Unglücklich im schicken Ambiente

Die Serie »Szenen einer Ehe« holt Ingmar Bergmans 70er-Jahre-Klassiker über den Zerfall einer bürgerlichen Liebe in die Gegenwart

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 4 Min.

Nachdem Ingmar Bergmans legendärer Sechsteiler »Szenen einer Ehe« 1973 im schwedischen Fernsehen gelaufen war und im darauffolgenden Jahr in dem skandinavischen Land die Scheidungsraten in die Höhe schossen, glaubte mancher, einen Zusammenhang erkennen zu können. Hierzulande lief »Szenen einer Ehe« kurze Zeit später in einer fast dreistündigen Kinofassung und die kammerspielartige Geschichte einer zerbrechenden Partnerschaft lieferte unter anderem auch aus feministischer Sicht reichlich gesellschaftspolitischen Diskussionsstoff.

Nun hat der Sender HBO ein Remake dieses Klassikers aufgelegt, das bereits auf den Filmfestspielen in Venedig lief und nun auch in einer synchronisierten Fassung auf Sky zu sehen ist. Waren es im Original der Stockholmer Naturwissenschaftler Johan (Erland Josephson) und die Anwältin Marianne (Liv Ullmann), die feststellten, dass ihre Ehe nicht mehr funktioniert und die in einen langwierigen und schmerzhaften Trennungsprozess eintraten, sind es nun die in Boston lebenden Jonathan (Oscar Isaac) und Mira (Jessica Chastain). Er Philosophieprofessor, sie erfolgreiche Managerin in der Tech-Branche. Wobei der israelische Regisseur Hagai Levi in der dichten, stimmungsvollen, quasi nur aus Dialogen und dennoch unglaublich spannenden Inszenierung des Stoffes einige Aspekte der personellen Anordnung verändert hat.

In Levis »Szenen einer Ehe« ist es nicht der Mann, der sich in eine andere verliebt (1973 in eine junge Studentin) und die Frau sitzen lässt, um woanders außerdem einen Karrieresprung hinlegen zu können, sondern es ist umgekehrt. Jonathan, der fast schon vorbildlich Care-Arbeit leistet und die vorrangige Bezugsperson für die fünfjährige Tochter Eve ist, arbeitet viel von zu Hause, während die Hauptverdienerin Mira durch die Welt jettet, einen anderen Mann kennenlernt und einen hoch dotierten Managementjob in London angeboten bekommt.

In fünf Episoden werden Ereignisse aus vier Jahren dieser komplizierten und vielschichtigen Trennungsgeschichte erzählt. Statt wie in Bergmans Original, wo die Serie mit einem Interview für eine Zeitschrift beginnt, in der nach dem Funktionieren der Ehe gefragt wird, ist es im Remake das Interview einer Doktorandin, die schon als Babysitter bei der Familie gejobbt hat und über den Zusammenhang von Geschlecht, Lohnarbeit und Sorgearbeit forscht.

Wobei dieser Switch in Sachen Geschlecht nur bedingt alles umdreht, denn im Zuge der Trennung wird die Frage nach einer weiteren Familiengründung inklusive Kinderwunsch für die Frau altersbedingt ein Problem, nicht jedoch für den Mann. Ebenso ist die berufliche Perspektive der alleinerziehenden Mutter deutlich prekärer als die des Vaters.

Aber die fünf einstündigen Episoden erzählen vor allem von der knallharten emotionalen Auseinandersetzung dieser Trennung. Diese findet in dem bürgerlichen Wohnhaus, in dem sich dieses spannungsgeladene psychologische Kammerspiel entwickelt, und das stellenweise zu sehr nach hippem Möbelhauskatalog aussieht, eine wichtige Materialisierung.

Es geht um fehlende Leidenschaft, um die Frage, ob die funktionale familiäre Partnerschaft mit Kind ausreicht oder ob das so schmerzhaft wahrgenommene Fehlen von Romantik vor allem eine gesellschaftliche Konditionierung und Teil kapitalistischer Ideologie ist. Wer übernimmt welche Verantwortung? Wie steht es um das Kind? Das übrigens eher Verhandlungsmasse als Person ist, weil es meist gar nicht da ist, schläft oder vom Babysitter betreut wird. Wer kann und will seine beruflichen Träume verwirklichen oder hintenanstellen? Und wie verändert sich das Haus im Lauf der Jahre, in denen spotlightartig die Titel gebenden »Szenen einer Ehe« hauptsächlich angesiedelt sind? Die drastischste Auseinandersetzung - inklusive körperlicher Gewalt - schaukelt sich hoch, während die beiden inmitten gepackter Kisten den Eheauflösungsvertrag unterschreiben. Und immer wenn es so aussieht, als wäre alles vorbei, bringt die sexuelle Anziehung als Ausdruck einer nicht wirklich auflösbaren Liebesbeziehung die beiden wieder für kurze Zeit zusammen, nur damit sie sich hinterher gleich noch streitlustiger zerfleischen.

Am Anfang jeder Episode von Hagai Levis »Szenen einer Ehe« sehen die Zuschauer das Filmset, auf dem alle Mitarbeitenden in einer großen Studiohalle ihre FFP2-Masken tragen und die Schauspieler durch die künstliche, an ein riesiges Puppenhaus erinnernde Filmkulisse laufen, um auf Startposition zu gehen. Corona spielt in der Serie, die zeitlich vor 2019 angesiedelt ist, sonst keine Rolle.

»Szenen einer Ehe« ist eher wie eine besondere Art von Theater, das von den außergewöhnlichen schauspielerischen Leistungen der Darsteller lebt, die sich immer wieder regelrecht in Rage spielen und aus diesem dialogreichen Stück Fernsehen ein verblüffend mitreißendes Drama machen, das auch viel vom Alltagsleben einer akademischen Bildungsbürgerschicht und vom jüdischen Ostküstenamerika erzählt.

Am Ende, als Jonathan und Mira vier Jahre später ihr früheres Haus über AirBnB mieten und dort eine Winternacht verbringen, wird klar, dass die Trennung, das vermeintliche Ende dieser zu Beginn als Bilderbuchehe inszenierten Zweisamkeit, letztlich einfach nur in eine andere Art von Beziehung geführt hat - jenseits der Ehe. Diesen komplexen Vorgang fängt die Serie kongenial ein.

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