- Berlin
- »Aufstand der letzten Generation«
Klimaaktivistinnen verzieren Bundeskanzleramt
»Aufstand der letzten Generation« fordert ein Essen-Retten-Gesetz und eine Agrarreform
Schnellen Schrittes marschieren fünf junge Frauen aus Richtung des Tiergartens auf die Ostseite des Bundeskanzler*innenamtes zu. Sie tragen schicke Blazer und Mäntel und kleine Farbtöpfe in den Händen. Vor der Wand links des Eingangsbereiches, an der Paul-Löbe-Allee, bleiben sie stehen, zücken Pinsel und schreiben in großen grellorangen Lettern »Essenretten-Gesetz Jetzt« und »Agrarwende 2030« auf den weißen Putz.
Das sind die beiden Forderungen der Aktivistinnen der Klimagerechtigkeitsgruppe »Aufstand der letzten Generation«. Es sei »absolut absurd«, dass inmitten der Klimakrise Lebensmittel verschwendet und in der Landwirtschaft Böden zerstört werden, »die Grundlage unserer Nahrung sind«, sagt Lea Bonasera. Die neue Regierung stehe in der Verantwortung, »unser Recht auf Nahrung, unser Recht auf Überleben zu schützen«. Da sie das nicht tue, wollen die Frauen mit ihrer Aktion darauf aufmerksam machen, dass die aktuelle Politik immer weiter in eine »Klimahölle« führe, so Bonasera weiter.
Vernünftige Maßnahmen dagegen würden von Verantwortlichen oft als »Fatalismus« bezeichnet, der »Klimanotstand nach wie vor nicht ernst« genommen, ergänzt ihre Mitstreiterin Miriam Meyer. Suse Wißkirchen sagt, sie sei »verzweifelt« und habe »keinen Bock mehr, machtlos zu sein. Ich möchte eine gute, zufriedene Zukunft, vielleicht mal eine Familie haben«. Sie wolle mit der Aktion aber auch anderen Menschen Mut machen. Jede*r könne aktiv werden und sich gegen verfehlte Klimapolitik einsetzen. »Macht mit, wir können gemeinsam etwas tun, das müssen wir tun«, appelliert Wißkirchen.
Als zwei Polizisten auf die Frauen zukommen, schnappen sie sich die Farbeimer und ihr Banner mit der Aufschrift »Essen retten. Leben retten« und laufen auf die andere Seite des Regierungsgebäudes zu, Richtung Otto-von-Bismarck-Allee. »Sie wissen bestimmt, dass das Sachbeschädigung ist, das ist eine Straftat«, sagt einer der Polizisten. Das wissen die 19- bis 29-jährigen Aktivistinnen, lassen sich davon jedoch nicht beeindrucken.
Noch vor den Beamten kommen sie an der Wand rechts des Eingangsbereiches des Bundeskanzler*innenamtes an, ein oranges »O« landet darauf. Doch den geplanten Appell an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) können sie nicht mehr zu Ende bringen. »Jetzt ist aber Schluss hier«, ruft ein Polizist wütend und nimmt Meyer den Pinsel aus der Hand, einige orangefarbene Spritzer landen dabei auf seiner Uniform.
»Olaf Scholz redet von Klimazielen, die erst 2045 erreicht werden sollen«, ruft Melanie Guttmann den umstehenden Passant*innen zu. Suse Wißkirchen findet es eine Farce, darauf zu setzen, dass in dieser Zeit »Lösungen vom Himmel fallen« und fordert die Bundesregierung auf, die Maßnahmen des Klima-Bürger*innenrates umzusetzen, zu denen auch die Agrarwende bis 2030 gehört. »Wir erinnern die Politik daran, dass sie all das selbst bereits versprochen hat. Wir können damit aber nicht Jahre warten. Es braucht jetzt Taten«, sagt Alma Jeschke. Solange die Agrarwende und ein Verbot für Supermärkte, Lebensmittel wegzuwerfen, nicht in die Wege geleitet werden, wollen die Aktivist*innen ab Januar Bundesstraßen und Autobahnen blockieren, »immer und immer wieder, so dass sie uns nicht ignorieren können«, macht Lea Bonasera noch einmal den Plan des »Aufstands der letzten Generation« deutlich.
Die Mal-Aktion an diesem Dienstag hatte für die fünf Aktivistinnen außerdem das Ziel, sich als FLINTA-Personen (Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, Trans- und nichtgeschlechtliche Personen) gegenseitig zu bestärken. »In vielen Aktionen ist es so, dass Cis-Männer für alle sprechen und wir Frauen nicht gehört werden«, sagt Melanie Guttmann zu »nd«. Inspirieren lassen haben sie sich von den Suffragetten, die vor über hundert Jahren in England für das Wahlrecht und die Gleichberechtigung von Frauen gekämpft haben. Es gibt Fotos der Suffragetten, auf denen auch sie ihre Forderungen an eine Wand pinseln. »Sie waren unglaublich entschlossen und mutig«, meint Lea Bonasera.
Nach getaner Arbeit halten die fünf Kämpferinnen gegen die Klimakrise sich an den Händen, inzwischen sind sie von etwa 15 Polizist*innen umringt. Nacheinander werden sie durchsucht, eine Polizistin fischt noch einige orangefarben gefüllte Einmachgläser aus ihren Beuteln und Handtaschen. Anschließend werden sie festgenommen und verbringen die nächsten Stunden in Einzelzellen in der Gefangenensammelstelle in Tempelhof. Erst um 20 Uhr am Abend lässt ein Richter sie wieder frei. Damit haben die Aktivistinnen gerechnet. Die Angst davor sei kein schönes Gefühl, aber die Angst vor der Klimakrise noch stärker, sagt Bonasera.
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