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Morgen wird wie gestern sein

Simon Stålenhags illustrierter Roman »Das Labyrinth« nutzt die kultigen 80er Jahre als Folie für fantastische Geschichten und liegt damit voll im Trend der Science-Fiction

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 6 Min.
In der Science-Fiction trifft immer häufiger Retro-Chic auf fantastische Geschichten – wie in der Netflix-Serie "Stranger Things".
In der Science-Fiction trifft immer häufiger Retro-Chic auf fantastische Geschichten – wie in der Netflix-Serie "Stranger Things".

Science-Fiction-Erzählungen stehen und fallen mit ihrem Worldbuilding, also mit der Inszenierung der fiktionalen Welt, in der die Geschichten angesiedelt sind. Neben dem zentralen Handlungsplot – egal ob der im Subgenre der Zeitreisen, Weltraumabenteuer, apokalyptischen Umwelthavarien oder einer Welt voller Künstlicher Intelligenzen verortet ist – sind es oft die nebenher erzählten, durch die Fiktion verfremdeten sozialen, technologischen, kulturellen und politischen Rahmenbedingungen einer zukünftigen, alternativen oder parallelen Welt, die maßgeblich den gesellschaftspolitischen Charakter einer Geschichte prägen.

Die Literatur hat dabei natürlich ein Stück weit immer die Nase vorn, weil sie komplexe Sujets erschaffen kann, die sich in einem Filmset nur bedingt nachbauen lassen. Oder die Produktionskosten schießen so in die Höhe, dass unter kapitalistischen Verhältnissen automatisch ein massenpublikums- und kassentaugliches Produkt herauskommen muss. Künstlerischer Anspruch sowie gesellschaftspolitischer Gehalt bleiben dabei unter Umständen auf der Strecke. Während in Dietmar Daths Roman »Pulsarnacht« kilometerlange Raumschiffe fast nebenher durch schwarze Löcher eines von unzähligen Spezies bevölkerten Weltraums fliegen, muss ein Filmregisseur enorme Summen bewegen, um so etwas tricktechnisch auch nur ansatzweise umzusetzen. Wobei sich hier die Möglichkeiten in den vergangenen Jahren schon enorm verändert haben.

Einen faszinierenden Ansatz, um fantastische Welten zu erschaffen, nutzt der schwedische Künstler Simon Stålenhag mit seinen illustrierten Romanen, so auch in seinem neuen Buch »Das Labyrinth«. Stålenhags mit kurzen Textsequenzen kombinierte naive Pop-Art-Bilder, die wie Ölgemälde wirken, aber digital hergestellt sind, erzählen in »Das Labyrinth« von einer postapokalyptischen Welt, in der alle Menschen in unterirdischen Bunkeranlagen leben und nur zu Forschungszwecken hin und wieder an die Oberfläche kommen, die von dunklen Nebelschwaden überzogen ist. Die Städte sind zerstörte Ruinen, die ein wenig an die derzeit in den Medien präsenten Bilder ukrainischer Städte erinnern. Im Himmel hängen eigenartige schwarze Sphären, die irgendwann vor Jahren plötzlich auftauchten, physikalische Gesetze veränderten, die Umwelt zerstörten und die Menschen krank machten.

Die futuristische Technologie schwebender und fliegender Maschinen, wie sie auch schon in Stålenhags vorherigen Büchern auftauchte, weist darauf hin, dass dies alles in der Zukunft oder in einer parallelen Welt spielen muss. Wobei die gesamte Ästhetik seiner Bilder, die Bunker-Interieurs und die Overalls, die die Figuren tragen, eher vintageartig aussehen und an die 80er Jahre erinnern.

Diese ästhetische Vintage-Romantik der legendären 80er Jahre erlebt in der Fantastik schon seit einiger Zeit einen regelrechten Boom. Egal ob es die Netflix-Kultserie »Stranger Things« ist oder die neue Staffel von »Matrjoschka« aus dem New York jener Zeit, der Blockbuster »Wonder Woman 1984« oder die letzte Staffel der von Apple produzierten Parallelwelt-Serie »For all Mankind«, die Mitte der 80er Jahre angesiedelt ist: Das auch popmusikalisch nach wie vor so angesagte Jahrzehnt scheint eine nicht zu versiegende Quelle kulturzeitgeschichtlicher Inspiration zu sein.

Wobei weder der 1984 geborene Stålenhag noch die im gleichen Jahr zur Welt gekommenen Duffer-Zwillingsbrüder, die für »Stranger Things« verantwortlich zeichnen, selbst so viel von diesem kulturell scheinbar so sinnstiftenden Jahrzehnt mitbekommen haben dürften. Vielleicht ist dieser Trend auch darauf zurückzuführen, dass späte Babyboomer-Jahrgänge und frühe Vertreter der »Generation X« als Zielpublikum die Zeit ihrer frühen Jugend als narrativen Rahmen fantastischer Geschichten konsumieren können. Denn sowohl in »Stranger Things« als auch bei Simon Stålenhag stehen adoleszente, männliche (Anti-)Helden im Mittelpunkt der Erzählung, was (für Männer) die Identifizierung mit diesen Geschichten noch intensivieren dürfte.

