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Dem Vergessen entrissen

Michael Uhl erinnert an Betty Rosenfeld, eine Krankenschwester zwischen Davidstern und roter Fahne

  • Werner Abel
  • Lesedauer: 5 Min.

Es ist ein außergewöhnliches Buch, das hier vorgestellt werden soll. Ein solches wurde bisher eher selten geschrieben. Es erzählt, informations- und quellengestützt, die Geschichte einer einfachen jungen Frau, die nicht der Prominenz des Widerstands oder des Exils zuzurechnen ist.

Betty Rosenfeld gehörte zu den Juden und Jüdinnen, die wegen der Bedrohung durch die nazistische Rassenpolitik und ihres kommunistischen Engagements Deutschland verlassen mussten und die sich wie sie der von der Reaktion bedrohten Spanischen Republik zur Verfügung stellten. Es ist, sicher auch international, die umfassendste und detaillierteste Biografie, die über eine Spanienkämpferin oder einen Spanienkämpfer geschrieben wurde.

Michael Uhl, der Verfasser dieses Porträts, schon frühzeitig durch Ernest Hemingways »Wem die Stunde schlägt« auf den Spanischen Bürgerkrieg aufmerksam geworden, konnte als Deutscher durch ein Stipendium in Salamanca Geschichte studieren, recherchierte aus Interesse im dortigen Militärarchiv nach Unterlagen über die Internationalen Brigaden und stieß auf ein Dokument mit dem Bild einer jungen Frau. Sie war wie er in Stuttgart geboren worden und trug den nicht alltäglichen Namen Betty Rosenfeld.

Noch wusste er wenig über das Schicksal dieser Frau, aber der Name, das Bild ließen ihn nicht mehr los. Nach seiner Dissertation, die sich mit den in der DDR lebenden Spanienkämpfern beschäftigte und die zum Besten gehört, was über deutsche Spanienkämpfer und -kämpferinnen geschrieben wurde, begann er nach und nach und immer intensiver Informationen über diese Frau zu sammeln, die mit 35 Jahren 1942 von den Nazis in Auschwitz ermordet werden sollte.

Die Auswertung deutscher, spanischer, russischer, israelischer und amerikanischer Archive, die Besuche der Stätten, an denen Betty gelebt hatte, die Besuche bei ihren Verwandten in den USA, bei denen sich viele Briefe Bettys erhalten hatten, ermöglichten eine derart detaillierte Schilderung des Lebens dieser Frau, die über Strecken den Eindruck erweckt, es handle sich um den Bericht eines Zeitgenossen. Berichtet wird aber nicht nur über Betty, ihre Schwestern und die gesamte Familie Rosenfeld, sondern auch über das jeweilige politische und soziale Umfeld in Deutschland, Israel, Spanien und Frankreich - und besonders über das jüdische Leben in der Region Stuttgart, wobei viele Details zu erfahren sind, die in der heutigen Wahrnehmung vergessen sind.

Die dem jüdischen Mittelstand entstammende, am 23. März 1907 geborene Betty sympathisierte weder mit der jüdischen Orthodoxie noch mit dem Zionismus und trat zunächst, sicher auch aus Verehrung für Walter Rathenau, in den Jugendverband der Deutschen Demokratischen Partei ein. Aber nach deren Vereinigung mit einem Ableger des antisemitischen »Jungdeutschen Ordens« näherte sich Betty mehr und mehr der KPD an und engagierte sich auch in der Roten Hilfe Deutschlands. Die diplomierte Krankenschwester las die kommunistische Presse, auch marxistische Literatur, und besuchte die Marxistische Arbeiterschule, die Masch. Einer deren Lehrer in Stuttgart war Kurt Hager, der später wie sie in Spanien aktiv werden sollte. Ein zu dieser Zeit schon Prominenter war der Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf, in dessen Agitprop-Theatergruppe »Spieltrupp Südwest« sie mitarbeitete.

Nach der Machtübernahme durch die Nazis betätigte Betty sich illegal für die KPD. Da es der Gestapo immer wieder gelang, den kommunistischen Widerstand zu zerschlagen, musste sie - doppelt gefährdet als Kommunistin und als Jüdin - Deutschland verlassen; sie emigrierte nach Israel. Als nach dem Putsch der reaktionären Generäle zur Unterstützung der bedrohten Spanischen Republik die Internationalen Brigaden gebildet wurden und diese händeringend nach Sanitätspersonal suchten, reiste sie im März 1937 nach Spanien und arbeitete zunächst in verschiedenen Hospitälern im Sanitätszentrum Murcia, wo sie Interbrigadisten mit schweren inneren Erkrankungen und besonders bei Typhusfällen half. Nach der Evakuierung der Hospitäler Murcias war sie noch in Mataró tätig. Als sie den Antrag auf Aufnahme in die KPD Spaniens stellte, war Kurt Julius Goldstein, der später die KZ Auschwitz und Buchenwald überlebte, einer ihrer Bürgen.

Im März 1938 heiratete sie den Interbrigadisten Sally Wittelson, einen deutschen KPD-Funktionär mit polnischer Staatsbürgerschaft. Viel gemeinsames Glück sollte das Ehepaar allerdings nicht erfahren, beide lebten nach dem Spanienkrieg zwar einige Zeit unter kärglichen Bedingungen in Frankreich zusammen, waren dann aber getrennt in verschiedenen Lagern des Vichy-Regimes interniert.

Nachdem alle Versuche, nach England, in die USA oder nach Mexiko zu emigrieren, gescheitert waren, sollte sie die letzte Internierung im berüchtigten Sammellager Drancy zusammenführen. Dort wurden sie von den französischen Kollaborateuren an die Nazis übergeben und mit der Eisenbahn - es war ihre einzige gemeinsame Fahrt, aber unter grausamen Bedingungen - in das Vernichtungslager Auschwitz transportiert. Vermutlich wurden beide dort unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet.

Während nach dem Krieg kaum einer der Stuttgarter Nazis belangt worden war, schien der Name Betty Rosenfeld Jahrzehnte aus dem kollektivem Gedächtnis ausgelöscht. Nur in Nordhausen in der DDR war die FDJ der Medizinischen Fachhochschule bei der Suche beim Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer auf den Namen Betty Rosenfeld gestoßen und wollte ihn als Ehrennamen erhalten. Aber die Informationen flossen spärlich, nur wenige ihrer Mitkämpfer konnten sich an sie erinnern. Mit der deutschen Einheit wurde diese Suche dann ohnehin eingestellt.

Im Jahre 2006 wurden in Stuttgart Stolpersteine für die Familie Rosenfeld verlegt, einer auch für Betty, die junge Frau, die den Kampf gegen die Nazis aufgenommen und ihr Leben verloren hatte. Aber die Tatsache, dass Michael Uhl sie mit seinem großartigen Buch der Vergessenheit entrissen hat, ist doch noch ein später Sieg dieser unglücklichen Frau, die gerne mit ihrem geliebten Sally weiter- und zusammengelebt hätte. An ihrem kurzen Leben kann die Nachwelt erfahren, dass es immer und unter allen Umständen notwendig ist, gegen den Faschismus zu kämpfen. Auch so gesehen hat der Verfasser ihr ein würdiges Denkmal gesetzt, das möglichst viele Leserinnen und Leser zur Kenntnis nehmen sollten.

Michael Uhl: Betty Rosenfeld. Zwischen Davidstern und roter Fahne. Schmetterling-Verlag, 672 S., geb., 39,80 €.

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