Waffen oder Atomwaffen?

Die Ukraine ist zu einem imperialistischen Schlachtfeld geworden. Der Krieg markiert auch die Sackgasse systemimmanenter linker Politikbemühungen. Ein Kommentar

  • Tomas Konicz
  • Lesedauer: 6 Min.
Ukraine-Krieg: Waffen oder Atomwaffen?

Die Entscheidung fiel wohl kurz vor Ramstein. Bei dem Treffen von Politikern aus 40 Nato-Ländern und verbündeten Staaten, die auf der US-Luftwaffenbasis über militärische Hilfsmaßnahmen für die Ukraine berieten, kündigte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) die Lieferung schwerer Waffen in Gestalt des Flakpanzers »Gepard« in das Kriegsgebiet an. Die »FAZ« sprach in diesem Zusammenhang von einer »gewaltigen«, allerdings auch einer »notwendigen« Kurskorrektur der zuvor militärisch zurückhaltenden und »russlandfreundlichen Zentralmacht Europas«.

Linke, Krieg und Frieden

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine stellt die Linke vor neue Fragen. Die Linkspartei und die gesellschaftliche Linke überhaupt. Nato, EU, Uno, Russland, Waffenlieferungen, Sanktionen – dies sind einige Stichworte eines Nachdenkens über bisherige Gewissheiten und neue Herausforderungen. Wir beginnen eine Debatte über »Linke, Krieg und Frieden«, die uns lange Zeit begleiten wird.

Berlin versprach außerdem ein Ausbildungsprogramm für ukrainische Militärs sowie einen Waffen-Ringtausch mit östlichen Nato-Staaten, die ihr sowjetisches Arsenal im Gegenzug für deutsche Waffensysteme in die Ukraine schaffen werden.

Dieser Kurskorrektur, die wohl eher gradueller Natur ist, ging die massenhafte Lieferung von Kleinwaffen und Munition voraus. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) gab sich bei der Bundestagsdebatte zur Ukraine am vergangenen Mittwoch alle Mühe, dem Eindruck entgegenzuwirken, Deutschland würde zu wenige Waffen an die Ukraine liefern. Man habe Tausende von Panzerfäusten, Flugabwehrraketen, Maschinengewehren, Handgranaten sowie Munition im Millionenbereich geliefert. Dies sei aber aus Geheimhaltungsgründen nicht offensiv kommuniziert worden, so Baerbock, die dem innen- wie außenpolitischen Druck auf die Bundesregierung auch mit Bemerkungen entgegentrat, Berlin sei gegen »einen Diktatfrieden« in der Ukraine.

Der gegenwärtige geopolitische Frontverlauf im Ukraine-Krieg, bei dem Berlin als bremsende Kraft erscheint, während die USA in Kooperation mit den östlichen Nato-Ländern (mit Ausnahme Ungarns) auf eine Eskalation des Konflikts setzen, um Putins Angriffskrieg dazu zu nutzen, Russland dauerhaft militärisch zu schwächen und als imperialistische Großmacht auszuschalten, stellt faktisch nur eine Zuspitzung der ohnehin bestehenden Konstellation dar. Die wurde schon vom US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld anlässlich des Irak-Krieges 2003 auf die Formel vom »Neuen (Ost)europa« und dem »Alten (West)europa« gebracht. Die Länder Mittelosteuropas, wie Polen, die Baltischen Staaten, Bulgarien, Rumänien oder die Slowakei, neigen aus demselben Grund zu einer engen Allianzbildung mit den USA, wie es bei etlichen Ländern Mittel- und Südamerikas, etwa Nicaragua oder Venezuela, im Fall Russlands oder Chinas ist – aus Angst vor den imperialen Großmächten in ihrer direkten Nachbarschaft.

Mittelosteuropa, das gemeinsam mit Washington, London und Kiew derzeit Druck macht, damit die Bundesregierung ihre »Zurückhaltung« in der gegenwärtigen militärischen Eskalationsspirale aufgibt, treibt nicht nur eine zuweilen ins Panische umschlagende Angst vor dem russischen Imperialismus. Es ist auch die insbesondere in Polen leicht abzurufende Befürchtung vor einer machtpolitischen Aufteilung Mittelosteuropas zwischen Moskau und Berlin, wie sie zuletzt gerade anhand der Ostseepipeline Nord Stream 2 lebendig gehalten wurde. Die derzeitige militärische Eskalation, bei der die Ukraine zu einem Schlachtfeld der Großmächte wird, soll – aus dem Kalkül Mittelosteuropas heraus – nicht nur Russland schwächen, sondern auch eine Wiederannäherung zwischen den übermächtigen westlichen und östlichen Nachbarn verhindern.

