die er auch zu anderen Themen gewinnbringend einsetzt, lässt er das Gesamtbild der Wählerschaft des erfolgreichen neuen Präsidenten Biden und des kaum weniger erfolgreichen Donald Trump erstehen. Der typische Biden-Wähler bzw. die Wählerin hatte danach College-Ausbildung und ein eher geringeres Einkommen, war nichtweiß und weiblich, jünger und entschieden liberal, lebt in der Stadt und hält Rassismus wie auch die Corona-Pandemie für die wesentlichen Probleme der Gesellschaft.

Trumps Wählerschaft besaß weniger als College-Bildung, aber höheres Einkommen, arbeitet Vollzeit, ist weiß, männlich und älter, lebt in ländlichen Bezirken, ist entschieden konservativ und hält die Wirtschaft bzw. die Verbrechensbekämpfung für die Schlüsselprobleme Amerikas.

Schuhler belegt die Stabilität beider Blöcke - 92 Prozent der Trump-Wähler 2016 wählten ihn auch vier Jahre später wieder, während 95 Prozent der einstigen Hillary-Clinton-Wähler auch diesmal für den Demokraten stimmten. Und damit für die Zementierung der gesellschaftlichen Spaltung. Schon hierin sieht Schuhler einen Grund für die reale Gefahr einer Wiederkehr Trumps oder eines Trump-Ersatzes bei der nächsten Wahl 2024 und, damit einhergehend, für die »Gefahr eines Faschismus per Stimmzettel«.

Der Autor analysiert die Gesichter der »Amerikanischen Krankheit«, der beispiellosen Spaltung zwischen unten und oben, der Einbußen an Wettbewerbsfähigkeit in wirtschaftlich-technischer sowie handels- und forschungspolitischer Hinsicht, vor allem gegenüber China, bei gleichzeitig fortdauerndem Ehrgeiz, mit allen Mitteln die Nr. 1 in der Welt zu bleiben. Kern von Bidens Konzept sind für Schuhler »das Erstarken der USA selbst, das Versammeln der ›westlichen‹ Staaten hinter den USA und die ständige Verringerung der Stärken und Einflussmöglichkeiten der ›autokratischen‹ Gegenseite«, zu der vor allem China und Russland zählen. Unzutreffend erweckt er meines Erachtens den Eindruck, Biden suche - anders als einst Präsident Franklin D. Roosevelt - mit seinen vor ungewissem Ausgang stehenden Modernisierungs- und Sozialplänen im Kongress heute lediglich die Zustimmung »eines auf ihn eingeschworenen Medienkorps«, nicht aber breiter Wählerkreise.

Das Neue an Biden ist, dass er sich der existenzbedrohenden Schwere der US-Krise durchaus bewusst ist. Allerdings stimmen die Erfolgsaussichten seiner Krisenstrategie wenig optimistisch. Da bin ich ganz bei Schuhler, der sich mehrfach überzeugt zeigt, dass »das Konzept von Joe Biden scheitern wird«.

Sowohl die Reichweite der geplanten Ausgaben als auch die Erfolgschancen ihrer parlamentarischen Verabschiedung sind unzulänglich und ungewiss. Und der Versuch der US-Administration in Washington, im Systemkonflikt mit China die westlichen Verbündeten, darunter Deutschland, in eine feste und folgsame Front gegen Peking zu bringen, wird mit einiger Sicherheit ebenfalls erfolglos bleiben. Der militarisierte Kurs gegenüber China im Indo-Pazifik droht von einem längst eingetretenen Kalten Krieg in einen heißen umzuschlagen.

Conrad Schuhler: Das Neue Amerika des Joseph R. Biden. Papyrossa, 164 S., br., 13,90 €.

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