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Rückzahlung zulasten der Bevölkerung

Kristina Rehbein kritisiert den Vorrang des Schuldendienstes vor der Bekämpfung der Pandemie

  • Interview: Martin Ling
  • Lesedauer: 7 Min.

Der Schuldenreport 2022 liegt vor. Bereits im November 2020 meldete mit Sambia ein erstes Land seine Zahlungsunfähigkeit infolge der durch die Corona-Pandemie eingebrochenen Staatseinnahmen an. Im Schuldenreport 2021 wurde eine Welle von Staatspleiten befürchtet. Hat sie sich bewahrheitet?

Im engeren Sinne nicht. Befürchtet wurde vielfach, dass Staaten massenhaft ihre Zahlungen einstellen müssten wie Sambia. Diese Staatspleitenwelle ist nicht eingetreten. Zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 hatten die Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit vieler Länder herabgestuft, womit die Angst vor Staatspleiten befeuert wurde. Letztlich haben nach Sambia aber bisher nur Belize und Surinam pandemiebedingt ihren Schuldendienst auf Eis legen müssen.

Interview
Kristina Rehbein
Kristina Rehbein ist politische Koordinatorin und Geschäftsführerin beim deutschen Entschuldungsbündnis »erlassjahr.de – Entwicklung braucht Entschuldung« und Mitautorin des Schuldenreports 2022. Seit 2017 ist sie zudem Mitglied des Vorstands des European Network on Debt and Development mit Sitz in Brüssel.

Wie konnte die Welle abgewendet werden?

Vorab: Grund zur Entwarnung gibt es nicht. Auch in der politischen Diskussion werden Schuldenkrisen immer wieder damit gleichgesetzt, dass ein Staat die Zahlungen an seine Gläubiger einstellt. Es wird davon ausgegangen, dass die Situation im Griff ist, wenn ein Land es schafft, seinem Schuldendienst nachzukommen. Dem ist nicht so. Wir haben im Schuldenreport 2022 festgestellt, dass sich die gefährliche Dynamik aus steigender Verschuldung und schlechter werdender Schuldentragfähigkeit drastisch verschärft hat. 39 Staaten sind besonders akut von Überschuldung bedroht oder bereits betroffen. Das sind dreimal so viele Länder wie noch vor der Corona-Pandemie. Dass sie ihren Schuldendienst bisher nicht einstellen mussten, lässt sich erklären. Es gab einen massiven Zufluss an Liquidität, die im Zuge der Pandemie zur Verfügung gestellt wurde. Zum Beispiel von multilateralen Gebern wie dem Internationalen Währungsfonds und Entwicklungsbanken. Beide haben ihre Kreditvergabe massiv ausgeweitet, um Ländern finanziellen Spielraum zu ermöglichen, womit die Länder auch die Zahlungsunfähigkeit abwenden konnten. Die Verschuldung wurde aber nicht abgebaut. Das Problem wurde so aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Auch das noch niedrige Weltzinsniveau erleichterte den Zugang zu neuen Krediten, mit denen die alten Kredite bedient werden konnten.

Hat der Zufluss an frischen Mitteln gereicht, um nicht bei den öffentlichen Ausgaben kürzen zu müssen?

Nein. Viele Länder haben dem Schuldendienst Vorrang vor anderen Ausgaben gegeben, zum Beispiel gegenüber Bildungsausgaben, Infrastrukturprojekte wurden auf die lange Bank geschoben. Unterm Strich wurden öffentliche Ausgaben gekürzt. Wir haben ausgerechnet, dass bereits 2021 - also mitten in der Pandemie - 83 Schwellen- und Entwicklungsländer ihre Ausgaben kürzen mussten. Und das, obwohl die Vereinten Nationen und der IWF aufforderten, in die wirtschaftliche Erholung zu investieren, also mehr statt weniger auszugeben. Diese Tendenz wird sich wohl fortsetzen, 2023 werden es laut Prognosen schon 115 Staaten sein, die einen Austeritätskurs fahren müssen und 2026 werden es demnach immer noch 80 Staaten sein, deren Ausgaben dann unter Vorpandemieniveau liegen werden. Diese Priorisierung des Schuldendienstes ging mit einer nachrangigen Behandlung der Rechte ihrer Bevölkerung einher, dem Recht auf öffentliche Dienstleistungen, dem Anspruch auf wirtschaftliche Erholung. Nur durch den erzwungenen Verzicht der Bevölkerung konnte die Staatspleitenwelle abgewendet werden.

Die Initiative DSSI, das Schuldenmoratorium der G20-Staaten für die 73 ärmsten Staaten der Welt ist Ende 2021 ausgelaufen. Das heißt, der Schuldendienst läuft ab 2022 regulär plus Rückzahlung der Moratoriumsschulden ab 2023. Sind Staatspleiten damit nicht programmiert?

