Die drei Lottokönige

Der Wahlerfolg fiel der Ampel in den Schoß und wird nun zum Geniestreich stilisiert

»Mit System zum Gewinn« war lange Zeit ein Werbespruch der staatlichen Lotterie – suggerierend, man könnte sich mit kluger Planung und weiser Strategie beim Glücksspiel zum Millionär hochspielen. Als ähnlich systematisch denkende Lottokönige stehen uns jetzt die Spitzen der Ampel-Parteien gegenüber – der geradezu phänomenale Zufall, der sie an die Macht gespült hat, wird jetzt von ihnen und ihren Anhänger*innen als sorgfältig geplante, strategisch geniale Kampagne dargestellt.

Da ist einmal die SPD, von der man noch Anfang des Jahres nicht einmal mehr ein Röcheln vernahm. Mit jeder zurückliegenden Wahl stärker abgeschlagen, inhaltlich verwahrlost, personell atomisiert, war die Partei nichts weiter als ein Planungsbüro für die jeweils nächste Große Koalition, ein erweiterter Thinktank der CDU und eine Plattform für die junge Verwaltungselite – man macht jetzt fünf Jahre SPD, als Volontariat für höhere Aufgaben. Nachdem jeder noch so zaghafte Aufbruch von Seeheimern und alten Schröderianern binnen Jahresfrist kassiert wurde, ließ sich der innerlich längst schon in der Wirtschaft angekommene, selbst in der Rolle des Vizekanzlers ausnehmend blasse Olaf Scholz dazu herab, noch einmal eine Ehrenrunde als Kandidat zu drehen. Seine ausgesucht seltenen Auftritte im Wahlkampf demonstrierten, wie wenig ihn die ganze Kiste eigentlich interessierte, die SPD fand schlicht nicht statt. Die Partei hatte sich auf das Überwintern unter der eigentlich schon fixierten schwarz-grünen Koalition eingerichtet.

Leo Fischer

Leo Fischer war Chef des Nachrichtenmagazins »Titanic«. In dieser Rubrik entsorgt er den liegen gelassenen Politikmüll.

Da waren die Grünen, die schon die Kanzlerschaft in Reichweite hatten und sich das nur damit erklären konnten, dass ihr mediales Bild von der tristen parteipolitischen Realität komplett abgekoppelt war. Von Trittin seinerzeit weise zur bürgerlichen Partei erklärt, mit einer sicheren Abonnent*innenkartei im ökoliberalen Lehrer- und Beamtenmilieu, konnten ihre Strateg*innen so verdutzt wie erfreut feststellen, dass Fridays-for-Future-Aktivist*innen in der Partei wahrhaftig so etwas wie eine Lösung für etwas sahen; eine Liebe, von der die meisten schon geheilt sein dürften. Völlig unverdient machten NGOs für die Partei Werbung, für eine virtuelle Agenda; nichts, was man den Grünen an Erwartung entgegenbrachte, war durch Programm oder Personal begründet. Die monatelange Springer-Kampagne, mit der Baerbock und Laschet systematisch heruntergeschrieben wurden, hat Schwarz-Grün indes zunichte gemacht: Besonders die Grünen hatten keinerlei Antwort auf die Anwürfe; von Sympathie verwöhnt, hatte man beschlossen, die Kampagne auszusitzen, während die Umfragewerte in den Keller rauschten. Dass die Grünen nun doch mitregieren, dürfte sie selbst am meisten verblüfft haben.

Diese zwei Parteien, die sich innerlich überhaupt nicht auf die Macht vorbereitet hatten, werden inhaltlich konsequent von der FDP geführt, die in allen materiellen Fragen die Programmpartei der Ampel ist. Doch auch der FDP fiel ihr Wahlergebnis praktisch in den Schoß. Ideologisch ist die Bundespartei im Jahr 2009 eingefroren, neben Christian Lindner hat sie keine bekannten Persönlichkeiten. Ihr Erfolg liegt im Wesentlichen an der hyperaktiven Social-Media-Arbeit ihrer Jugendorganisation, die eine beispiellose Materialschlacht auf Tiktok und Instagram führte, in der Fremd- und Selbstvermarktung nahtlos ineinander übergingen. Niemand kann einem erzählen, dass die Jugend FDP wählte, weil sie eine sprechende Tapete wie Marco Buschmann cool findet.
Das Schicksal der drei Lottogewinner könnte indes das vieler Lottomillionäre sein – die allzu oft schon in wenigen Jahren komplett verarmen.

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