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Mit voller Härte
Die Haftstrafe für den russischen Stalinismusforscher Juri Dmitriew wird verschärft
Juri Dmitrijew hatte nichts anderes erwartet: Auf die Verlängerung seiner Haftstrafe um zwei weitere Jahre reagierte der 65-Jährige gefasst, bedankte sich mit leiser Stimme bei den wenigen Journalisten, welche seinen Prozess begleitet hatten, und wurde in Handschellen aus dem Gerichtssaal abgeführt. Seine Unterstützer skandierten »Schande« und »unschuldig«, wie Handyvideos aus dem Gericht der karelischen Gebietshauptstadt Petrosawodsk von diesem Montag zeigen.
Es ist bereits die zweite Verschärfung des Strafmaßes für den im Juli 2020 zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilten Historiker, welcher den karelischen Zweig von Memorial leitet. Nur drei Monate nach dem ersten Richterspruch wurde Dmitrijews Strafe wegen angeblichen sexuellen Missbrauchs seiner Pflegetochter auf 13 Jahre verlängert. Mit der erneuten Verschärfung muss er somit insgesamt 15 Jahre absitzen und käme erst 2032 wieder in Freiheit. Die Richterin befand Dmitrijew der Herstellung von Pornografie schuldig. Konkret geht es um neun Fotos seiner unbekleideten Adoptivtochter. Dmitrijew gibt an, die Aufnahmen gemacht zu haben, um den Gesundheitszustand des Mädchens zu dokumentieren. Außerdem wurde er des illegalen Waffenbesitzes schuldig gesprochen: Beamte hatten bei einer Hausdurchsuchung Teile eines funktionsuntüchtigen Jagdgewehrs mit abgesägtem Lauf gefunden.
In Wirklichkeit gehe es um eine gezielte Abrechnung mit dem Historiker, vermuten Menschenrechtler: Seit Jahrzehnten erforscht Dmitrijew die stalinistischen Repressionen in Russlands Nordwesten und hat sich dabei viele Feinde gemacht. Vor 25 Jahren entdeckte der Historiker im karelischen Waldgebiet Sandarmoch ein Massengrab mit den Überresten von mehr als 9000 Menschen, die während des Großen Terrors Ende der 1930er Jahre erschossen wurden – darunter viele ukrainische Künstler. Dmitrijew hat Einspruch gegen das Urteil angekündigt.
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