Jan van Aken: »Waffenlieferungen sind Politikersatz«

Jan van Aken plädiert für neue Wege in der Diplomatie, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. Zum Beispiel mit Indien und China als Vermittler

  • Joel Schmidt
  • Lesedauer: 7 Min.

Herr van Aken, alle reden von Waffenlieferungen an die Ukraine. Sie nicht.

Doch, ich rede auch drüber. Aber ich bin dagegen.

Jan van Aken
Jan van Aken arbeitet für die Rosa-Luxemburg-Stiftung zu den Themen Sicherheits- und Friedenspolitik. Er war von 2009 bis 2017 Außenpolitiker der Linksfraktion im Bundestag und in den Jahren 2004 bis 2006 als Biowaffeninspekteur für die Vereinten Nationen tätig.

Warum?

Aus den Kriegen der vergangenen 50 Jahre wissen wir, dass diese sich nur beenden lassen, wenn die Beteiligten ernsthaft zu Verhandlungen bereit sind. Militärisch betrachtet ist das erst der Fall, wenn beide Seiten kriegsmüde sind. Aber wenn eine Seite das Gefühl hat zu gewinnen, dann verhandelt sie nicht. Und im Krieg hat eine Seite immer das Gefühl, dass sie gerade am Gewinnen ist. Daher führt eine Gewinn- oder Verlustsituation nur selten zu Friedensverhandlungen. Die Idee, der Krieg ließe sich mit Waffenlieferungen schnell beenden, entbehrt jeglicher empirischen Grundlage.

Die Lieferungen von Waffen führen also eher zu einer Verlängerung des Krieges?

Ja, das tun sie natürlich. Aber das allein ist noch kein Argument dagegen. Dann könnte man auch sagen: »Dann gebt doch auf, Ukraine, übergebt euer ganzes Land Russland und dann habt ihr Frieden.« Aber das ist nicht meine Position und ich finde die auch paternalistisch. Wenn das Menschen in der Ukraine sagen, fände ich das völlig okay - aber das ist ihre Entscheidung. Es muss uns ja darum gehen, so schnell wie möglich zu einer Friedenslösung zu kommen, und zwar zu einer, bei der sich Russland nicht die ganze Ukraine schnappt. Wie man den Kreml zu ernsthaften Verhandlungen bewegt, ist keine militärische Frage.

Mit welchen Maßnahmen ließe sich der Krieg stattdessen verkürzen?

Mir fallen da zwei Dinge ein. Über das eine reden alle, das sind die Sanktionen. Über das andere redet hingegen niemand - und das verstehe ich nicht.

Nämlich?

Dass bislang keine neuen Wege in der Diplomatie ausprobiert wurden. Die Welt ist größer als Russland, die Ukraine und die Nato. Was ist mit China? Mit Indien? Da redet kein Mensch drüber. Natürlich haben die Wirtschaftssanktionen weniger Erfolg, wenn Indien jetzt das ganze billige Gas kauft. Da wäre es doch angebracht, Gespräche zu führen und auf Indien zuzugehen. Europa hätte da einiges anzubieten. Indien etwa wünscht sich schon seit Jahren einen größeren Technologietransfer und ein Wirtschaftsabkommen. Da könnte Europa doch, zur Abwechslung mal, attraktive Angebote machen. Vielleicht ließe sich das Land dadurch zu einer diplomatischen Offensive gegen Russland bewegen.

Wer sollte noch Teil einer solchen diplomatischen Offensive sein?

China. Das Land hat an dem Konflikt überhaupt kein Interesse, weil der so ziemlich all seinen außenpolitischen Zielen widerspricht. Natürlich werden sie Russland auch nicht in den Rücken fallen. Aber zu versuchen, China als Vermittler für ein Helsinki 2.0, für eine nicht-militärische Sicherheit und Zusammenarbeit in Eurasien zu gewinnen - vielleicht auch mit Angeboten wirtschaftlicher Art - das wäre doch was. Warum Olaf Scholz nicht jeden zweiten Tag bei Xi Jinping auf dem Tisch sitzt, verstehe ich nicht!

Dennoch lässt sich derzeit eine gegenteilige Bewegung beobachten. Statt die Sanktionen noch einmal zu verschärfen oder auf Diplomatie zu setzen, ist nun die Rede davon, auch schwere Waffen zu liefern. Wie erklären Sie sich diesen Umschwung?

Waffenlieferungen sind der Politikersatz. Sie sind das, was Deutschland nicht wehtut. Und deswegen wird zur Lieferung von Waffen als Ersatz für Maßnahmen gegriffen, die vielleicht wirksamer sind, aber wehtun könnten. Wirtschaftliche Angebote an Indien genauso wie die Einstellung von Kohle- und Gaslieferungen aus Russland kosten Geld, möglicherweise auch Arbeitsplätze. Und wenn die Gegenüberstellung lautet, Tote in der Ukraine oder Abbau von Arbeitsplätzen in Deutschland, sagt die Bundesregierung: »Dann lieber Waffenlieferungen.«

Nach sieben Wochen Krieg sind wir von der Losung »Frieden schaffen ohne Waffen« noch meilenweit entfernt. Wie ist es um die Friedensbewegung in Deutschland bestellt?