Dabei stellt sich die Frage: Wie wirklichkeitsgetreu sind eigentlich die hier so opulent inszenierten 80er Jahre? Werden sie reduziert auf ein popkulturelles, bildästhetisch nicht selten werbefernsehkompatibles Identifikationsmuster jenseits sozialpolitischer Wirklichkeiten? Wobei gerade die im damals fast noch frisch deindustrialisierten Rust Belt angesiedelte Serie »Stranger Things« voller sozialpolitischer Anspielungen steckt, in Staffel 3 ein Monster im stillgelegten Stahlwerk schlummert und eine stylische Einkaufs-Mall komplett zertrümmert wird. Aber in vielen dieser Vintage-Erzählungen fungiert die minutiös rekonstruierte Zeitgeschichte als eine Art Folie, die künstlich genug ist, um darauf fantastische Inhalte entwickeln zu können. Gleichzeitig verstärken Filmklassiker wie »E. T.« (1982) oder »Zurück in die Zukunft« (1985–1990) als immer wieder auftauchende Referenzen den zeithistorischen Bezug fast schon im Sinn eines Brandings. Darüber hinaus ist es für den Filmbereich einfacher, Sujets aus den kultigen 80er Jahren als gigantomane, futuristische Welten nachzubauen, wie das unlängst Apple TV für ein Riesenbudget machte, als Isaac Asimovs »Foundation«-Trilogie erstmals für eine Serie adaptiert wurde.

80er-Jahre-Welten sind aber mitunter sehr gefällig und etwas zu benutzerfreundlich im Konsum. Wenigstens in der zeitgeistigen Großstadt-Netflix-Serie »Matrjoschka« sind die 80er auch mal dreckig und voller heruntergekommener Ecken, die deutlich im Kontrast zu dem (autoritär von Rudy Giuliani) chic zurechtgetrimmten Downtown-Manhattan von heute stehen. Dagegen kommen die stylischen 80er in »Wonder Woman 1984« wie im Werbefilm rüber.

Im Film- und Serienbereich wird das auch stets popmusikalisch inszeniert. So dröhnen Hits von Frankie goes to Hollywood durch die sehr sauberen Bilderwelten von »Wonder Woman 1984«, Punk-Musik wird bei »Matrjoschka« oder in der neuen popkulturellen Netflix-Zeitreise-Serie »Léas 7 Leben« zum musikalischen und subkulturellen Standard, und die wie Großstadt-Hipster angezogenen 80er-Jugendlichen in der neuen Staffel »Stranger Things« tigern mit Kate Bushs »Babooshka« unterlegt durch kleinstädtische High-School-Flure. Durch diesen Vintage-Faktor lassen sich auch Zuschauer und Leser auf Genre-Erzählungen ein, die für gewöhnlich kaum etwas mit Horror, Science-Fiction oder Fantasy anfangen können.

Ob dieser Faktor eines niedrigschwelligen Zugangs auch für Simon Stålenhags illustrierte Romane gilt, bleibt dahingestellt. Sein Buch »Tales from the Loop« wurde zwar schon von Amazon Prime als Serie verfilmt, hat aber lange nicht die Reichweite wie etwa die Blockbuster-Serie »Stranger Things«, die derzeit wohl das erfolgreichste kulturindustrielle 80er-Retro-Vintage-Produkt sein dürfte. Dabei erzählt Stålenhags neuer Bildroman »Das Labyrinth« die Geschichte einer geheimnisvollen Umwelthavarie, die extraterrestrischen Ursprungs sein könnte, und entspricht damit voll dem Zeitgeist von Science-Fiction-Erzählungen, die sich an ökologischen Themen orientieren und dystopische Szenarien einer zerstörten, nicht mehr bewohnbaren Welt entwerfen.

In »Das Labyrinth« geht es dabei auch um die Frage, wie viel demokratische Rechte die Menschen im Moment einer radikalen Bedrohung des ganzen Planeten durch eine Umwelthavarie noch haben können und was passiert, wenn individuelle und kollektive Bürgerrechte zugunsten eines Notstands ausgesetzt werden. Simon Stålenhags düsteres Buch ist dabei aber keineswegs eine platte ästhetische Hommage an die 80er Jahre und einen Vintage-Retro-Trend, wenngleich seine Arbeiten diesen Hype inspiriert mitgestalten.

Simon Stålenhag: Das Labyrinth. A. d. Schwed. v. Stefan Pluschkat. Tor bei Fischer, 152 S., geb., 36 €.

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