Entwurf lässt Schlupflöcher für Unternehmen

Die geplante Richtlinie der EU-Kommission für Sorgfaltspflichten soll nur für große Betriebe gelten

  • Fabian Lambeck, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.

Hand aufs Herz: Wissen Sie, wie Ihre Kleidung produziert wurde? Ein Blick aufs Etikett verrät nur, wo die Fabrik steht. Über die Produktionsbedingungen hingegen erfahren Verbraucher*innen nichts. Dabei ist gerade die Textilindustrie berüchtigt für ihre miesen Arbeits- und Umweltstandards. In Bangladesch oder Pakistan etwa schuften junge Frauen unter sklavenähnlichen Bedingungen 16 Stunden am Tag. Bislang tappten hier auch viele Konzerne im Dunkeln - oder wollten es gar nicht so genau wissen. »Ohne klare Regeln kümmern sich Unternehmen viel zu selten um Menschenrechte und Umweltstandards in ihren Lieferketten - mit fatalen Folgen«, kritisiert Johanna Kusch, Sprecherin der Initiative Lieferkettengesetz. »Viele Länder haben mit nationalen Gesetzen vorgelegt. Die EU hat nun eine historische Chance, in ganz Europa klare Spielregeln zum Schutz der Betroffenen zu schaffen«, hofft Kusch.

Doch lange Zeit tat sich in Brüssel nichts. Dabei hatten sich die 27 EU-Mitgliedsstaaten bereits im Dezember 2020 für ein Lieferkettengesetz ausgesprochen, um internationale Arbeits-, Umwelt- und Sozialstandards besser durchzusetzen. EU-Justizkommissar Didier Reynders hatte zuvor eine entsprechende Initiative eingebracht. Das EU-Parlament verabschiedete im März 2021 entsprechende Empfehlungen an die Kommission und forderte diese auf, einen Richtlinienvorschlag zu erarbeiten. Die Empfehlungen des Parlaments gehen dabei weit über das hinaus, was etwa im deutschen Lieferkettengesetz steht. Anders als in Deutschland sollten auch kleine und mittlere Unternehmen den »gesetzlichen Sorgfaltspflichten« unterworfen sein.

Das deutsche Lieferkettengesetz hingegen, das erst 2023 in Kraft tritt, gilt zunächst nur für Unternehmen ab 3000 Mitarbeiter*innen, später soll die Grenze bei 1000 liegen. Das deutsche Gesetz ist auch als zahnloser Tiger verschrien, weil es keine zivilrechtliche Haftung vorsieht. Somit ist es für Betroffene aus dem Ausland nahezu unmöglich, bei Verstößen vor ein deutsches Gericht zu ziehen. Die Empfehlungen des EU-Parlaments sehen eine solche zivilrechtliche Haftung aber ausdrücklich vor.

Die EU-Kommission selbst hatte eine Studie in Auftrag gegeben, die eindrücklich zeigte, dass es gesamteuropäische Regeln braucht. Demnach hatte nur jedes dritte Unternehmen in der EU seine globalen Lieferketten hinsichtlich Umweltauswirkungen und Menschenrechte sorgfältig überprüft.

Den entsprechenden Entwurf blieb die EU-Kommission schuldig, dabei sollte dieser bereits im Juni 2021 fertig sein. Gleich dreimal musste man eine zuvor angekündigte Veröffentlichung verschieben - zuletzt im Dezember. Die Industrie fürchtet strenge Vorgaben und hat dabei einen mächtigen Verbündeten: das Regulatory Scrutiny Board (RSB). Dieses Gremium innerhalb der Kommission soll die Folgen von Gesetzentwürfen prüfen, etwa ob diese gegen europäische Verträge verstoßen. Wie der Vorsitzende des EP-Handelsausschusses, Bernd Lange, gegenüber »nd« bestätigte, hat das RSB die Kommission ausgebremst. »Das Gremium hat sich zu einer politischen Bewertungsinstanz entwickelt«, kritisiert der Sozialdemokrat.

Offenbar konnte der Entwurf im Sinne der Industrie abgeschwächt werden. So sollen nun Betriebe erst ab einem Jahresumsatz von 150 Millionen Euro und mit über 500 Mitarbeiter*innen unter das Gesetz fallen, wie die »Frankfurter Allgemeine« am Dienstag meldete. Kleinere Unternehmen mit über 250 Mitarbeiter*innen könnten auch betroffen sein, »wenn sie mehr als 50 Prozent ihres Umsatzes in bestimmten Branchen erzielen«, so die »FAZ«. Zu den problematischen Branchen zählen Leder, Textilien, Schuhe, Lebensmittel, Chemikalien und diverse Rohstoffe. Die grüne EP-Abgeordnete Anna Cavazzini kann die Beschränkung auf große Betriebe nicht nachvollziehen: »Das Menschenrechtsrisiko hängt nicht immer mit der Unternehmensgröße zusammen, sondern oft mit dem jeweiligen Wirtschaftszweig.« Cavazzini fürchtet zudem, dass der Entwurf den Firmen große Schlupflöcher lässt, weil er die Sorgfaltsprüfung auf »etablierte Geschäftsbeziehungen« beschränkt. »Ein Unternehmen, das ständig seine Zulieferer wechselt, könnte so die Regeln umgehen«, so die Grüne. Sie begrüßte allerdings, dass die EU-Kommission neben den menschenrechtlichen auch umweltbezogene Pflichten vorschlägt und einen Haftungsmechanismus einführt, der den Opfern von Menschenrechtsverletzungen den Zugang zu Gerichten vereinfacht.

Und immerhin sollen die Unternehmen auch für Verstöße ihrer Zulieferer haften. Zudem wolle Justizkommissar Reynders laut FAZ »die Bonuszahlungen für Manager direkt mit der Überwachung der Lieferketten verknüpfen«. Sollte der Entwurf so durchgehen, müssten sich rund 13 000 europäische Firmen ihre Lieferketten genauer anschauen.

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