Ich finde, es ist nicht schlecht um sie bestellt. Natürlich gibt es einige wenige, die immer noch Putin mit der Sowjetunion verwechseln und nicht kapiert haben, dass das kein Genosse ist, sondern ein knallharter neoliberaler Autokrat. Aber ich lass mir doch den Ostermarsch nicht verbieten, weil da auch ein paar Leute mitlaufen, die ewig gestrig sind! Erst recht nicht, nachdem dieser Graf Lambsdorff die Teilnehmer als »die fünfte Kolonne Putins« bezeichnet hat.

Woher kommt die Aussage des stellvertretenden FDP-Fraktionsvorsitzenden?

Das Nachkriegsdeutschland war ja wirklich ein friedliebendes Land. Es gab eine ganz große Ablehnung von Waffenexporten und Auslandseinsätzen. Und jetzt kommt da ein Politiker aus dem Bundestag und diffamiert alle Teilnehmer*innen der Ostermärsche. Das muss man sich wirklich mal auf der Zunge zergehen lassen. Vor zehn oder 20 Jahren hätte ich mir nie träumen lassen, dass wir mal so eine Stimmung hier bekommen.

Was kann die Friedensbewegung zu einer schnellen Beendigung des Krieges beitragen?

Die Friedensbewegung ist im Moment wichtiger denn je, um die Bundesregierung in die richtige Richtung zu bringen. Unsere Aufgabe muss sein, die Bundesregierung dahin zu drängen, wo es wehtut. Also zu sagen: »Ja, wir nehmen jetzt wirtschaftliche Einbußen hier in Kauf. Ja, wir setzen uns jetzt für ein Transparenzregister ein, damit wir hierzulande das Geld der russischen Millionäre einfrieren können, auch wenn es der deutschen Kapitalfraktion wehtut.« Mich erinnert die Situation an das Jahr 2014, als es um die Waffenlieferungen an die Kurd*innen ging. Auch da hat die Bundesregierung das, was ihr selbst wehtun würde, nicht getan. Nämlich stärkeren Druck auf Erdoğan auszuüben, damit die Kämpfer des Islamischen Staates nicht über die Grenze kommen, oder die Geldflüsse an den IS einzufrieren. All das haben sie nicht gemacht, weil es den Eigeninteressen widersprochen hat.

Wie lässt sich dieser Druck aufbauen?

Zum Beispiel, wenn am Wochenende nicht 500 oder 1000 Menschen demonstrieren, sondern die Ostermärsche wieder deutlich größer werden und sich der Appell gegen die 100-Milliarden-Aufrüstungspläne noch mal viel stärker auf der Straße manifestiert. Ich finde es auch gut, dass der DGB verkündet hat, in den kommenden Wochen die Friedensfrage zum Thema zu machen.

Können Sie sich friedenspolitische Aktionen vorstellen, die den Befürwortern des Krieges tatsächlich Steine in den Weg legen?

Konkret Steine in den Weg legen, also im Sinne von blockieren, glaube ich nicht. Vielmehr kommt es auf eine Stimmung hier in Deutschland an. Und natürlich war direkt nach dem Einmarsch eine große Mehrheit für Waffenlieferungen, das ist ja auch eine emotionale Geschichte. Es war übrigens bei den meisten Auslandseinsätzen der Bundeswehr auch so, dass es in den ersten Momenten immer eine große Zustimmung gab, die dann aber ganz schnell gebröckelt ist. Wenn erst einmal einsickert, was das eigentlich alles bedeutet, dann gibt es hierzulande glaube ich schon eine gewisse Grundstimmung gegen Waffen, gegen den Krieg. Und die muss man jetzt mobilisieren. Nach den Ostermärschen kommt der 1. Mai, und das Thema muss auf allen Ebenen virulent bleiben.

Was ist, wenn die Nato-Staaten durch Waffenlieferungen in den Krieg hineingezogen werden?

Das halte ich für ein unzulässiges Hilfsargument. Ich höre das zwar häufig aus der Friedensbewegung, aber letzten Endes ist das nur ein Angstschüren, um Waffenexporte zu verhindern. Natürlich besteht eine reale Gefahr, dass Putin oder der Kreml entscheiden, dass durch weitere Lieferungen irgendwann eine Kriegsbeteiligung der Nato gegeben ist. Aber das passiert nicht ohne Vorwarnung und auch nicht über Nacht. Schließlich weiß auch Putin, dass er eine direkte militärische Konfrontation mit der Nato wahrscheinlich nicht überleben wird.

Nachdem sich die russische Armee aus der Region um Kiew zurückgezogen hat, steht eine neue Offensive im Osten des Landes bevor. Was macht die Ukraine eigentlich so wichtig für Russland?

Das ist eigentlich eine Frage nach dem Kriegsziel. Geht es um das Sicherheitsempfinden Russlands? Geht es um das alte großrussische Reich? Geht es um den Donbass? Oder möchte sich Russland als neoliberales Land den Zugriff auf die Rohstoffe der Ukraine sichern? Das kann ich im Moment nicht beantworten. Und ich finde es eigentlich auch gut, dass im Westen niemand genau weiß, was die Kriegsziele sind. Das eröffnet dem Kreml die Möglichkeit, jederzeit zu sagen - auch morgen schon - »Kriegsziel erreicht, wir stellen die Kampfhandlungen ein« und gesichtswahrend den Krieg schnell zu beenden.
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