Leverkusen will bloß nicht wieder einbrechen

Bayers Fußballer stehen vor schweren Wochen. Als erstes müssen sie gegen Bergamo bestehen

  • Andreas Morbach, Leverkusen
  • Lesedauer: 5 Min.
Weil Luis Muriel (l.) im Hinspiel doppelt für Bergamo getroffen hat, müssen die Leverkusener um Charles Aránguiz nun ein 2:3 aufholen.
Weil Luis Muriel (l.) im Hinspiel doppelt für Bergamo getroffen hat, müssen die Leverkusener um Charles Aránguiz nun ein 2:3 aufholen.

Kerem Demirbay brauchte eine gewisse Anlaufzeit, doch in seinem dritten Jahr in Leverkusen hat sich der frühere Hoffenheimer zu jenem Führungsspieler aufgeschwungen, als den ihn die Chefs seines neuen Klubs am liebsten gleich von Beginn an erlebt hätten. Die nach dem Karriereende der Bender-Zwillinge Lars und Sven veränderte Hierarchie in der Mannschaft motiviere Demirbay, mehr Verantwortung zu übernehmen, stellte Sportdirektor Simon Rolfes bereits im vergangenen Herbst erfreut fest. Auf internationaler Bühne konnte Mittelfeldmann Demirbay dem zuletzt allerdings nicht gerecht werden, weil er nach seinem Platzverweis im Gruppenspiel gegen Betis Sevilla für die nächsten drei Partien gesperrt war.

Das Platzverbot für den Confed-Cup-Sieger von 2017 ist mit dem Achtelfinalhinspiel in der Europa League bei Atalanta Bergamo vor einer Woche abgelaufen. Und das ist nach den jüngsten Hiobsbotschaften - Jungstar Florian Wirtz (Kreuzbandriss) und Rechtsverteidiger Jeremie Frimpong (Syndesmoseriss) fallen verletzt monatelang aus - immerhin mal wieder eine positive Nachricht für Bayer. Im entscheidenden Duell gegen Bergamo am Donnerstagabend ist Demirbay wieder mit von der Partie und kann mithelfen, den erhofften Sprung unter die letzten Acht im Wettbewerb zu schaffen.

Vor zwei Jahren standen die Leverkusener zuletzt im Viertelfinale der Europa League, scheiterten dort allerdings an Inter Mailand. Nun stellt sich den Rheinländern erneut ein Team aus der Lombardei in den Weg, das im Hinspiel einen phasenweise unwiderstehlichen Angriffswirbel auf dem Rasen entfacht hat. Damit bewies Bergamo auch gleich, dass Kerem Demirbay eine kurz zuvor geäußerte Feststellung noch einmal überdenken sollte. »Wir sind reifer geworden in unserer Spielanlage. Wenn wir ein Gegentor kriegen, brechen wir nicht mehr ein«, betonte der 28-Jährige, als die Mannschaft von Trainer Gerardo Seoane vor knapp zwei Wochen in der Bundesliga ein respektables 1:1 beim FC Bayern errungen hatte.

Wenige Tage später aber kassierten die Leverkusener im Achtelfinalhinspiel nach eigener Führung binnen 26 Minuten drei Treffer von Bergamo. Sie mussten Torwart Lukas Hradecky sogar danken, dass Atalanta mit seinen brandgefährlichen Angreifern Luis Muriel und Ruslan Malinovskyi nicht zu einem hohen Kantersieg kam. Stattdessen durfte Leverkusen durch Moussa Diaby sogar noch auf 2:3 verkürzen.

Der erschüttert wirkende Coach Seoane machte sich anschließend verständlicherweise »Sorgen darüber, was auf dem Platz passiert ist«. Schließlich bringt Bergamo seinen leidenschaftlichen und höllisch schnellen Spielstil nun auch zum entscheidenden Kräftemessen mit nach Deutschland. »Das Spiel wird sehr wichtig. Wir werden auf dem Platz alles dafür geben, in die nächste Runde einzuziehen«, versprach Seoane am Mittwoch.

Dabei wurde der Schweizer auch noch einmal an das 0:1 im Bundesligaderby gegen Köln vom vergangenen Sonntag erinnert, bei dem sich die beiden Leistungsträger Wirtz und Frimpong so folgenschwere Verletzungen zugezogen hatten. »Man kann enttäuscht sein, trotzdem müssen wir jetzt nach vorne schauen. Wir können auch eine Stärke daraus ziehen, indem wir alle noch mehr zusammenrücken«, schlug Seoane vor. Inhaltlich unterstützt vom argentinischen Mittelfeldspieler Exequiel Palacios, der betonte: »Uns fehlen jetzt natürlich sehr wichtige Spieler. Aber wir wollen auch für sie kämpfen. Jetzt müssen es eben die anderen richten.«

Palacios erwartet »ein schwieriges Spiel«, wobei Rudi Völler als ausgewiesener Kenner des Fußballs in Italien schon unmittelbar nach der Auslosung geahnt hatte, was da auf Leverkusen zukommen würde. »Es ist eine italienische Mannschaft - und damit automatisch ein schwerer Gegner. Atalanta Bergamo spielt schon seit Jahren in der Serie A immer oben mit. Das ist kein Zufall und für uns deshalb eine harte Aufgabe«, prophezeite Völler, der in seiner aktiven Zeit fünf Jahre für den AS Rom stürmte und bei dem Klub im Jahr 2004 auch mal einen knappen Monat lang als Cheftrainer engagiert war.

Vor allem aber blickt Völler derzeit auf ein knappes Vierteljahrhundert als Fußballer und Funktionär in Leverkusen zurück. Im Sommer hört er als Sport-Geschäftsführer auf, und die Europa League ist für ihn die letzte Gelegenheit, mit dem Werksklub ganz am Ende doch noch einen Titel zu gewinnen.

Nach seinem Adieu von der Kommandobrücke wird der 61-Jährige dem Verein ab Sommer als Mitglied des Gesellschafterausschusses und offizieller Botschafter zur Verfügung stehen. Seinen jetzigen Posten tritt er an Rolfes ab. Der langjährige Leverkusener Kapitän, der Völler 2018 bereits als Sportdirektor beerbte, sieht sich gewappnet für die vor ihm liegenden Aufgaben. Er trete den nächsten Schritt auf der klubinternen Karriereleiter eher mit Vorfreude an, als darin eine Belastung zu sehen, beteuert Rolfes.

Der Klub muss neben der seit 1993 unerfüllten Hoffnung auf eine dritte Trophäe für die spärlich gefüllte Vereinsvitrine aktuell wieder ein scharfes Auge auf die Bundesligatabelle werfen. Freiburg und Hoffenheim sind den Leverkusenern nach der Pleite gegen Köln im Kampf um die begehrten Eintrittskarten für die Champions League wieder nah auf den Fersen. Dabei wäre das Szenario, die Königsklasse zum dritten Mal in Folge zu verfehlen, Gift für Bayers Ansprüche. Immerhin verband Simon Rolfes die Vorstellung des neuen Trainers Gerardo Seoane vor zehn Monaten mit der offensiven Ansage an die nationale Konkurrenz: »Mit ihm wollen wir wieder angreifen.«

Noch deutlicher formulierte Jonathan Tah die eigenen Ambitionen Anfang Februar. Da hatte Leverkusen gerade 5:1 in Dortmund gewonnen, und der Abwehrchef erklärte zum Thema Königsklasse so lapidar wie stolz: »Mit unserem Potenzial und unserer Qualität darf man nichts anderes sagen. Das wäre eine Beleidigung.« Das muss Bayer jetzt beweisen.

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