Ja und nein. Die DSSI hatte ja einen Geburtsfehler, qualifiziert waren dafür Länder aufgrund niedrigen Pro-Kopf-Einkommens unabhängig vom Verschuldungsgrad. Staatspleiten nach dem Auslaufen des DSSI werden bei hoch verschuldeten Ländern wahrscheinlicher, bei gering verschuldeten nicht. Die Idee der DSSI war ja über das Aussetzen des Schuldendienstes Zeit zu bekommen, um tragfähige Lösungen zu erarbeiten, vor allem das Umschuldungsrahmenwerk CF zum Laufen zu bringen, mit dem denjenigen Ländern, die ihren Schuldendienst eben nicht mehr regulär aufnehmen können, die Möglichkeit zu verschaffen, ihre Schulden nachzuverhandeln. Dieses Rahmenwerk sollte die Länder in die Lage versetzen, frühzeitig einer Zahlungsunfähigkeit entgegenzuwirken. Der CF funktioniert bisher aber nicht. Dass die hoch verschuldeten DSSI-Länder mit dem Auslaufen des Moratoriums in die Bredouille kommen werden, ist somit hoch wahrscheinlich. Der IWF warnt vor einem Staatenkollaps, die Weltbank warnt vor ungeordneten Staatspleiten.

Wäre deswegen eine Verlängerung des Moratoriums sinnvoll gewesen?

Dauerhaft wäre die DSSI keine Lösung, denn es setzt Fehlanreize bei den Gläubigern. Teilweise flossen die durch das Moratorium frei werdenden Mittel einfach an die nicht daran beteiligten privaten Gläubiger. Die sind damit fein raus. Dieser Konstruktionsfehler wurde bis Ende 2021 nicht ausgemerzt.

Die privaten Gläubiger haben das DSSI als Trittbrettfahrer zum Eintreiben ihrer eigenen Forderungen benutzt?

So könnte man das plakativ sagen, ja. Die privaten Gläubiger haben sich einfach nicht beteiligt. Und sie haben den Ländern, die sich an der DSSI beteiligen wollten, gedroht, dass sie sich damit künftig selbst vom Kapitalmarkt ausschließen würden, dass sie künftig nicht mehr für kreditwürdig erachtet würden.

Was haben die Drohungen bewirkt?

Ein interessantes Beispiel ist Kenia. Das Land hat sich zuerst von der Drohung abschrecken lassen und ist erst 2021 in die DSSI eingestiegen. Die Drohungen sind haltlos. Empirisch ist nicht zu belegen, dass ein hoch verschuldetes Land, das Schuldenerleichterungen in Anspruch nimmt, deshalb langfristig den Zugang zum Kapitalmarkt verliert. Die meisten DSSI-Länder hatten ohnehin schon keinen Zugang zum Kapitalmarkt mehr, auch Kenia nicht. Doch die Drohung hat gewirkt: 2020 haben 58 Niedrig- und Mitteleinkommensländer mehr an Zins- und Tilgungszahlungen an private Gläubiger im Ausland gezahlt, als sie im gleichen Zeitraum von diesen an neuen Krediten zur Verfügung gestellt bekamen. Anstatt die Krise rasch zu überwinden, werden private Forderungen auf die öffentlichen Haushalte abgewälzt.

Deutschland hat 2022 wieder turnusmäßig die G7-Präsidentschaft. 1999 beim Kölner Gipfel wurde die Schuldenerlassinitiative HIPC für hoch verschuldete, arme Länder auf den Weg gebracht, die unterm Strich als Erfolg gewertet wurde. Sollte es eine Neuauflage geben?

Die HIPC-Initiative hatte auch ihre Schwächen, war zum Beispiel nur auf 39 Staaten beschränkt. Aber sie hat einen umfassenden Schuldenerlass auf den Weg gebracht, bei dem alle Gläubiger einbezogen wurden, die staatlichen, die multilateralen und die privaten. Einen solchen umfassenden Ansatz braucht es auch jetzt, für alle Länder, die ihn bedürfen. HIPC hat sich lange hingezogen. Das sollte dieses Mal schneller gehen.

Die G20 haben seit der Finanzkrise 2008 der G7 in ihrer Bedeutung den Rang abgelaufen. Ein mächtiger Player innerhalb der G20 und einer der größten Gläubiger ist inzwischen China. Lässt sich China einbinden in Schuldenerlassinitiativen?

Ja. China hat als Mitglied der G20 sowohl zum Moratorium DSSI als auch zum Umschuldungsrahmenwerk CF »Ja« gesagt. China hat rund 45 Prozent des Moratoriums getragen, sich also maßgeblich daran beteiligt. China sendet durchaus kooperative Signale.

Kann Deutschland mit dem G7-Vorsitz Impulse setzen? Im Koalitionsvertrag steht die Forderung nach einem staatlichen Insolvenzrecht. 2014 hat Deutschland auf UNO-Ebene noch dagegen gestimmt. Ein Sinneswandel?

Auf alle Fälle ist die Forderung nach einem staatlichen Insolvenzrecht zum ersten Mal seit 2009 wieder prominent in einem Koalitionsvertrag. Damit hat die Bundesregierung die politische Grundlage dafür gelegt, die lange währenden Forderungen von Ländern des Globalen Südens, von der UNO, von Schuldenexpert*innen nach einem staatlichen Insolvenzrecht mit Leben zu erfüllen. Die deutsche G7-Präsidentschaft kann in der Tat dafür ein wichtiger Impulsgeber sein. Dort könnte für eine Koalition der Willigen geworben werden. Die G7 könnte mit einer gemeinsamen Position die Forderung in der G20 stark machen. Und die Bundesregierung kann auch in der UNO einen Vorstoß für ein staatliches Insolvenzrecht machen, das sie 2014 dort abgelehnt hat. Sie hat es in der Hand.

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