Für die im Abstieg befindlichen USA, deren sozioökonomische Desintegrationsprozesse langsam spätsowjetische Dimensionen annehmen, geht es bei der Eskalationsstrategie vor allem darum, die Frontstellung zwischen dem eigenen Bündnissystem und dem eurasischen Konkurrenten möglichst weit nach Osten zu verschieben. In Berlins – anfänglichem – Lavieren kommt wiederum die ambivalente Haltung der deutschen Funktionseliten gegenüber Russland zum Ausdruck, wo Konfrontation mit Kooperation einhergehen können. Den russlandfreundlichen »Eurasiern« mit der Ostseepipeline als ihrem zentralen gescheiterten Projekt stehen die »Atlantiker« gegenüber, die in Kooperation mit den USA vor allem darum bemüht waren, die Ausbildung eines Konkurrenzprojekts östlich der EU, der von Putin forcierten Eurasischen Union, zu verhindern – unter anderem durch die Unterstützung des Regierungssturzes 2014 in Kiew.

Mit der Fortführung der Eskalationslogik, die beide Seiten verfolgen, nimmt selbstverständlich die Gefahr eines nuklearen Schlagabtausches, eines zivilisationsbedrohenden Atomkrieges zu. Russlands marode Streitkräfte, die den Größenwahn des Kreml offenlegen, können nach der Niederlage vor Kiew nur im Schneckentempo ihren reduzierten Zielen in der Ost- und Südukraine näherkommen. Kaum etwas legt das Scheitern der Modernisierung der russischen Streitkräfte zuverlässiger offen als die Drohungen des Kremls mit dem Atomkrieg und die entsprechenden öffentlichen Diskurse in russischen Staatsmedien, wo der Atomkrieg schon enttabuisiert wird.

Der morsche, von Unruhen, Deindustrialisierung und sozialer Spaltung geplagte russische Imperialismus steht im ukrainischen Morast, in den ihn eine kompromisslose Nato lockte, mit dem Rücken zur Wand – und es gibt keinen klaren Weg aus diesem Krieg, der nicht einer der beiden Seiten eine schwere Niederlage beifügen würde. Territoriale Zugeständnisse an den Kreml, die dieser als einen Sieg verkaufen könnte, würden zur nachhaltigen Schwächung der Nato führen, während eine Rückkehr zum Vorkriegszustand wohl das mittelfristige Ende Putins bedeuten würde.

Es gibt keinen einfachen Ausweg, weil für beide Kriegsparteien sehr viel auf dem Spiel steht – und weil beide Seiten durch die Weltkrise des Kapitals in diesen Krieg förmlich getrieben wurden, mit dem innere Verwerfungen durch äußere Expansion überbrückt werden sollen: von den Aufständen in Russlands Hinterhof (Belarus, Kasachstan), über die zunehmende Inflationsdynamik in den USA und den Schock, den die Wahl des rechtspopulistischen Putinkumpels Donald Trump bei den dortigen neoliberalen Funktionseliten hinterließ. Die permanent ansteigenden globalen Schuldenberge, die zunehmende politische Instabilität, die für Interventionen ausgenutzt werden kann, die zunehmenden klimatischen Verwerfungen – diese handgreiflichen Folgen der Krise des Kapitals, das im uferlosen Wachstumszwang an seine inneren und äußeren Entwicklungsgrenzen in einer endlichen Welt stößt, lassen die Großmächte übereinander herfallen.

Dieser Krisenimperialismus lässt aber auch die Linke, die bislang faktisch nur die Frontstellung und die Spaltung der deutschen Funktionseliten reproduziert, an die Schranken einer systemimmanenten Politik, einer reformistischen »Bearbeitung« der zunehmenden Widersprüche stoßen. Es ist die Wahl zwischen schweren Waffen und Atomwaffen, zwischen der Kollaboration mit dem russischen Imperialismus, wie sie von Querfrontkräften am rechten Rand der Linken propagiert wird, oder dem Bellizismus der linksliberalen »Atlantiker«, die der Eskalation Vorschub leisten. Sollen also dem Kreml die Südukraine, Transnistrien und die Moldau zugeschlagen werden, oder wollen wir doch den Dritten Weltkrieg riskieren?

Anstatt sich in dieser krisenbedingten Aporie kapitalistischer Krisenpolitik aufzureiben, wäre es eventuell doch sinnvoller, den voll einsetzenden globalen Krisenprozess, der dem Krieg um die Ukraine keine Nachkriegs-»Ordnung« folgen lassen wird, endlich ernst zu nehmen und auch einen etwaigen Kampf um Frieden als Teilmoment eines Transformationskampfes zu begreifen. Die Fragestellungen, das Bewusstsein, die Diskussionen, die mit linker Praxis einhergingen, würden sich dann fundamental ändern. Anstatt in die Rolle von Sandkastengenerälen und Thinktank-Schwätzern zu schlüpfen, würden die Krisenkonstellationen und Kräfte gesucht und befördert, die einen emanzipatorischen Verlauf der unabwendbaren Systemtransformation in einen Postkapitalismus befördern könnten, der nicht dystopisch in einer postnuklearen Wüste angesiedelt wäre.

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