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Im Jahr des Tigers

Chinas neues Jahr nennt sich nach einem Tier, dessen Zukunft ungewiss ist

  • Michael Lenz
  • Lesedauer: 4 Min.

Tiger sind bewunderte, idealisierte, aber auch gefürchtete Großkatzen. Ältere Mitbürger erinnern sich womöglich noch an die Werbung mit dem »Tiger im Tank«. Der Tiger auf Cornflakes-Verpackungen verspricht Kraft und Gesundheit. Die Gebrüder Boon Haw und Boon Par kreierten vor über 100 Jahren einen damals supermodernen Werbefeldzug für ihre Erkältungssalbe »Tiger Balm«: Ende der 1920er Jahre fuhren sie mit einem aus Deutschland importierten Auto der Marke NSU mit Tigerlackierung, einem Tigerkopf als Kühlergrill und einer Hupe mit Tigergebrüll durch die Straßen Singapurs.

Aus der 5000-jährigen Geschichte der chinesischen Kultur und Kunst ist der Tiger als Symbol von Mut und Macht, Stärke und Spiritualität nicht wegzudenken. In diesen Tagen sind Tiger in China und all den asiatischen Ländern mit großer chinesischstämmiger Bevölkerung omnipräsent: Das neue chinesische Jahr, dass seit dem 1. Februar tagelang mit allerlei weltlichen und religiösen Riten opulent gefeiert wird, steht im Zeichen des Tigers.

Nur in der Natur ist der Tiger nicht mehr so omnipräsent, wie er es zwischen Indien, China und Bali einst war. 1920 wurde die Zahl der Panthera tigris weltweit auf rund 100 000 Tiere geschätzt. In den 1970er Jahren gingen Tierschützer nur noch von 4000 wild lebenden Tigern aus. Heute liegt die Zahl der auf der Roten Liste von der IUCN als »gefährdet« eingestuften Tiger zwar auch bei rund 4000 - aber nicht noch immer, sondern wieder. Die gute Nachricht von der Erholung der Tigerpopulation ist Schutzmaßnahmen zu verdanken, die von den Tigerstaaten im letzten Jahr des Tigers 2010 im russischen St. Petersburg vereinbart wurden.

Das ambitionierte Ziel, bis zum nächsten Jahr des Tigers 2022 die Zahl der wildlebenden Tiere zu verdoppeln, wurde jedoch nicht erreicht. Aber es gibt regionale Unterschiede. Eine Erfolgsmeldung: In der chinesisch-russischen Region am Amur könnten schon wieder 310 Amur-Tiger, darunter 119 trächtige Weibchen, durch die naturgeschützten Wälder streifen, hieß es in einer im September 2021 im Fachblatt »Biological Conservation« von Wissenschaftlern und Tierschützern aus den USA und China veröffentlichten Studie. Zum Vergleich: Zwischen 2013 und 2018 waren in China durch Kamerafallen nur 55 Amur-Tiger, besser bekannt als Sibirische Tiger, identifiziert worden. Genanalysen unterschieden gar nur noch 30 Tiere.

Eine Erholung des Bestands wird auch aus Indien gemeldet, Heimat von rund zwei Drittel der verbliebenen wilden Tiger. Von 1411 Tigern im Jahr 2006 sei die Zahl auf 2967 im Jahr 2019 gestiegen, berichtete das Fachblatt »Nature«. Wissenschaftler und Experten von Tier- und Umweltorganisationen warnen jedoch vor einem verfrühten Optimismus. Tiger lebten fast nur noch in Schutzgebieten und selbst diese würden immer kleiner.

Der Habitat-Verlust außerhalb der Schutzgebiete durch Siedlungen, Rodungen und Straßenbau lässt Tiger immer häufiger in Dörfern und auf Viehweiden nach Beute suchen. Das setzt die Anwohner in Angst und Schrecken und führt meist zum Abschuss der Großkatzen.

Die Artenschutzorganistion Traffic geht von mehr als 7000 in Gefangenschaft lebenden Tigern in den (gern als Zoo getarnten) Tigerfarmen in Laos, Thailand, China und anderen asiatischen Ländern aus. »Diese Zahl schätzen wir auf Basis der seit dem Jahr 2000 aus illegalem Handel beschlagnahmten Tiger und Tigerteile wie Häute, Knochen und ganzer Schädel«, sagt Kanitha Krishnasamy, Leiterin von Traffic Südostasien, gegenüber »nd«. Die meisten dieser Tiger seien Produkte der Zucht.

Tigerprodukte aller Art finden als Trophäen und Ingredienzien der chinesischen Medizin Abnehmer, während lebende Tiger in der Unterhaltungsbranche beliebt sind. Es sind vor allem Chinesen, die wild auf Tigerprodukte sind. Aber aktuelle Untersuchungen haben ergeben, dass auch die EU und die USA Umschlagplätze für lebende Tiger und auch Tigerprodukte sind. »Zwischen 2013 und 2017 wurden insgesamt 103 lebende Tiger direkt aus der EU und dem Vereinigten Königreich exportiert und 84 lebende Tiger wurden re-exportiert, alle mit legal erhaltenen, von den Behörden ausgestellten Genehmigungen«, hieß es in einem 2020 von Traffic und dem World Wide Fund for Nature (WWF) veröffentlichten Report. Laxe Kontrollen und unzureichende gesetzliche Regelungen begünstigten den Handel mit Tigern.

Mit Blick auf das nächste Gipfeltreffen der 13 Tigerstaaten im sibirischen Wladiwostok im Juli 2022 warnt die Umweltschutzorganisation Environmental Investigation Agency (EIA): »Zweifellos haben die Tigerpopulationen ... begonnen, sich zu erholen. Aber es gibt keinen Grund, sich zufrieden zurückzulehnen.« So kann man den Tigern als auch den Tigerschützern zum chinesischen Tigerjahr nur alles Gute, oder auf chinesisch Gong Xi Fa Chai, wünschen.

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