Babys made in USA

Der Oberste Gerichtshof der USA liefert zweifelhafte Begründungen für ein geplantes Abtreibungsverbot, meint Sibel Schick

  • Sibel Schick
  • Lesedauer: 4 Min.
Foto: dpa/Jae C. Hong
Foto: dpa/Jae C. Hong

Ich sitze auf einem Krankenhausbett, am nächsten Tag soll mir der Uterus entfernt werden. Zu der Zeit weiß ich noch nicht, dass mein PCR-Testergebnis positiv sein wird und ich nach Hause geschickt werde, ohne operiert zu werden. Meine Zimmernachbarin und ich unterhalten uns über unsere Krankheitshistorie: Ich erzähle, dass ich längst operiert worden wäre – wäre nicht die ungewollte Schwangerschaft, die ich abgebrochen habe, dazwischengekommen. Sie erzählt, dass sie sich operieren ließ, damit sie ein zweites Kind gebären kann. Ich frage mich innerlich, warum man sich operieren lassen muss, wenn man ohnehin ein Kind hat, behalte es aber für mich. Mit einer Selbstverständlichkeit, die ich mir nicht erlaube, fragt die Frau mich, warum ich eine Schwangerschaft abgebrochen habe. Denn sie ist die Norm, ich die Abweichung. Kinder zu wollen ist natürlich, kinderlos zu sein muss begründet werden.

Sibel Schick
Sibel Schick ist Autorin und Journalistin. Sie wurde 1985 in der Türkei geboren und zog 2009 nach Deutschland. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »In schlechter Gesellschaft«. Darin schreibt Schick gegen das Patriarchat und den Rassismus der weißen Mehrheitsgesellschaft an. Alle Texte unter dasnd.de/gesellschaft.

Laut einem geleakten Dokument hat der Supreme Court der Vereinigten Staaten vor, das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche zu kippen. Viele fürchten zurecht, dass die Aufhebung weiterer Rechte folgt, beispielsweise die Ehe für alle. Die USA befinden sich ohnehin mitten in einer Angriffskampagne gegen körperliche Autonomie, insbesondere von marginalisierten Minderheiten wie trans Kindern und Jugendlichen. So dürfen Lehrer im Bundesstaat Florida wegen des »Don’t say gay«-Gesetzes an Grundschulen nicht über sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität sprechen.

In einem Artikel der »New York Times« wird protokolliert, wofür sich bestimmte Abtreibungsgegner*innen nach einem Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen einsetzen würden. Jene Aktivist*innen, die Laure Penny in ihrem Buch »Sexuelle Revolution« treffend als »Gebärzwangsextremist*innen« bezeichnet, scheinen sich alle für die finanzielle Absicherung von Familien, insbesondere Müttern, einsetzen zu wollen. Dabei kann man sich auch so gegen Armut einsetzen, ohne Menschen zuerst zum Gebären zu zwingen.

Doch darum geht es nicht. Vielmehr geht es in dem geleakten Dokument des Supreme Courts darum, Frauen und anderen Betroffenen das Recht auf Selbstbestimmung zu enthalten. So wird darin das Recht auf Autonomie und Selbstbestimmung als »übertrieben« eingestuft: Im Extremfall könnten diese in Drogenkonsum und Prostitution ausarten. Es wird weiter behauptet, dass Mütter auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr diskriminiert werden, Mutterschutz verpflichtend ist und die Kosten einer Schwangerschaft von Krankenkassen übernommen werden. Dass in den USA mehr als 28 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter keine Krankenversicherungen haben und Schwangere, die nicht versichert sind, alle Kosten selbst tragen müssen, die unter Umständen sechsstellig und damit existenzbedrohend sein können, wird so wie viele andere Versorgungslücken im US-Gesundheitssystem verschwiegen. Das wäre nicht möglich, wenn wir die Entscheidung für Abbrüche mit Selbstbestimmung begründeten statt überwiegend mit ökonomischen Problemen, die nur eine einzige Ursache darstellen neben vielen anderen. Dass eine gebärfähige Person sich gegen Kinder, aber sehr wohl für Sex entscheiden kann, ohne dies begründen zu müssen, so wie es für heterosexuelle cis Männer selbstverständlich ist, scheint undenkbar.

Doch es geht noch schlimmer: Eine Fußnote in dem Dokument liefert einen furchterregenden Einblick in die dunkle Welt, die sich Gebärzwangsextremist*innen wünschen. So ist darin zu lesen, dass Frauen, die ihre Neugeborenen zur Adoption geben möchten, nichts zu befürchten hätten. Als Grund werden »Engpässe bei Inlandslieferungen von Säuglingen« aufgeführt. Ich muss unweigerlich an ein Laufband aus Körpern denken, aus denen Babys mit dem Aufdruck »Made in USA« herausgepresst werden.

Der Roman »Der Report der Magd« der kanadischen Schriftstellerin Margaret Atwood zeichnet eine dystopische Welt, in der gebärfähige Menschen gefangen genommen und einflussreichen Familien zur Vergewaltigung zugeführt werden, um für sie Kinder zu gebären. Die USA nähern sich diesem Albtraum ein Stück weiter. Ob sich konservative Feuilletonisten, die Feminist*innen bisher Alarmismus vorwarfen, nun schämen? Vermutlich nicht. Betroffen sind nämlich nicht sie, sondern die Schutzlosesten. Schon wieder.

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