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Appell gegen das Sondervermögen

Hunderte Menschen aus Politik und Zivilgesellschaft positionieren sich gegen die 100 Milliarden-Entscheidung

Die Verkündung des 100 Milliarden-Sondervermögens war eine Nacht und Nebelaktion, findet die Linke-Politikerin Julia Schramm. Als Zeitenwende, die drastisch vollzogen wurde, beschreibt sie am Dienstag im Luise und Karl Kautsky Haus im Berliner Ortsteil Friedenau den Schock, den vor wenigen Wochen niemand erwartet hatte. Mit dem Ort, an dem die Präsentation des Appells gegen die Hochrüstungspläne der Bundeswehr stattfand, wollte die Organisator*innen ein bewusstes Zeichen für den Frieden setzen. »Wir haben es geschafft Menschen zusammenzubringen, die die Überzeugung haben, dass die Hochrüstung nicht die Antwort sein kann«, sagt Schramm, während parallel zur Veranstaltung in wenigen Kilometern Entfernung die Haushaltswoche im Bundestag stattfindet, in der über den Etat und auch das Sondervermögen debattiert wird.

Rund 600 Menschen haben sich bereits an der Aktion »Der Appell« beteiligt und mit ihrer Unterschrift die Kritik an der Rüstungseskalation, die Bundeskanzler Olaf Scholz vor etwas mehr als drei Wochen bekannt gegeben hat, dokumentiert.

Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und Politiker*innen sind teil der Initiative. Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge zeichnete ebenso mit wie die evangelische Theologin Margot Käßmann. Von den Grünen sind Urgestein Hans-Christian Ströbele ebenso vertreten wie die Bundessprecherin der Grünen Jugend Sarah-Lee Heinrich. Vom Kabarettisten Max Uthoff bis zur Schauspielerin Corinna Harfouch, von Ärzte-Musiker Bela B. bis zur Rechtsextremismus-Forscherin Natascha Strobl.

»Die Hochrüstung findet zwar zeitgleich zum Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine statt, den wir alle verurteilen«, macht Ingar Solty, der bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Bereich Frieden sowie Außen- und Sicherheitspolitik forscht, klar. Einen kausalen Zusammenhang zwischen der Aufrüstung und dem Krieg gebe es aber nicht. »Die Waffen sind nicht für die Ukraine bestimmt und sie dienen auch nicht der Abschreckung«, sagt Solty. Das Konzept der Abschreckung durch Rüstung habe sich als wenig wirksam erwiesen. Das stellten die Nato-Mitgliedstaaten und Russland in einem gut zehn Jahre andauernden Wettrüsten selbst unter Beweis. Längst betrage der Verteidigungsetat der Nato-Mitglieder das Zwanzigfache dessen, was Russland in Rüstung investiert. Und dennoch griff Wladimir Putin die Ukraine an.

Die Aufrüstungsabsichten hatte die aktuelle Bundesregierung, aber auch ihre Vorgänger, längst in Koalitionsverträgen niedergelegt und damit lange vor dem Angriff auf die Ukraine ihre Zielrichtung offenbart. Solty geht davon aus, dass der nun eingeschlagene Weg zu Verteilungskämpfen führen werde, weil es letztlich an Ressourcen in lange überfälligen Projekten in zivilen Bereichen mangeln werde.

Mit Attac, dem Forum Demokratische Linke 21, der Humanistischen Union und den Naturfreunden, kooperiert die Initiative #DerAppell mit namhaften Organisationen, die dem Regierungshandeln seit Jahren eine kritische Stimme entgegenstellen. Dass es weder eine breite gesellschaftliche Debatte zur Aufrüstung gegeben hat, noch eine parlamentarische oder innerparteiliche Diskussion, halten die Initiator*innen für »einer Demokratie unwürdig«.

Innerhalb der Initiator*innen und Unterzeichner*innen gibt es jedoch keine einhellige Meinung, wie mit dem Ukraine-Krieg umgegangen werden soll. »Solidarität mit der Ukraine und das Recht auf Selbstverteidigung sind unverzichtbar,« so Klaus Dörre, der als Professor für Soziologie an der Universität in Jena tätig ist. Aufrüstung als Verfassungsgebot und von oben verfügt helfe dabei nicht. »Aufrüstung ist strukturelle Nichtnachhaltigkeit. Das lehne ich ab«, so Dörre weiter. Kabarettist und Erstunterzeichner Max Uthoff beteiligt sich mit einer klaren Forderung an dem Appell: »Diese Welt hat viele Probleme. Zu wenige Waffen gehört nicht dazu. Deswegen: Steckt 100 Milliarden in den Ausbau der Windkraft!«.

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Der Zeitpunkt für den Appell ist so notwendig, wie schwierig. »Es ist nicht leicht in diesen Tagen, sich gegen diese Art von Hochrüstung zu stellen, ohne in den Verdacht zu geraten, die Menschen in der Ukraine im Stich lassen zu wollen«, so Schramm. Man stelle sich mit dem Appell schlicht gegen haushaltspolitische Entscheidungen, die die Bundesregierung trifft.

»Es gibt keine Rechtfertigung für diesen Angriffskrieg«, sagt Dörre in aller Deutlichkeit und räumt – selbst Kriegsdienstverweigerer – ein: »Das Recht auf Selbstverteidigung kann man der Ukraine nicht absprechen.«

Den gesellschaftlichen Nachkriegskonsens »Nie wieder Krieg! Nie wieder Aufrüstung« dürfe man nicht einfach über eine Rede im Bundestag außer Kraft setzen, so die ehemalige Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel aus dem Kreis der Erstunterzeichner*innen. Autor*in Şeyda Kurt unterschrieb, weil sie das Verhalten der Bundregierung erschreckend findet, ganz besonders von einer »Bundesregierung, die sich Fortschrittskoalition nennt und sich Sozialpolitik, Feminismus und Ökologie auf die Fahne schreibt.«

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